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"Und erlöse uns von allen Üblen" #72: Der Verleger passt gut ins Bild

Die Ermittlungen im Mordfall Freypen nehmen eine eindeutige Wendung. Der Täter bekommt Applaus. Ein Fortsetzungsroman, Teil 72.

Was bisher geschah: EUROPOL-Ermittler und Freypen-Mörder Zartmann lenkt den Fokus der Ermittlungen geschickt Richtung des Verlegers Schwarzkoff. Auf ihn selber fällt kein Verdacht.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 72 vom 26. August.

Susanne Hornstein bestätigt den Beamten in Den Haag, dass es sich bei den Verhafteten um Mulders Leute handelt, und Lionel Zartmann spielt - wie von Retin vorgeschlagen - den freundlichen Kollegen, dem da ganz uneigennützig eine Idee gekommen ist: "Ich habe gerade mit Alain Retin diskutiert, mit dem ich schon lange zusammenarbeite. Über Ihren Fall haben wir alles gelesen und wir wollen uns natürlich nicht mit irgendwelchen Vorschlägen aus der Ferne aufdrängen, aber wir haben da eine Idee. Haben Sie einen Moment Zeit, Frau Hornstein?"

"Ich bitte Sie, natürlich. Unter uns, ich bin für jede Anregung dankbar, denn vom eigentlichen Mörder haben wir nichts." Das hören Zartmann und Retin zwar von ihr besonders gern, aber das hatten sie sich auch schon so gedacht. "Also. Wir haben mal eine Theorie durchgespielt, wie es wäre, falls dieser Verleger da, dieser Schwarzkoff, der eigentliche Auftraggeber für den Mord gewesen ist. Motiv wissen wir natürlich nicht, aber vielleicht liegt das irgendwo in einer längst vergessenen Vergangenheit, so etwas gibt es ja immer wieder .., ach ja?" Er lauscht schweigend. "Sehen Sie, da sind Sie doch sehr viel weiter als wir. Schulfreunde also. Aha. Soll ich trotzdem? Gut. Nehmen wir einmal an, dieser Schwarzkoff hat in kühler Absicht die Reporterin zu dieser Party mitgenommen. Hat also gewusst, dass sie zur fraglichen Zeit nicht in ihrer Wohnung sein würde. Hat sich einen Killer besorgt und der hat diesen Freypen erschossen."

"Oder Andrea Hofwieser hat ihm dabei geholfen, hat ihm die nötigen Kontakte in die Unterwelt besorgt", ergänzt Susanne Hornstein und berichtet von dem abgehörten Gespräch zwischen Schwarzkoff und der Reporterin und warum sie den Eindruck hat, dass es dabei um Erpressung gegangen ist. Eine kluge Frau, diese Kollegin, stellt Zartmann fest, und auch Retin, der über den eingeschalteten Lautsprecher das Gespräch mithört, hebt anerkennend den Daumen. Beide und vor allem Zartmann dürfen ihr allerdings nicht sagen, warum sie Recht hat mit ihrer Erpressungstheorie. Hat zwar nichts mit dem Mord zu tun, aber immerhin mit Vergewaltigung.

Zartmann geht deshalb nicht auf ihren letzten Satz ein. Susanne Hornstein bedankt sich, eher hastig, denn gerade ist Georg Krucht in ihr Zimmer gekommen und sie hat das Gefühl, der schaut sie irgendwie komisch an.

"Ja?"

"Auf der anderen Leitung hat unser Chef angerufen, Ihrer und meiner."

"Chef? Welcher Chef?", und sie denkt automatisch an Bernhard Lawerenz, bis ihr wieder einfällt, dass der tot ist. "Der Innenminister bittet um Rückruf. Es schien ihm dringend damit zu sein." Krucht schiebt ihr eine Telefonnummer auf den Schreibtisch: "Sonst noch was?" Um Gottes Willen, denkt sie, bloß nicht sonst noch was. Bloß keine Fortsetzung. Bloß schnell alles vergessen: "Nein, vielen Dank, wir sehen uns dann am Montag wieder."

"Am Montag", bestätigt Georg Krucht und geht. An der Tür bleibt er stehen und sagt , ohne sich umzudrehen, aber es klingt in ihren Ohren fast wie eine Bitte: "Falls etwas passiert, können Sie mich natürlich jederzeit erreichen."

