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Viktor Orban, Regierungschef von Ungarn, hat seine Zweidrittelmehrheit verloren, mit der er die Unabhängigkeit von Presse und Justiz eingeschränkt hatte.

© Reuters

Ungarn: Rechtskonservativer Viktor Orbán verliert Zweidrittelmehrheit

Der rechtskonservative ungarische Regierungschef Viktor Orbán verliert nach einer Nachwahl die Zweidrittelmehrheit. Orban hatte die Zweidrittelmehrheit benutzt, um die Unabhängigkeit der Presse und der Justiz einzuschränken.

Ungarns rechtskonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán muss künftig ohne Zweidrittelmehrheit regieren: Bei einer Nachwahl eroberte ein parteiloser Kandidat den entscheidenden Parlamentssitz und fügte Orbáns Partei Fidesz mehr als eine symbolische Niederlage zu. Konservative Medien zeigten sich am Montag beunruhigt, der Rückhalt für das Orbán-Lager "erodiere".
Der unabhängige Kandidat Zoltan Kesz erhielt bei dem Urnengang im westungarischen Veszprem am Sonntag 43 Prozent der Stimmen und damit zehn Punkte mehr als Fidesz-Kandidat Lajos Nemedi. Die Nachwahl war nötig geworden, weil Fidesz-Mitglied Tibor Navracsics als EU-Kommissar für Bildung, Kultur und Jugend nach Brüssel gewechselt war. Nach der Schlappe für seine Partei mahnte Navracsics von Orbán umgehend eine "neue Strategie" an. Der Regierungschef selbst reagierte ungewohnt zurückhaltend. "Wir können uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen", schrieb er auf Facebook.
Fast fünf Jahre lang hatte der starke Mann in Budapest auf eine Zweidrittelmehrheit zählen können. Zuletzt hatte die Koalition aus Fidesz und konservativen Christdemokraten aber nur eine hauchdünne Zweidrittelmehrheit von einer Stimme. Mit der für eine Verfassungsänderung nötigen "Supermehrheit" hatte die Regierung viele Gesetze unter anderem zu Medien- und Justizreformen durchgesetzt und die Gewaltenteilung faktisch ausgehebelt.
Von der Opposition und im europäischen Ausland war Orbán besonders für Eingriffe in die Justiz und die Einschränkung der Pressefreiheit hart kritisiert worden. Der wiederholt von der EU-Kommission gerügte Regierungschef ließ außerdem treue Gefolgsleute an die Spitze wichtiger Behörden und Gremien setzen.

Nach Massenprotesten geht die Zustimmung für Orban zurück

Nach Korruptionsskandalen und Massenprotesten gegen die Regierung verlor die Fidesz in den vergangenen Monaten deutlich an Zustimmung. Kritisiert wurde Orbán jüngst auch für sein Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der vor einer Woche Budapest besucht hatte. So gingen am Vorabend der Putin-Visite 2000 Menschen in der ungarischen Hauptstadt aus Protest gegen eine Abkehr vom Westen und eine Hinwendung zum Osten auf die Straße.
Der Leitartikler Magyar Nemzet von mehreren Pro-Orbán-Blättern rief den Regierungschef zu einem Kurswechsel und einer Kabinettsumbildung auf. "Die Erosion der Fidesz-Unterstützung gibt Anlass zum Nachdenken", schrieb er. Der konservative Blogger Akos Balogh sieht allerdings nur begrenzten Spielraum. "Die Partei könnte weniger aggressiv werden", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. "Aber das ist schwierig, weil die Konfrontation zur Identität der Partei gehört, und die Strategie hat lange funktioniert." Die Schlappe von Veszprem ist bitter für Orbán, seine starke Machtbasis im Parlament hat sie aber noch nicht erschüttert. Die linke Opposition bleibt gespalten, die rechtsextreme Partei Jobbik konnte bislang nicht von der Fidesz-Schwäche profitieren.
Wenn es darauf ankommt, so die einhellige Analyse vieler politischer Beobachter, könnte Orbán auch künftig eine Zweidrittelmehrheit zusammenbekommen.
Das entscheidende Signal der Nachwahl sei aber, "dass sich in der Gesellschaft etwas verändert hat", sagte die Politologin Kornelia Magyar. Fidesz habe in den vergangenen Monaten ihre Versuche ausgereizt, die konservative Klientel zu bedienen. "Sie konnte damit ihren Popularitätsverlust bremsen, aber die Tendenz nicht umkehren." (AFP)

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