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Politik: Ungefähr nach vorn

Bei ihrer Klausur in Kreuth sucht die CSU-Landesgruppe um Parteichef Stoiber nach ihrer neuen Rolle

Von Robert Birnbaum

Drunten im Kreuther Tal stehen zwei hellgraue Limousinen mit einem Blaulicht auf dem Dach und haben Zeit. Man könnte meinen, der Herr im sandfarbenen Cordsakko vorn auf dem Beifahrersitz habe halten lassen, um die meterhoch im Schnee versunkene Bergidylle in angemessener Muße zu bestaunen. Die Sache ist aber prosaischer. Edmund Stoiber ist zu früh dran. Er muss warten, bis er hochfahren kann zum historischen Wildbad, wo die CSU-Landesgruppe noch beim Frühstück sitzt. Kreuth ist ein symbolschwangerer Ort. Dass der CSU- Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident warten muss – es illustriert gut die neue Bescheidenheit des politischen Verlierers des Jahres 2005. Wo er sich sogar von Horst Seehofer schon hat trösten lassen müssen mit der Versicherung, nein, die Bundestagsabgeordneten würden den Parteichef nicht kritisieren.

Das haben sie tatsächlich nicht getan. Überhaupt hat das zurückliegende Jahr bei der 30. Kreuther Klausur keine Rolle gespielt, außer dass der Generalsekretär Markus Söder noch einmal über die schädliche Wirkung des Professors Kirchhof auf den Unionswahlkampf referiert hat, was sinngemäß hieß: Wir sind’s nicht schuld gewesen. Ansonsten aber folgen in den ausgiebigen Redebeiträgen alle der inoffiziellen Losung, die ein Abgeordneter auf die Formel bringt: „Wir müssen nach vorn schauen und die Chance nutzen, dass wir wieder mitregieren.“

Der Blick nach vorn freilich – er geht ins Ungewisse. Man erkennt das unschwer an den Schwierigkeiten des neuen Landesgruppenvorsitzenden Peter Ramsauer, die Rolle der kleinen bayerischen Regionalpartei in der großen Koalition in passende Metaphern zu fassen. Von einer Brücke zwischen zwei großen Tankern CDU und SPD spricht er oder auch von der „Scharnierfunktion“ der CSU. Ramsauer ist Müllermeister, nicht Tischler, sonst hätte er gemerkt, dass der Vergleich mit dem Scharnier ein vertracktes Bild ist: festgeschraubt am Türblatt einer- und am Rahmen andererseits, muss es jede Bewegung mitmachen und kann dazu höchstens mal ein bisschen quietschen.

Nun wäre die CSU nicht die CSU, würde sie nicht diese minimale Freiheit gleich mal ausprobieren. Der Wirtschaftsminister Michael Glos ergreift die günstige Gelegenheit der russisch-ukrainischen Gaskrise, um Stimmung zu machen für einen Weiterbetrieb „unserer sicheren Kernkraftwerke“ – das geht gegen die SPD. Die ganze Landesgruppe wiegt bedenklich den Kopf über Kombilöhne – das geht gegen die CDU. Das Scharnier quietscht also. Als Grundausrichtung für die kommenden vier Jahre reicht das aber kaum aus, und so nimmt Ramsauer Zuflucht zu einer sehr alten Identitätsbeschreibung der CSU: dem Schlachtruf „Bayern vorn“. Dazu genügt es, das „Erfolgsrezept einer erfolgreichen Volkspartei“ zu beschwören und Stichworte wie „sozialer Ausgleich“, „Reformerfahrung“ und „Kompetenz“ fallen zu lassen – schon ist Eigenständigkeit behauptet.

Das Rezept hat freilich eine notwendige Zutat, womit wir wieder beim Stoiber wären. Der, so versichern alle, sei wieder ganz der Alte. Ramsauer vermeldet sogar, bei Stoibers Formtief habe es sich um ein „scheinbares Phänomen“ gehandelt, „das auch als scheinbares Phänomen wie weggeblasen ist“. Eine flüchtige Sonderform des bekannten Kreuther Geists? Zumindest entspricht sie genau der Interessenlage der „Berliner“ Christsozialen: Ruhe an der Heimatfront ist Mindestbedingung dafür, dass die 46 Abgeordneten irgendeinen Einfluss in der großen Koalition ausüben können. Weshalb Seehofer die arglistige Frage, ob er sich nötigenfalls den CSU-Vorsitz zutrauen würde, denn auch als eine zurückweist, die sich nicht stelle – „im nächsten Jahrzehnt nicht“.

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