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Politik: Unrecht, das nicht vergeht

Von Bernhard Schulz

Das bedeutendste Gemälde des Berliner Brücke-Museums geht der Stadt verloren. Ernst Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“ von 1913 landet demnächst unter dem Hammer – in New York, wo die Aussichten gut stehen, den kühn geforderten Schätzpreis von 18 bis 25 Millionen Dollar tatsächlich zu erzielen.

Über die Umstände der Rückgabe an die anspruchsberechtigten Erben des einstigen Eigentümers wird derzeit gestritten. Schon ist von Wahlkampfgeschrei die Rede. Doch kaum etwas taugt weniger zum Geplänkel im Wahlkampf als das Problem der Restitution „NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts“, wie der Fachterminus lautet. Es ist vielmehr die deutsche Vergangenheit, die uns unablässig einholt, und nicht nur in Gestalt von Günter Grass.

Eine erkleckliche Anzahl von Restitutionen hat mittlerweile stattgefunden. Die in Berlin beheimatete Stiftung Preußischer Kulturbesitz als größte deutsche Kultureinrichtung ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Andere Häuser mögen ihre Rückgaben nicht immer mit gleich sorgfältiger Abwägung vorgenommen haben, wie zuvor schon in Köln oder Dresden bemängelt wurde.

Insofern ist die Geheimhaltung der eilfertigen Berliner Kulturverwaltung ein schweres Versäumnis. Doch abgesehen davon schützt der gutgläubige Erwerb des Brücke-Museums vor vielen Jahren nicht vor dem Rückgabebegehren der amerikanischen Erben des jüdischen Alteigentümers. Alle Verfahrenskritik, die dem Berliner Senat jetzt entgegengehalten wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Deutschland wie auch andere betroffene Länder mit der Annahme der Washingtoner Erklärung von 1998 zu einem die Anspruchsteller begünstigenden Verfahren bekannt haben. Nunmehr liegt bei hiesigen Institutionen die Beweislast, dass eine Veräußerung zu NS-Zeiten nicht unter Druck und Drohung stattgefunden habe – ein in der Regel kaum mögliches Unterfangen.

Nie wird sich mehr ermitteln lassen, wie viel Eigentum jüdischen Mitbürgern von den NS-Machthabern geraubt worden ist. Kunst- und Kulturschätze machen davon nur einen Teil aus; freilich einen, der mit besonderen Emotionen besetzt ist. Es waren die Kunstwerke im Wohnzimmer, an die sich besondere Erinnerungen knüpfen. Nach dem Krieg ist seitens der Westalliierten zurückgegeben worden, was sich in den Depots staatlicher Einrichtungen auffinden ließ – das war bei weitem nicht alles. Die Praxis der – seinerzeit so genannten – Wiedergutmachung in der jungen Bundesrepublik hatte Lücken; verständlich zwar angesichts der ungeheuren Fülle von Einzelvorgängen, aber eben doch Lücken. Sie zu füllen, ist erst seit wenigen Jahren das Ziel internationaler Übereinkünfte, die die Hürden der von Land zu Land unterschiedlichen Rechtsordnungen im Sinne eines übergeordneten moralischen Anspruchs beiseite geräumt haben.

Wie viele anspruchsbehaftete Kunstwerke noch in deutschen Museen bewahrt werden, lässt sich nicht abschätzen. Dass Restitution ein äußerst lohnendes Geschäft für Anwälte und Auktionshäuser geworden ist, so dass von diesen Seiten eifrig nach weiteren Gelegenheiten geforscht wird, ist schmerzlich und führt zu jenem Wandel der emotionalen Einstellung gegenüber der moralisch begründeten Rückgabepraxis, der am Berliner Kirchner-Fall zu beobachten ist. Doch bleibt die Selbstverpflichtung der Bundesrepublik davon unberührt.

Sie kann eher kühl-geschäftsmäßig befolgt werden wie soeben etwa beim Urteil über die Rückübertragung der Wertheim-Grundstücke am Potsdamer Platz. Sie kann die Gefühle aufrühren wie in aller Regel bei lieb gewonnenen Kunstwerken. Doch es bleibt unausweichlich festzuhalten, dass es das Nazi-Unrecht war, das die Ursache der heutigen Streitfälle darstellt. Diesem Unrecht sich zu stellen, ist eine Verpflichtung, der wir uns, bei aller gebotenen Sorgfalt im Einzelnen, nicht entziehen können. Sie ist der Preis für das Unrecht, das in deutschem Namen begangen worden ist.

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