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Machthunger. Ungarns Premierminister Viktor Orban will seiner Partei den Wahlsieg 2014 sichern.

© Reuters

Ungarn: Viktor Orbans nächster Coup

Ungarns Premier will heute das Wahlgesetz ändern – aus Angst vor einer Niederlage bei den Wahlen 2014, sagt die Opposition. Aber der Widerstand gegen die autokratischen Allüren des Regierungschefs wächst.

Tessza Udvarhely sitzt in einem Café, unweit vom Blaha-Lujza-Platz, und wartet auf die anderen Aktivisten. Es ist ein kalter Novembernachmittag in der ungarischen Hauptstadt, der Regen spült die Farbe der prächtigen Jugendstilfassaden langsam ab. „Von wegen lustigste Baracke Osteuropas", lacht die 32-jährige Soziologin. Seit zwei Jahren engagiert sich Udvarhely gegen diverse Initiativen der Regierung von Premier Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei, die sie für „menschenverachtend“ hält. Thema des heutigen Treffens: Das neue Wahlgesetz, das das Parlament an diesem Montag verabschieden will.

Zweieinhalb Jahre nach dem Sieg, der ihr zwei Drittel der Sitze in der Nationalversammlung beschert hat, möchte Orbans rechtspopulistische Partei diese kaum eingeschränkte Macht auf ewig zementieren. Der Gesetzentwurf sieht eine grundlegende Reform des Wahlrechts vor. Eine Voranmeldung der Wähler wird zur Pflicht: Wer sich 15 Tage vor den Wahlen nicht persönlich im Rathaus oder beim Notar registriert hat, darf während der ganzen Wahlperiode nicht mehr wählen.

„So könnten viele unentschiedene Wähler praktisch nicht nur von den Parlamentswahlen, sondern auch von den darauf folgenden Kommunal- und Europawahlen ausgeschlossen werden. Wir sind besorgt, dass diese Maßnahme in erster Linie ärmeren Bürgern und Roma die demokratische Partizipation erschweren wird“, kommentiert Balazs Denes, Vorsitzender des Menschenrechtsvereins Tasz. Eine Briefregistrierung ist in der Tat nur für die im Ausland lebenden Ungarn vorgesehen, die Registrierung würde für viele, die auf dem Land wohnen, zusätzliche Kosten und Aufwand bedeuten.

Zusammen mit anderen Vertretern der Menschenrechtsorganisationen kritisiert Denes die Registrierung als verfassungswidrig und sinnlos: „Nichts spricht für die Notwendigkeit einer solchen Prozedur. Ähnlich wie Deutschland und im Gegensatz etwa zu den USA verfügt Ungarn über ein funktionierendes Netz von Meldestellen. Wir wissen also genau, wo die Wahlberechtigten wohnen. Wozu denn eine Registrierung?“, fragt der Tasz-Vorsitzende. Die Antwort lieferte Orban selbst in einem mittlerweile von Wikileaks veröffentlichten Gespräch mit dem US-Botschafter: Fidesz profitiert von einer niedrigen Wahlbeteiligung. Ein Blick auf die Zahlen der letzten 20 Jahre zeigt, dass bei einer breiteren Teilnahme die Chancen des linken Lagers steigen.

Dementsprechend will Fidesz nicht nur die Wahlbeteiligung erschweren, sondern auch Wahlkampfdebatten. So verbietet der Gesetzentwurf grundsätzlich den privaten Radio- und Fernsehsendern, Wahlkampfbotschaften auszustrahlen. Auch im Internet dürfen die Parteien nicht um die Wählergunst werben. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die mittlerweile unter strikter Fidesz-Kontrolle stehen, sind für die ganze Dauer des Wahlkampfs insgesamt 10 Sendestunden vorgesehen, also täglich 12 Minuten, die sich alle Parteien teilen müssen.

„Es verwundert mich nicht, dass sich Orban an den Machtstuhl festschrauben lässt. Aber ich bin entsetzt darüber, dass die EU den Fehler mit dem Mediengesetz wiederholt und so lange schweigt, bis es zu spät ist“, kritisiert Udvarhely. Mitte November feierte die Aktivistin zusammen mit ihren Kollegen von der Initiative „Eine Stadt für alle“ einen großen Sieg. Das Verfassungsgericht erklärte unerwartet ein Fidesz-Gesetz, das Obdachlosigkeit strafbar machte, für grundgesetzwidrig.

Peter Konya, Mitgründer und Vorsitzender der oppositionelle Bewegung Szolidaritas, sagt: „Es war für viele in der Zivilgesellschaft eine Überraschung und es ist eine Premiere. Eine von Orban zum Teil gleichgeschaltete Institution setzt sich zum ersten Mal der offiziellen Linie entgegen. Das kann angesichts des eklatanten Scheiterns in der Wirtschaftspolitik als erstes Anzeichen der Schwäche im Fidesz-Block interpretiert werden.“

So könnte die Angst vor einer Niederlage bei den nächsten Wahlen im Frühjahr 2014 einer der Gründe für das Wahlgesetz sein. Die Wirtschaft läuft schlecht, die Kaufkraft sinkt, die Inflation ist mit mehr als sechs Prozent eine der höchsten in der EU. Die Arbeitslosenzahl ist nur leicht gesunken, weil die Regierung Erwerbslose nach drei Monaten zu Kommunalarbeit zwingt und sie aus der Statistik nimmt.

Kredite in Euro und Schweizer Franken, die viele Ungarn in den Boomjahren aufgenommen haben, können sie jetzt häufig nicht mehr zurückzahlen, weil der Wechselkurs des Forint schlechter ist. Die Banken, bis auf eine einzige Ausnahme Töchter westeuropäischer Institute, bleiben auf ihren Forderungen sitzen, ziehen ihr Kapital ab und vergeben kaum noch Kredite, was wiederum die Unternehmen lähmt. Seit Monaten treten die Verhandlungen mit dem IWF auf der Stelle, eine Nothilfe ist angesichts der „unorthodoxen“ Maßnahmen Orbans nicht in Sicht.

Entsprechend niedrig sind die Umfragewerte von Fidesz, die Opposition verbessert sich. Ende Oktober verkündete der parteilose Ex-Premier Gordon Bajnai die Entstehung des neuen Bündnisses „Gemeinsam 2014“, das Bewegungen wie Szolidaritas, aber auch die demokratischen Oppositionsparteien zusammenführen soll mit dem Ziel, Orban bei den nächsten Wahlen abzusetzen. Die jüngsten Umfragen deuten darauf hin, dass Bajnais Rechnung aufgehen könnte, zumal seine Wirtschaftskompetenz und sein Ansehen wenig umstritten sind. Das neue Wahlrecht aber würde einen Sieg der Opposition unwahrscheinlicher machen. Deshalb kündigte der Vorsitzende der Sozialisten, Attila Mesterhazy, an, dass seine Partei das Verfassungsgericht einschalten wird. „Vielleicht haben wir wieder Glück“, hofft Udvarhely.

Silviu Mihai [Budapest]

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