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Unterstützung für die Führung. Tausende haben am Mittwoch Treue zum Regime demonstriert. Die regierungskritischen Kundgebungen gehen offenbar weiter.

© Mohammad Ali Marizad/AFP

Unruhen im Iran: Wer in der Islamischen Republik das Sagen hat

Ajatollah Chamenei lenkt als Revolutionsführer die Geschicke der Islamischen Republik. Ruhanis Einfluss als Präsident ist begrenzt – die Proteste könnten ihn weiter schwächen

Die Bilder im Staatsfernsehen dürften Irans Konservativen gefallen haben: Zehntausende Menschen, die für das Regime auf die Straße gehen. Die Demonstranten rufen „Führer, wir sind bereit“ oder „Wir geben das Blut in unseren Adern für unseren Führer“.

Die Menge schwenkt Fahnen, hält Bilder von Ajatollah Ali Chamenei in die Höhe und schwört dem starken Mann der Islamischen Republik Treue. Und es gibt Aufnahmen, die Schilder mit der Aufschrift „Unruhestifter“ zeigen – gemeint sind jene Iraner, die derzeit ihrem Unmut über die wirtschaftliche Lage und die Regierenden Luft machen. Das Land kommt nicht zur Ruhe.

Noch ist nicht absehbar, welche Folgen die Proteste haben werden. Fallen sie womöglich schon in wenigen Tage in sich zusammen, weil es sowohl an einem Programm als auch an Strukturen fehlt? Oder entwickeln sich die Kundgebungen zu einer Massenbewegung, die den Herrschenden gefährlich werden könnte?

Bisher allerdings sieht es nicht danach aus. Bei aller Nervosität: Die Machthaber scheinen derzeit nicht ernsthaft beunruhigt. Das politische System hält, wirkt stabil. Es ist ein ganz besonderes, das pseudodemokratische mit theokratisch-autoritären Elementen verbindet.

Chamenei agiert kaum im tagespolitischen Geschehen

Einige zuvor ausgewählte, auf ihre „Eignung“ geprüfte Amtsträger werden zwar vom Volk gewählt. Doch die wahre Macht hat der Oberste Rechtsgelehrte, Revolutionsführer Ali Chamenei, inne. Er gibt Irans innen- und außenpolitische Richtung vor. Sein Wort als höchster Vertreter des Klerus ist gewissermaßen Gesetz. Das heißt, Geistliche entscheiden über Weltliches.

Diese Eigenart der iranischen Verfassung geht auf die Gründung der Islamischen Republik zurück. Nach dem erfolgreichen Aufstand gegen den Schah etablierte der charismatische Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini 1979 ein Welayat-e-Faqih genanntes Verfassungskonzept.

Diese „Staathalterschaft der Rechtsgelehrten“ sichert den Klerikern ein einzigartiges Machtmonopol, das sich letztlich auf den gesamten Staat, die Wirtschaft und die Gesellschaft erstreckt. Ali Chamenei steht als Chomeinis Nachfolger seit 1989 – auf Lebenszeit – an der Spitze dieses Systems, das bürgerliche Freiheiten nicht kennt und Menschenrechten kaum Beachtung schenkt.

Trotz seiner herausgehobenen Stellung und Autorität mischt sich Chamenei nur selten in die Tagespolitik ein. Doch wenn dem Regime Ungemach droht, das Land sich nach Auffassung der Führung in eine falsche Richtung bewegt, dann ist der 78-Jährige zur Stelle.

Wie am Dienstag, als der Schiit in scharfer Form das Ausland für die jüngsten Unruhen verantwortlich machte. „Feinde des Landes“ hätten den Unruhestiftern Geld und Waffen sowie politische Unterstützung zur Verfügung gestellt, um dem Iran zu schaden. Eine Verschwörung sei im Gange.

Gemeint sind damit in erster Linie die USA, Israel und Saudi-Arabien, die von der reaktionären politischen Führung immer wieder gerne und voller Inbrunst verteufelt werden. Ali Chamenei macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Und sein Wort hat Gewicht – mehr als das von Hassan Ruhani.

Ruhanis Macht ist begrenzt

Denn für alles, worüber der vom Volk mit großer Mehrheit gewählte Präsident entscheiden möchte, braucht er in der Regel den Segen des Staatsoberhaupts. Und das heißt Ali Chamenei. Das gilt sowohl für weitreichende Fragen wie Krieg und Frieden, Irans Atomprogramm und Verfassungsänderungen bis hin zur möglichen Freilassung von Gefangenen.

Der Ultrakonservative kann sich dabei auch auf die von ihm kontrollierte Justiz, die Streitkräfte und die sehr einflussreichen paramilitärischen Revolutionsgarden stützen.

Für Ruhani bleibt da nicht viel Macht übrig. Durch die Unruhen könnte es noch weniger werden. Beobachter sind sich recht sicher, dass er und seine Regierung Einfluss einbüßen. Schließlich hat der 69-jährige Pragmatiker dem Volk versprochen, mit dem Nuklearabkommen werde sich endlich ihre oft prekäre Lebenssituation merklich verbessern.

Doch aus vielen Gründen konnte Ruhani bisher nicht liefern. Vor allem auch, weil die Hardliner keine Gelegenheit auslassen, die Politik des Präsidenten zu hintertreiben. Der Unmut der 80 Millionen Iraner über Arbeitslosigkeit und hohe Preise wächst. Damit verliert Ruhani wichtigen Rückhalt – was wiederum die Position von Chamenei und der herrschenden Obrigkeit stärken dürfte.

Für die Protestierenden könnte dies ein deutlich härteres Vorgehen des Regimes zur Folge haben. Allerdings halten sich die Machthaber mit besonders drakonischen Gegenmaßnahmen im Moment zurück. Wohl ahnend, dass die Lage dann völlig außer Kontrolle geraten könnte.

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