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Politik: Und sie spielen doch gut

Von Sven Goldmann Es ist an der Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen, dem vom deutschen Rumpelfußballer, der mal wieder die Welt mit unverdienten Siegen belästigt; der bei dieser WM mehr bolzend als spielend Richtung Finale zieht und seine Erfolge allein einem überragenden Torhüter verdankt. Das klingt schön, wird auch von einer sich überaus weltoffen, selbstkritisch und fortschrittlich gebenden Öffentlichkeit in Deutschland gern goutiert – und ist doch falsch.

Von Sven Goldmann

Es ist an der Zeit, mit einem Mythos aufzuräumen, dem vom deutschen Rumpelfußballer, der mal wieder die Welt mit unverdienten Siegen belästigt; der bei dieser WM mehr bolzend als spielend Richtung Finale zieht und seine Erfolge allein einem überragenden Torhüter verdankt. Das klingt schön, wird auch von einer sich überaus weltoffen, selbstkritisch und fortschrittlich gebenden Öffentlichkeit in Deutschland gern goutiert – und ist doch falsch.

Natürlich ist Oliver Kahn ein überragender Torhüter. Aber ein Torhüter gehört nun mal gemäß Regelwerk zu einer Fußballmannschaft, und es spricht nicht für den strategischen Weitblick vieler Nationen, dass sie den Keepern einen so geringen Stellenwert zumessen. Das Besondere an Oliver Kahn ist ja nicht nur, dass er so gut ist, sondern dass er als Einziger bei dieser WM so gut ist. Wer sich, wie die selbstverliebten Engländer, auf der wichtigsten Position einen unterdurchschnittlichen Mann mit dem überdurchschnittlichen Alter von 38 Jahren leistet, der darf sich nicht beschweren, wenn er nach dem Viertelfinale rausfliegt.

Auch der Verweis auf die vermeintlichen deutschen Tugenden greift nicht. Den letzten Treter haben sich die Deutschen 1996 geleistet, als im EM-Finale Dieter Eilts mitbolzen durfte. Im aktuellen Nationalteam gibt es nur einen Spieler, dem der Ball regelmäßig verspringt, und das ist, ausgerechnet, Gerald Asamoah, das Zuwandererkind aus Ghana.

Als üble Treter haben sich in Fernost nicht die Deutschen hervorgetan, sondern die Ballkünstler aus Portugal. Und den defensiven Steinzeitfußball haben nicht die Deutschen gespielt, sondern die Italiener. Aber Versagen lässt sich am leichtesten kaschieren mit dem Hinweis auf Ungerechtigkeit. Ganz so, als sei das unverdiente Glück der Deutschen verantwortlich für das eigene Unglück.

Dieses Denkmuster ist mindestens einseitig. Niemand spricht heute mehr davon, dass Argentinien 1978 im eigenen Land nur durch eine großzügige Spende der damals regierenden Militärjunta an Peru Weltmeister wurde. Die Peruaner taten wie geheißen, unterlagen 0:6 und ebneten den Argentiniern den Weg ins WM-Finale. Keiner spricht mehr von den taktischen Winkelzügen, mit denen Brasilien und Italien im WM-Finale von 1994 die Zuschauer über 120 torlose Minuten langweilten. Nein, Brasilianer gehen in jedes Spiel mit der Vorbewertung, sie seien als Sambatänzer geboren. Argentinier haben von Natur aus heißblütig zu sein, Italiener und Franzosen kreativ und verspielt. Für die Deutschen ist wie selbstverständlich die Rolle im Schützengraben reserviert. Keiner weiß mehr so recht, woher dieses Stigma stammt. Denn eine rundum untalentierte Mannschaft haben die Deutschen eigentlich nie zu einer Weltmeisterschaft geschickt. Nur einmal, 1982, eine besonders unsympathische, mit einem Torhüter, der einen Gegenspieler umrannte und obendrein verspottete.

Das, was die Welt am deutschen Denken schätzt, die rationalen Ideen Kants, die Zweckmäßigkeit Mies van der Rohes, überträgt sie auf den Fußballplatz – mit um 180 Grad gewendeter Konnotation. In dieser Gedankenwelt erhält Fußball seine höchsten Weihen in der freien Entfaltung von elf Individuen. Wer ergebnisorientiert spielt, dem fehlen Talent oder Kreativität, wahrscheinlich beides.

Die spanische Zeitung „El Mundo" hat gerade die These aufgestellt, die deutsche Mannschaft sei „eine geklonte Ausgabe jener tristen und steinernen Mannschaft, die 1990 in Italien Weltmeister wurde". Nun sind die Deutschen damals keinesfalls zufällig Weltmeister geworden oder weil sie die meisten Treter im Team hatten, sondern weil sie die beste Mannschaft waren. Mit technisch begabten Spielern wie Häßler, Instinktfußballern wie Völler und dem Strategen Matthäus. Die Rumpelfußballer im Finale von Rom waren die Argentinier, die vom hilflosen Diego Maradona 90 Minuten lang über den Platz gehetzt wurden und zwei Rote Karten kassierten. Im Gedächtnis aber bleibt das falsche Bild von tristen, steinernen Deutschen. So will man sie sehen, so sind sie Kult.

Niemand in Italien, Argentinien oder Brasilien wünscht sich eine Weltmeisterschaft ohne die ungeliebten Teutonen. Doch wenn sie heute ins Finale einziehen, wird dort keiner jubeln. Wir schon.

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