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Seit Tagen kommt es in Barcelona zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei.

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"Uns hört keiner zu": In Spanien entlädt sich die Wut der Jugend

In Barcelona und anderen Städten gehen sie auf die Straße und protestieren. Corona-Frust und Jobkrise verbinden sich zu einer explosiven Mischung.

Erst kippt Laia mit anderen Demonstranten in der City Barcelonas einen Glascontainer um. Dann beginnt die junge Frau, Flaschen auf die Bereitschaftspolizisten zu schleudern. Diese antworten mit Gummigeschossen. Eine dieser Gummikugeln trifft Laias Freundin im Gesicht und zerschmettert deren rechtes Auge – eine Tragödie.

Es ist der bisher schwerste Zwischenfall in den nächtlichen Krawallen, die Barcelona seit Tagen erschüttern und bei denen bislang Dutzende Menschen verletzt wurden.

„Ich fühle mich deswegen schuldig“, sagt Laia später dem Radiosender „Ser“. Denn sie und nicht ihre 19-jährige Freundin habe die Beamten mit Flaschen beworfen.

Aber Laia berichtet auch, warum Tausende junge Leute auf die Straße gehen und zum Teil gewaltsam protestieren. „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, damit sie uns zuhören. Offenbar ist der einzige Weg, um noch wahrgenommen zu werden, alles zu zerstören.“

Der spanische Rapper Pablo Hasel wurde Mitte Februar festgenommen.
Der spanische Rapper Pablo Hasel wurde Mitte Februar festgenommen.

© Lorena Sopena/Reuters

Die Randale begann, nachdem die Polizei Mitte Februar in der nordspanischen Stadt Lleida den Rapper Pablo Hasél verhaftete. Die Festnahme war angeordnet worden, weil der 32-Jährige sich geweigert hatte, eine Geldstrafe zu zahlen und deshalb eine Haftstrafe wegen Beleidigung des Königshauses antreten musste. Zudem soll der Gewalt und Terror verherrlicht haben.

Seitdem brennen Barrikaden in der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona, aber auch in Lleida, Valencia und anderen Städten.

Was als Protest für die Meinungsfreiheit begann, weitete sich zu einem Flächenbrand aus, der zunehmend außer Kontrolle zu geraten droht. In Barcelona, dem Epizentrum der Krawalle, werden immer wieder Geschäfte geplündert. Das spanische Fernsehen war bei einem dieser Beutezüge noch vor der Polizei am Tatort – die ganze Nation konnte zusehen, wie vermummte Plünderer Waren aus den Geschäften abschleppten.

Die Schäden sollen in die Millionen gehen

Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, die ihr politisches Engagement in jungen Jahren als Hausbesetzerin begann und üblicherweise großes Verständnis für Proteste der linken Szene hat, zeigte sich entsetzt.

„Die Meinungsfreiheit zu verteidigen rechtfertigt nicht, Mobiliar zu zerstören, den Anwohner Angst zu machen und Geschäfte zu attackieren.“ Die Krawallmacher hätten bereits Schäden in Millionenhöhe verursacht. Gewalt sei kein Ausweg.

Sie sei auch nicht hilfreich, um dem Rapper wieder zur Freiheit zu verhelfen. Aber vielen Demonstranten, die sich Nacht für Nacht Straßenschlachten mit der Polizei liefern, geht es wohl gar nicht mehr um den Rapper Hasél und um die Meinungsfreiheit. „Die jungen Leute haben Angst“, sagt Laia.

Die Gewalt sei für sie eine Art Selbstverteidigung gegenüber einem als ungerecht empfundenen Staat.

Der jungen Generation fehlen Perspektiven

„Wir haben keine Zukunft“, sagt eine andere junge Demonstrantin. Die Verhaftung von Pablo Hasél sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.
Konfliktforscher Jordi Mir Garcia, der an der Universität Barcelona lehrt, spricht von „Frustration, Zorn und fehlenden Perspektiven“ in der jungen Generation. „Die 20-Jährigen sind damit aufgewachsen, immer das Wort Krise zu hören“, sagte er der Zeitung „Ara“. Eine Armuts-, Einkommens- und Jobkrise, die bereits Hunderttausende junge Spanier in die Emigration trieb, weil sie im eigenen Land kein Auskommen mehr finden.

Spanien hat sich bis heute nicht vom großen Finanzkollaps erholt, der 2008 mit einem Immobiliencrash begann, den Staat an den Rand der Pleite brachte und Hunderttausende in den Ruin trieb. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie haben das Elend noch zusätzlich verschärft.

Vor allem junge Menschen gehen auf die Straße.
Vor allem junge Menschen gehen auf die Straße.

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Die Arbeitslosenrate bei den unter 25-Jährigen liegt mittlerweile bei annähernd 40 Prozent. Und wer Arbeit überhaupt findet, muss sich mit befristeten und erbärmlich bezahlten „Müllverträgen“ zufriedengeben.

Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez kündigte an, hart gegen die Randalierer vorzugehen.

„In einer Demokratie ist der Einsatz von Gewalt nicht hinnehmbar.“ Sánchez gab aber zugleich zu, dass in Spanien Reformbedarf bestehe, um künftig weitere Konflikte zwischen provokanten Künstlern wie Pablo Hasél und Staatsanwälten zu vermeiden. „Die Regierung will die Meinungsfreiheit verbessern.“

Zukunftssorgen werden nicht ernst genommen

Ob dies allein schon ausreichen wird, um die Wut der jungen Generation zu besänftigen und den sozialen Großbrand zu löschen, scheint momentan eher fraglich.

Deswegen empfiehlt der spanische Soziologe Carles Feixa, die Zukunftssorgen der Jugend ernster zu nehmen. Denn diese wachse mit dem verhängnisvollen Gefühl auf: „Wenn es nicht brennt, hört uns keiner zu.“

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