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Unions-Fraktionschef Volker Kauder im Interview: „Knallrot würde uns schwer schädigen“

Unions-Fraktionschef Volker Kauder bekräftigt Tagesspiegel-Interview Merkels Kritik an der Europapolitik der SPD. Gleichzeitig warnte Kauder die Wähler vor der „Alternative für Deutschland“ AfD, spricht über Rot-Rot-Grün, die Lage in Syrien, die Kosten der Euro-Rettung und schlechte Erfahrungen mit Experten.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

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Herr Kauder, ist es nicht an der Zeit, der SPD Danke zu sagen?
Wofür?

Die Sozialdemokraten haben der Euro-Rettungspolitik der Koalition in den zurückliegenden Jahren zugestimmt.
Niemand bestreitet, dass die SPD sich in der Euro-Rettungspolitik im Sinne unseres Landes richtig verhalten hat. Als wir in der Opposition waren, haben wir uns ähnlich verhalten und beispielsweise den Hartz-Reformen zugestimmt. Es muss in der Politik in erster Linie um die Sache und das Land gehen.

Warum wirft ihnen die Kanzlerin jetzt vor, sie seien europapolitisch unzuverlässig?
Die Bundeskanzlerin hat das ganz konkret auf die Euro-Politik bezogen, die die SPD in Zukunft machen will. Die strebt nun Euro-Bonds und eine Schuldenunion an, nachdem in der SPD dazu schon unterschiedlichste Positionen vertreten worden sind. Allen voran der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der sonst immer gern anderen Noten erteilt. Wie oft der sich schon in der Vergangenheit widersprochen hat! Ist das zuverlässig?

Bisher hat Angela Merkel die Opposition im Wahlkampf nicht frontal angegriffen. Wird der Ton jetzt rauer?
Europa ist ein wichtiges Thema. Bisher hieß es immer, zwischen Union und SPD gebe es da keine Unterschiede. Der wehleidige Ton der SPD gibt uns nun Gelegenheit, auf die Unterschiede hinzuweisen.

Haben Sie die Sorge, dass die Debatte über die Europapolitik der „Alternative für Deutschland“ hilft?
Die Meinungsforscher können uns das nicht sagen. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Bürger klug wählen werden. Die Menschen wissen, dass die Partei nur ein Thema hat. Sie hat kein richtiges Programm und zur Euro-Rettungspolitik sagt sie eigentlich nur eins: Nein, ohne aber die Folgen des Neins für Deutschland und seine Bürger richtig zu beschreiben. Das ist zu wenig und wird auch Europa nicht gerecht, das gerade für uns in Deutschland Frieden und Wohlstand bringt. Die Menschen wissen auch, dass viele Parteien im Bundestag dessen Handlungsfähigkeit erschweren. Das wollen sie nicht.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

© Thilo Rückeis

Der Vorwurf, die Koalition sage über die Kosten für Griechenland nicht die Wahrheit, überzeugt aber offensichtlich Wähler.
Wenn einige Prozent eines 80-Millionen- Volkes eine andere Auffassung haben, dann heißt das noch lange nicht, dass diese Positionen überzeugen. Und was die Wahrheit betrifft: Wir haben diese immer gesagt. Wolfgang Schäuble hat schon 2012 gesagt: Wenn die Griechen ihre Reform-Hausaufgaben machen, dann sind wir bereit, ihnen weiter zu helfen. Wir müssen die weiteren Wirtschafts- und Haushaltsdaten in Griechenland aber zunächst abwarten. Es muss auch nicht unbedingt ein drittes Hilfspaket sein. Man könnte Griechenland auch Zuschüsse für Investitionen aus den bereits eingezahlten Mitteln des Europäischen Struktur- und Sozialfonds geben, ohne dass Griechenland dafür Eigenmittel aufwenden muss.
In der letzten Fraktionssitzung hat Angela Merkel vor einer rot-rot-grünen Koalition gewarnt. Hat die Union so viel Angst, dass sie die roten Socken wieder hervorholt?
Die Angebote der Linkspartei an SPD und Grüne sind doch nicht zu überhören. Die gehen ja sogar schon mit ihren Vorstellungen über die Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes runter, um sich bei SPD und Grünen anzudienen. Auch in der SPD und bei den Grünen wird doch intern und auch schon öffentlich über Rot-Rot-Grün nachgedacht. Auch Peer Steinbrück öffnet langsam die Tür und spekuliert über Rot-Rot-Grün. Außerdem haben wir ja schon faktisch rot-rot- grüne Bündnisse. Mit dem rot-roten Brandenburg im Bundesrat betreiben SPD und Grüne ja im Bundesrat bereits Blockadepolitik. Und in Nordrhein-Westfalen hat die SPD gezeigt, dass sie sogar eine Tolerierung durch die Linke mitmacht. Sage doch keiner, dass für die SPD und die Grünen eine knallrote Koalition keine Option ist. Die Feldversuche sind doch in den Ländern längst gelaufen. In NRW hat die SPD die Linke gern als Steighalter zur Macht benutzt. Und daran werden wir die Menschen auch bis zum 22. September erinnern.

Glauben Sie wirklich, dass man Wähler mit der Angst vor den Linken verschrecken kann?
Ich mache keine Angst, sondern warne vor einem instabilen Deutschland, wenn es Rot-Rot-Grün geben würde. Knallrot würde unsere Wirtschaft schwer schädigen und damit auch die Arbeitnehmer – von einer unverantwortlichen Außenpolitik ganz zu schweigen.