Susanne Hornstein wartet, bis er die Tür hinter sich geschlossen hat und atmet ein paarmal tief durch, bevor sie die Telefonnummer auf dem Zettel wählt.

"Wir haben den Bericht über den Unfall von Lawerenz bekommen", sagt die Stimme am anderen Ende, die sich nur mit einem kurzen "Ja?" gemeldet hat, "am Auto war alles in Ordnung. Beerdigung übrigens am Mittwoch, große Besetzung, Sie müssen auf jeden Fall kommen. Alles andere würde auffallen, weil man weiß, wie gut Sie mit ihm standen. Ich denke, wir beide können uns vorstellen, was wirklich passiert ist. Vielleicht war es so am besten, für alle Beteiligten. Übrigens, es reicht, dass wir beide die Wahrheit kennen. Dieser Schwarzkoff da, dieser Verleger, der damals wohl, Sie wissen schon, der passt doch vorzüglich ins Bild." Er betont wie bei einer Wahlkampfrede vorzüglich auf jeder Silbe: "Haben wir uns verstanden, Frau Doktor Hornstein?"

"Nein", sagt sie ganz ruhig und während sie das sagt, kommt es ihr vor, als würde sie ihren Vater vor sich sehen, der ihr ermunternd zunickt. "Nein, ich fürchte, wir haben uns nicht verstanden. Welches Bild meinen Sie denn?"

"Eine solche Antwort habe ich vermutet", sagt der Innenminister fast heiter, "von Ihnen hätte ich nichts anderes erwartet und genau deshalb sind Sie die Richtige für diesen Fall." Wahrscheinlich hätte er sich sogar gefreut, wenn er ihre verblüffte Miene hätte sehen können. Die nicht lange anhält. Denn bei einem bisschen Nachdenken kommt Susanne Hornstein auf die Erklärung für diesen seltsamen Schlusssatz. Der Minister ist zwar nicht so klug wie sie, aber viel schlauer. Der Politiker weiß, wie man andere zu Höchstleistungen treibt. Gerade weil sie sich so wehrt gegen jeden politischen Einfluss auf ihre Ermittlungen, wird sie alles tun, um sie abzuschließen und zwar wasserdicht.

Mulders Männer sind in Den Haag aus der Haft entlassen worden, Zartmann wollte sie nicht mehr sehen. Hat Alain Retin erledigt. Von ihm lässt sich Lionel zu einem Tennismatch überreden, das er fast ohne Widerstand zu leisten verliert, obwohl er schon 2: 0 im ersten Satz geführt hat. Als sie auf der Terrasse des Clubhauses sitzen und einen der dort üblichen Salate essen, kann es Retin erneut nicht lassen und lästert: "Du solltest auf dich achten, mein Lieber. So jung bist du nicht mehr. Eine ganze Nacht du weißt schon und noch Tennis am nächsten Tag, das ist nicht mehr drin. Vielleicht solltest du dich entscheiden, was dir lieber ist. Wenn du mich fragst, ich wüsste es."

Zartmann antwortet einfach gar nicht. Er fragt sich etwas ganz anderes. Wie er die Frau, die um diese Zeit wohl gerade landen wird, vor diesen Typen schützen kann, die ebenfalls wieder unterwegs sind nach Hamburg. Nur er könnte Andrea Hofwiesers Unschuld beweisen. Aber eben genau er darf das nicht. Er erhebt sich: "Los, Revanche, oder hast du etwa was besseres vor?" Diesmal gewinnt Zartmann, und er spielt dabei so aggressiv wie schon lange nicht mehr. Mit jedem Schlag löst sich etwas von seiner inneren Verkrampfung .

Karl Mulder hatte es bei nur einem Whisky bewenden lassen und statt dessen nüchtern nachgedacht. So schnell wollte er nicht aufgeben angesichts einer möglichen Prämie von einer Million Euro. Im Moment war das Geld nur in weiter Ferne zu ahnen, nachdem ihm der Flop mit dem angeblichen Mörder Lionel Zartmann passiert ist, aber als Verheißung noch zu erkennen. Schwarzkoff bedeutete seine letzte Chance, soviel immerhin hatte Mulder begriffen. Falls doch etwas in dem geheimnisvollen Fax stimmte, und davon war er mangels Alternativen überzeugt, dann musste er sich jetzt näher mit dem Verleger befassen. Dafür brauchte er Unterstützung. Seine Männer, die am frühen Abend erst aus Den Haag gekommen waren , konnte er nicht einsetzen. Sogar ein überzeugter Menschenschinder wie Mulder sah ein, dass die nach durchwachter Nacht vor Zartmanns Wohnung und den Verhören des vergangenen Tages eine Pause brauchten. Die anderen drei der insgesamt einst sechsköpfigen Sicherheitstruppe Freypens hielten Wache vor dem ehemaligen IDUNA-Hochhaus.

