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Politik: "Uneingeschränkter Herrscher"

Über Jahrzehnte hatte sich die SPD den Ruf der Programmpartei verdient. Heute hat die Partei das Programm nur noch abzunicken.

Über Jahrzehnte hatte sich die SPD den Ruf der Programmpartei verdient. Heute hat die Partei das Programm nur noch abzunicken. Wenn die SPD am Mittwoch ihr Wahlprogramm vorstellt, wird fast jeder Satz von einem kleinen Zirkel der Macht verfasst sein. Generalsekretär Müntefering war im Auftrag des Kanzlers auf größte Diskretion bedacht. Viele Genossen fühlen sich übergangen. Nicht mal Minister und Staatssekretäre bekamen alle Teile des Entwurfs zu Gesicht. Und Einwände wurden meist abgeschmettert. So soll etwa ein Reformschritt in dem Papier stehen, mit der die Hoheit über die medizinische Versorgung von den Ärzten auf die Kassen übertragen würde. Genau das Gegenteil dessen, was Gesundheitsministerin Schmidt bisher propagiert hat.

Auch der Parteivorstand bekam noch keine schriftliche Version. Am Donnerstag wurde im Vorstand lediglich eine Gliederung des Programms verteilt, die wichtigsten Punkte wurden nur stichwortartig referiert. Noch stärker als die hohen Parteigremien ärgern sich viele Fraktionsmitglieder über die Geheimniskrämerei. Einzig die Fraktionsspitze wurde von Müntefering aufgefordert, selbst Vorschläge zu machen. Die Arbeitsgruppen blieben stimm- und ahnungslos. Seit Wochen sei deshalb "aufkeimender Unmut" in der Fraktion zu beobachten, sagt ein führendes Mitglied. "Wir haben den Eindruck, dass der Kanzler das Wahlprogramm alleine schreibt." Bestes Beispiel: Als Schröder vorige Woche ein MilliardenProgramm für den Ausbau von Ganztagsschulen ankündigte, erfuhren die Familien- und Haushaltsexperten der Fraktion davon erst aus der Zeitung. Schröder sei der "uneingeschränkte Herrscher" in der Partei, klagt ein enttäuschter Abgeordneter. Das habe man beim Wahlprogramm so deutlich gemerkt wie nie zuvor.

Markus Feldenkirchen

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