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Politik: Unscharfe Perspektiven

Die Stresstests sind gemacht. Wie soll es mit den deutschen Meilern weitergehen?

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Am 11. März zerstörten ein Erdbeben mit der Magnitude 9 und ein darauf folgender Tsunami den Nordosten der japanischen Hauptinsel. In der Folge kam es zu einer Atomkatastrophe im Kraftwerkskomplex Fukushima I, die bis heute andauert. Schon am 17. März hat die Bundesregierung die Reaktorsicherheitskommission (RSK) mit einer Überprüfung der Sicherheit deutscher Atomkraftwerke vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan beauftragt. Am Dienstag hat die RSK ihren ersten Bericht an Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) übergeben.

Was steht in dem Bericht?

Sechs Wochen lang haben etwa 100 Experten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), der Technischen Überwachungsvereine und weitere Gutachter die Antworten der Atomkraftwerksbetreiber auf einen Fragenkatalog der Reaktorsicherheitskommission (RSK) ausgewertet. Von Mittwoch vergangener Woche bis zum Montagabend hat die RSK das Material ausgewertet und die 17 deutschen Atomkraftwerke nach drei neu definierten Robustheitsstufen eingeordnet. Das Ergebnis ist ein Bericht mit 116 Seiten, der viele Fragen offen lässt, aber einige auch beantwortet.

Das Fazit lautet, dass die deutschen Atomkraftwerke über Sicherheitsreserven für den Fall einer großen Naturkatastrophe oder eines lang anhaltenden Stromausfalls verfügen. Die RSK hat den Versuch gemacht, den Abstand zwischen der „Basisauslegung“, damit ist eine genehmigte Anlage gemeint, und dem „Restrisiko“, das von der Allgemeinheit getragen werden muss, neu zu definieren. Dafür haben die Atomexperten drei neue Sicherheitsstufen definiert. Im Level 1 wird verlangt, dass durch sogenannte Notfallmaßnahmen der komplette Ausfall der Kühlung verhindert werden kann. Im Level 2 verfügt die Anlage über ein sogenanntes passives Sicherheitssystem, das dies automatisch gewährleisten kann. Im Level 3 ist der Ausfall „praktisch ausgeschlossen“, sagte der RSK-Vorsitzende Rudolf Wieland.

Kein deutsches Atomkraftwerk erfüllt bezogen auf die Themen des vorgenommenen Stresstests durchgehend die Level 2 und 3. Die meisten erfüllen jedoch Level 1, wenn auch nicht auf jedem Feld. So erfüllt beispielsweise das Atomkraftwerk Unterweser zwar die Anforderung, einem in seiner Stärke einmal in 10 000 Jahren auftretenden Hochwasser standhalten zu können. Das war wie bei allen Anlagen das Genehmigungskriterium. Doch höheren Überschwemmungen dürfte es nach Einschätzung der RSK kaum standhalten. Dafür schnitten fast alle Meiler bei der Erdbebensicherheit sehr gut ab. Bei allen anderen Kriterien sind die Ergebnisse sehr differenziert. Die RSK hat sich selbst weitere sechs Prüfaufträge erteilt, die in den kommenden Monaten abgearbeitet werden sollen. Und bei einigen Themen reichten die Informationen nicht aus, um die Anlagen in die drei Sicherheitsstufen einordnen zu können.

Welche Folgen hat das?

Es kann als einigermaßen sicher gelten, dass die Atomkraftwerke, die wegen des Moratoriums abgeschaltet waren, nicht mehr ans Netz gehen werden. Das klarste Kriterium dafür ist die Robustheit gegen Flugzeugabstürze, Explosionswellen und Treibstoffbrände.