Ist Angela Merkels Wahlsieg schon in trockenen Tüchern?
Überhaupt nicht. 40 Prozent der Wähler haben noch nicht entschieden, ob sie zur Wahl gehen und was sie wählen werden. Da ist noch alles drin. Das müssen vor allem unsere Wählerinnen und Wähler wissen.

Lockt die Botschaft der CDU vom schönen Deutschland, in dem alles in Ordnung ist, Ihre Wähler zur Wahl?
Natürlich geht es den Deutschen gut. Aber so muss es auch bleiben. Unsere Wirtschaft soll nicht durch Steuererhöhungsorgie von SPD und Co. in die Knie gezwungen und die Arbeitnehmer nicht belastet werden. Europa wird eine der großen Aufgaben bleiben. Wir müssen eine Föderalismuskommission einrichten, die die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu regelt und die Zusammenarbeit in der Bildung neu gestaltet. Und es wird knapp am 22. September, das muss jeder unserer Anhänger wissen. Angela Merkel bleibt nicht Kanzlerin, nur weil die Umfragen so gut sind.

Schauen wir doch mal auf Ihre familienpolitischen Pläne: Das Berliner Forschungsinstitut DIW hat herausgefunden, dass das Familiensplitting der Union sozial unausgewogen ist. Warum ist Ihnen nicht jedes Kind gleich viel wert?
Zunächst muss man wissen, dass wir beim System des Ehegattensplitting bleiben, das SPD und Grüne abschaffen wollen. Es kommt vor allem Familien mit Kindern zugute. Unser Ziel ist es ferner, das steuerfreie Existenzminimum der Kinder auf das Niveau der Erwachsenen anzuheben. Das entlastet Familien weiter und ist deshalb nicht zu kritisieren.

Die Forscher tun es aber. Sie sagen, es sei sozial ungerecht.
Ach diese Experten ... Die vom DIW haben zum Beispiel vergessen, dass wir bei allen steuerpolitischen Entscheidungen für Familien auch immer das Kindergeld erhöhen. Dass es in Deutschland immer zu einer höheren Entlastung von höheren Einkommen kommt, wenn man das steuerfreie Existenzminimum anhebt, ist eine Frage des Steuersystems und nur zu verhindern, wenn die Steuertarife nicht mehr progressiv ansteigen.

Herr Kauder, das Treffen der Staats- und Regierungschefs der G 20 hat die Gefahr eines militärischen Schlages in Syrien nicht gebannt. Ist das das Ende der Diplomatie?
Ich habe immer noch Hoffnung, dass es eine politische Lösung gibt. Eine Schlüsselrolle kann den Vereinten Nationen zukommen. Ich bin der Meinung, dass die UN, wenn es im Völkerrecht Verbote und Ächtungen gibt ...

... wie in diesem Fall das Verbot zum Einsatz von Chemiewaffen ...
Genau. Wenn es solche Verbote gibt, sollten die UN dafür sorgen, dass diese Verbote auch eingehalten werden. Verbote, deren Verletzung ohne Konsequenzen bleiben, sind nicht überzeugend. Deshalb erwarte ich eine klare Haltung der UN. Sie dürfen nicht zum zahnlosen Krokodil werden.

Sind sie das nicht längst?
Wenn Russland und China ihre Position nicht überdenken, dann werden die UN zu einem solchen zahnlosen Krokodil. Ich hoffe, sie sehen irgendwann ein, dass auch für sie funktionierende Vereinte Nationen von Interesse sind. Vielleicht muss die Stärkung der UN noch mehr Thema in der internationalen Politik werden. Von militärischen Maßnahmen eines Landes im Alleingang verspreche mir überhaupt nichts. Abgestimmte harte Maßnahmen wie der Stopp von Waffenlieferungen wären sicher besser. Im Fall Iran hat man mit der Methode immerhin verhindert, dass Teheran schon die Atomwaffe entwickelt hat, nach all dem, was wir wissen.

Obwohl Syrien unser Nachbar ist, erscheint auch Europa zahnlos. Warum?
Das sehe ich leider auch so. Es wäre wichtig, wenn wir in Europa sagen könnten: Bei unserem Staatenbündnis geht es nicht nur um Euro und Cent, sondern auch um eine gemeinsame Außenpolitik. Wann, wenn nicht nach den schrecklichen Ereignissen in Syrien, will Europa zu gemeinsamen außenpolitischen Betrachtungen und Einschätzungen kommen? Da geht es nicht, dass Frankreich und Großbritannien immer vorpreschen, einen Militäreinsatz beschließen und damit die anderen Europäer vor vollendete Tatsachen stellen, wobei diese Politik in London jetzt aber auch infrage gestellt wird.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Antje Sirleschtov.

Parlamentarier: Volker Kauder (Jahrgang 1949) ist studierter Jurist und sitzt für die CDU seit 1990 im Bundestag. Bisher ist er noch kein einziges Mal über die Landesliste von Baden-Württemberg zu seinem Mandat gekommen – sondern immer direkt gewählt.

Fraktionschef: Kauder war Generalsekretär der CDU und auch Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagfraktion. Seit 2005 ist er Fraktionschef von CDU und CSU. Wenn er an die große Koalition zurückdenkt, dann tut er das vor allem in Erinnerung an seinen verstorbenen SPD-Kollegen Peter Struck mit Wehmut. „Ach, der Peter“, seufzt er dann nach jeder Geschichte.

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