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Ungeordnete Interferenz: Rösler macht neuen Vorschlag zur Griechenlandrettung

Nach dem missglückten Vorstoß mit der "geordneten Insolvenz" wagt Wirtschaftsminister Philipp Rösler nun einen neuen Anlauf und schlägt eine "Resolvenz" für überschuldete Euro-Staaten vor. Was bedeutet das?

Von Robert Birnbaum

Für seine Spekulationen über eine „geordnete Insolvenz“ Griechenlands hat Philipp Rösler reichlich Prügel eingesteckt. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister Rösler, so lautete der Tenor, habe zur Unzeit und ohne jede Rücksicht auf die Folgen an den Märkten über eine Staatspleite des größten europäischen Schuldensünders räsoniert. Aber auch den Druck, den die Euro-Skeptiker in seiner eigenen Partei ausüben, konnte er dadurch nicht mindern: Am Dienstag teilten die Initiatoren eines Mitgliederentscheids gegen den Rettungsschirm ESM mit, dass sie dafür nun genügend Unterschriften eingesammelt hätten. Die Parteispitze ist gegen den Mitgliederentscheid. Und Rösler selbst versucht mit präzisierten Vorschlägen, das Unbehagen der Liberalen zu kanalisieren und ins Konstruktive zu wenden. In einem Schreiben an Finanzstaatssekretär Jens Asmussen setzt sich Röslers Staatssekretär Stefan Kapferer dafür ein, ein Verfahren zur „Resolvenz“ für überschuldete Euro-Staaten zu entwickeln.

Was ist mit Resolvenz gemeint?

„Resolvenz“ ist eine Wortneuschöpfung, die wohl nach der Einführung der Privatinsolvenz aufgekommen ist. Wer solvent ist, also „flüssig“, hat Geld und Kredit; dem Insolventen mangelt es daran. Resolvenz umschreibt mithin ganz allgemein einen Prozess, sich aus einer Überschuldung zu lösen und wirtschaftlich wieder Grund unter die Füße zu bekommen. In diesem Sinne benutzt ihn jetzt auch der Wirtschaftsminister: „Erforderlich ist ein geordnetes Verfahren zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes“, heißt es in dem Schreiben, über das die FAZ zuerst berichtete. Und um gar nicht erst Anlass für neue Prügel zu liefern, wird versichert, dass es nicht um „Pleite“ gehe, sondern darum, die Griechen wieder „fit“ zu machen.

Derlei Vorbeugung gegen Missverständnisse ist sicher nützlich. Rösler reist Ende der Woche nach Griechenland. Die Tour ist länger geplant. Eingeladen als Begleiter sind deutsche Unternehmer, die die Möglichkeiten für Investitionen in dem angeschlagenen Mittelmeerstaat erkunden wollen. Rösler will sich zudem ein Bild davon machen, welche technischen und personellen Hilfestellungen die Griechen brauchen, um ihre ineffiziente Verwaltung in Gang zu kriegen. Einem deutschen Minister, der mitten in extrem heiklen Verhandlungen mit den Europäern über die nächste Hilfszahlung sozusagen den Pleitegeier nach Athen tragen würde, wäre frostiger Empfang gewiss. Der Befürworter einer „Resolvenz“ kann vielleicht mit freundlicherem Klima rechnen.

Welche Absicht verbindet Rösler mit seinen Überlegungen? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Mit Röslers Definition ist freilich auch klar: Es geht hier nicht um eine grundsätzliche Alternative zum jetzigen Vorgehen der Kanzlerin in der Griechenland-Rettung, sondern um eine Ergänzung für spätere Zeiten. Konkret würde Rösler den Resolvenz-Gedanken nämlich gern in dem Vertrag für den ständigen Euro-Rettungsschirm ESM verankert wissen. Über dieses Instrument, das ab 2013 den gerade vom Bundestag beschlossenen provisorischen Schirm EFSF ablösen soll, müssen die Parlamente der Euro-Zone Anfang 2012 abstimmen. Bisher liegt nur ein erster ESM-Vertragsentwurf aus Brüssel vor.

Ein zentraler Unterschied zum EFSF besteht darin, dass der ESM Klauseln für den Fall einer Umschuldung enthält. Diese sogenannten „Collective Action Clauses“ (CAC) sind ein bewährtes Instrument aus der Praxis des Weltwährungsfonds (IWF). Sie stellen sicher, dass sich eine Minderheit von Gläubigern, aber auch der überschuldete Staat selbst einer Umschuldung nicht verweigern darf, wenn die Mehrheit der Schuldner sie fordert. Umgekehrt heißt das, dass private Investoren sich an den Kosten eines Staatsbankrotts beteiligen müssen. Rösler ist das aber alles noch nicht klar genug geregelt: Die bisherigen ESM-Regeln ließen zu viel Spielraum für politisch motivierte Entscheidungen. Wann und unter welchen Bedingungen ein Schuldenstaat umgeschuldet werde, müsse aber in einem objektiven Verfahren festgelegt und von einem unabhängigen Gremium überwacht werden. Wenn Schuldner und Verschuldete sich über die Konditionen nicht einigen wollten, müssten beide Seiten mit empfindlichen Sanktionen rechnen, das Land zum Beispiel mit der Zwangsverwertung von Vermögenswerten, die Gläubiger mit drastischer Abwertung ihrer Schuldentitel.

Wie wurden Röslers Vorschläge aufgenommen?

Die Reaktionen fallen verhalten aus. CDU-Wirtschaftspolitiker wie der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Fraktionsvize Michael Meister nennen es eine „sinnvolle Sache“, ein solches Verfahren zu entwickeln. Andere wie CSU-Chef Horst Seehofer mäkeln, Röslers „Resolvenz“ sei nur ein neues Wort für Dinge, über die seit Wochen und Monaten alle diskutierten. Seehofers abfälliger Kommentar mag freilich terminliche Gründe haben: Genau zu der Zeit, in der der FDP-Kollege in Athen ist, diskutiert in Nürnberg ein CSU-Parteitag über die Zukunft des Euro und Europas. In Sachen populärer Gesten gegen Schuldensünder legt Seehofer auf seine Führungsrolle wert. Die CSU will hartnäckige Schuldensünder notfalls gar aus dem Euro drängen.

Reagiert hat übrigens auch der formelle Adressat des Schreibens, das Finanzministerium. Zu den Gesprächen über Gläubigerbeteiligung könnten Röslers Vorschläge „sicherlich fruchtbar beitragen“. Eine kleine Bosheit kann sich Wolfgang Schäubles Haus aber nicht verkneifen: In Brüssel werde gerade erst über die Richtlinien für den EFSF verhandelt, „bevor wir uns dem permanenten Stabilitätsmechanismus ESM widmen“. Mit anderen Worten: Gemach, Kollege!

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