Die Atomkraftwerke Biblis A und B, Brunsbüttel und Philippsburg 1 sind gar nicht auf Flugzeugabstürze ausgelegt. Die Anlagen in Unterweser, Isar 1 und Neckarwestheim 1 würden den Absturz eines kleinen Flugzeugs von der Größe eines Starfighters überstehen. Die zehn neueren Anlagen könnten einer Phantom widerstehen. Doch kein deutsches Akw ist darauf ausgelegt, den Absturz einer großen Verkehrsmaschine auszuhalten. Und das, gab Röttgen am Montag zu, „haben wir auch schon vor dieser Überprüfung gewusst“ – und bei der Entscheidung, die sieben ältesten Anlagen vorübergehend vom Netz zu nehmen, berücksichtigt. Darüberhinaus zog Röttgen das Fazit, dass „es auch nach diesem Bericht verantwortbar ist, nicht sofort aus der Atomenergie auszusteigen“.

Wie reagiert die Opposition?

Sigmar Gabriel ist früh aufgestanden, um seine Sicht der Dinge unters deutsche Volk zu bringen. Veraltete Prüfkriterien, viel zu wenig Zeit, kurz: nicht aussagekräftig sei der Bericht der RSK – im ZDF-Morgenmagazin verreißt der SPD-Chef das Papier, bevor es überhaupt veröffentlicht ist. „Sie brauchen, um ein Kraftwerk wirklich zu überprüfen, ein bis eineinhalb Jahre“, rechnet Gabriel vor. Das stimmt, geht freilich souverän darüber hinweg, dass nie jemand behauptet hat, der Atomkraftwerkspark werde in ein paar Wochen auf Herz und Nieren überprüft. Doch dem Ex-Umweltminister liegt so wenig an einer technischen Fachdebatte wie seinem amtierenden Nachfolger. Dass und wie sich Gabriel zu Wort meldet, zielt auf den zentralen Punkt in der schwarz-gelben Atomwende: die Glaubwürdigkeit. Gerade in den eigenen Reihen nehmen den Spitzen von CDU, CSU und FDP nach wie vor viele nicht ab, dass ihr Gesinnungswandel in der Atomfrage echt ist. Für Röttgen und seine Kanzlerin ist es deshalb eminent wichtig, einen Ausstiegsbeschluss als sachlich gut begründet präsentieren zu können. Deshalb der Bericht der Reaktorsicherheitskommission, deshalb demnächst der Bericht der Ethikkommission – genau deshalb aber auch der Versuch des SPD-Chefs, den Prüfern Seriosität abzusprechen.

Wie reagieren die Atomaufsichtsbehörden in den Ländern?

Noch in jeder Plenarwoche des hessischen Landtags wurde bislang erbittert über die Atommeiler in Biblis gestritten. Für SPD, Grüne und Linke sind sie seit Jahren Schrottreaktoren. Für CDU und FDP galt Biblis bis zur Katastrophe von Fukushima als unverzichtbar und sicher. Im Vergleich dazu geradezu prosaisch wirkte am Dienstag das endgültige Aus für dieses einzige hessische Atomkraftwerk. Mit einer kurzen Erklärung im Foyer des Landtags besiegelten Ministerpräsident Volker Bouffier und seine Umweltministerin Lucia Puttrich (beide CDU) den hessischen Atomausstieg. Wenn jetzt die Reaktorsicherheitskommission das Restrisiko durch einen Flugzeugabsturz auf Biblis A oder B anders bewerte als in den Jahren davor, werde das den Ausschlag geben, sagte der Ministerpräsident. Zwar sei dieses Risiko seit Jahren bekannt. Wenn aber die Fachleute jetzt zu der neuen Empfehlung kämen, dieses Risiko sei nicht hinzunehmen, „kann es nicht bleiben, wie es ist“, sagte Bouffier. Er hatte bislang den rasanten Kurswechsel seiner Parteivorsitzenden in der Atompolitik eher skeptisch begleitet. Auch am Dienstag erwähnte er eine mögliche Nachrüstung. Doch auch Bouffier weiß, dass das eine eher theoretische Option ist. Für den Ausstieg bedürfe es jetzt einer belastbaren Rechtsgrundlage, die die Bundesregierung vorlegen müsse.

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