Andrea Hofwieser allerdings schlief längst, denn auch sie hatte in der vergangenen Nacht zu wenig Schlaf bekommen, was sie nicht bedauerte. Die Reporterin mit ihren möglichen Verbindungen in die kriminelle Szene Hamburgs stand noch immer ganz oben auf Mulders Liste der Verdächtigen. Ganz offensichtlich hatte sie in Den Haag nicht wie von ihm erwartet den Mörder getroffen, und selbstverständlich hatte sie nicht persönlich geschossen, so viel war selbst Mulder inzwischen klar.

Aber noch konnte er sich vorstellen, dass sie deshalb so schnell nach Hamburg zurückgekommen war, um den geheimnisvollen Dritten hier zu treffen, in ihrer Wohnung sogar. Deshalb die Bewachung, weil jederzeit damit zu rechnen war, dass sie nicht allein blieb am Wochenende und sich die Männer in der Beschattung aufteilen mussten. Der Gedanke, dass er ganz nahe dran gewesen ist an der Lösung, ganz nahe dran am Mörder, nunmehr aber weiter entfernt denn je, kam Mulder nicht. Auf die Idee wäre nicht einmal Susanne Hornstein gekommen, es lag also nicht an seinem mangelnden Verstand.

Ab jetzt wollte sich Mulder auf Jens-Peter Schwarzkoff konzentrieren, und der hatte mit seinem als Rache an Andrea gedachten Fernschreiben den Verdacht ausgerechnet auf sich selbst gelenkt . Er benötigte Informationen über den Verleger, mehr zu erfahren als den üblichen Lebenslauf - Internat Salem, Erbe des väterlichen Verlages, verheiratet ohne Kinder - würde trotz Wikipedia und Facebook nicht so einfach sein. Der war in einer anderen Spielklasse als die halbstarken Figuren, denen man nur ein bisschen Angst machen musste und die dann alles ausplauderten. Schwarzkoff war ein Mann mit Einfluss, auch auf Helga Freypen, und Mulder musste schon aus diesem Grund jeden Schritt genau abwägen, um sich nicht am Ende selbst zu gefährden.

Ihm kam erst nach langem Nachdenken die richtige Idee. Er öffnete auf seinem Tablet die Datei mit den Namen der Hamburger Mitglieder der Nationalen Alternative, strich die mit Adressen in den Arbeitervierteln gleich durch, denn mit Rentnern, denen es zu viele von dunkelhäutige Flüchtlingen in ihrer Umgebung gab und die deshalb von Joachim Freypens Parolen ihr Heil erwartet hatten, konnte er  in dem Fall nichts anfangen. Stimmvieh nannten sie die untereinander, aber da unterschieden sie sich nicht vom Ton in anderen Parteien. Gab es eingetragene Sympathisanten in dem feinen Vorort, in dem Schwarzkoff lebte? Er prüfte Namen für Namen, Adresse für Adresse, was nicht so lange dauerte, denn allzu viele bekennende Mitglieder hatten die Nationalen noch nicht.

Plötzlich stockte Mulder. Diese Straße kam ihm bekannt vor. Denk nach, denk nach, befahl er sich selbst und dann fiel ihm ein, wo ihm der Name schon mal aufgefallen war. Mulder verglich die Anschrift mit einer anderen, die er beim Durchblättern von Freypens privatem Adressbuch gefunden hatte. Mit der von Schwarzkoff. Er summte auf einmal fröhlich vor sich hin und wirkte dadurch menschlich. Fast wäre er dabei in die Internationale verfallen, denn wie so viele radikale Rechte hatte er in seinen frühen Jahren mal ganz andere Idole verehrt. Rechtzeitig merkte er es und wechselte mitten in der Melodie, blieb danach politisch korrekt bei deutschem Liedgut.

Und morgen lesen Sie: Schwarzkoffs Butler wird untreu.

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