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Politik: „Unsere Ideen müssen anstecken“

VW-Manager Peter Hartz glaubt an mehr Jobs in Deutschland – wenn die ganze Gesellschaft mitmacht

In den vergangenen Wochen sind Sie mit Ihrer Kommission mitten in den Wahlkampf geraten. Als Sie am Freitag im Französischen Dom in Berlin Ihre Ideen der Öffentlichkeit vorgestellt haben, fehlten Union, FDP und die Vertreter der Industrie. Sind Sie enttäuscht?

Es ist kein Spaziergang, Menschen für etwas zu gewinnen. Viele Kommentare werden aber dem Bericht nicht gerecht. Wir haben ja darauf geachtet, alle einflussreichen Gruppen der Gesellschaft einzubinden, deren Umsetzung für die Unterstützung des Konzeptes nötig ist: die Parteien, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber. Wir haben lange genug lamentiert. Warum versuchen wir es jetzt nicht einfach mal? Als Architekt können Sie 20 Jahre lang eine neue Bauhaus-Schule entwickeln. Sie können aber auch gemeinsam mit einem Statiker und ein paar Handwerkern in den nächsten Baumarkt gehen, das Baumaterial holen und am nächsten Tag mit dem Bau beginnen. Dann haben wir vielleicht nicht den perfekten Bauhaus-Stil, aber ein doch sehr ordentliches Haus.

Wird nach den Bundestagswahlen eine sachliche und unaufgeregte Diskussion über Ihre Vorschläge möglich sein?

Schlimm wäre es, wenn man wieder zur Tagesordnung übergehen würde. Die Stärke der Kommission und des Berichts ist, dass wir alle Beteiligten mitgenommen haben bis an die Grenze dessen, was sie vor und nach der Wahl vertreten können. In der Kommission waren doch Vertreter all dieser gesellschaftlichen Gruppen. Glauben Sie, wir haben uns die ganze Arbeit leicht gemacht? Wir haben gerungen, Ideen verworfen, neue entwickelt, wieder verworfen, weil wir alle dasselbe Ziel hatten: ein realistisches wirksames Konzept, das alle mittragen können und das ohne großen Aufwand umgesetzt werden kann.

Sind Sie von Ihrem Auftraggeber – der Bundesregierung – im Stich gelassen worden?

Nein. Es war mutig, im Vorfeld der Bundestagswahl dieses Projekt anzugehen. Die Bundesregierung wusste, dass unabhängige und überparteiliche Experten in dieser Kommission saßen. Wir hatten überlegt, ob wir den Bericht vor oder nach der Bundestagswahl präsentieren sollen. Aber weil es nicht die Arbeitslosen des einen oder anderen Kanzlers sind, weil die Nichtbetroffenen der Arbeitslosigkeit bislang viel zu gleichgültig gegenüberstanden, waren wir uns alle einig, dass der Bericht so schnell wie möglich fertig werden musste.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich voll hinter die Arbeit der Kommission gestellt.

Für die Umsetzung eines solchen Konzepts braucht man die Kanzlermacht. Ein einzelner Fachminister wäre überfordert, weil mehrere Ressorts von den Vorschlägen betroffen sind. Das ist ein Reformprozess, der die ganze Gesellschaft berührt. Daher kann auch eine Bundesregierung eine solche Reform nicht alleine stemmen. Deshalb schlagen wir ja die Mitarbeit der Profis der Nation vor: Jeder in dieser Gesellschaft soll seinen Beitrag leisten. Ist das denn zuviel verlangt?

Manche sagen, eine Reform ist nur dann möglich, wenn es einem richtig schlecht geht. Geht es uns schlecht genug?

Der Zeitpunkt ist überfällig. Die Zeit ist reif für Reformen. Arbeitslosigkeit muss ein Gesicht bekommen.

Ist die Gesellschaft auch reif für Ihr Papier?

Ich glaube, man kann eine Aufbruchsstimmung erzeugen, ich denke, man muss sie auch erzeugen. Wir müssen die Menschen mit unseren Ideen anstecken. Jeder kann einen zumutbaren Beitrag leisten, damit endlich die vielen Millionen Arbeitslosen in dieser Gesellschaft wieder Anschluss finden.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sagt, die Menschen hätten Angst vor Veränderungen.

Zur Angst vor Veränderung kommt sicher auch ein Stück Bequemlichkeit und Egoismus. Aber ist es die Sache nicht wert?

Zu Ihrem Konzept. Florian Gerster, Vorstandschef der Bundesanstalt für Arbeit, hat bedauert, dass Sie auf pauschale Einschnitte beim Arbeitslosengeld verzichtet haben.

Kollektive Kürzungen treffen auch die Arbeitslosen, die unverschuldet in diese Situation geraten sind. Mit den individuellen Kürzungen können wir die gleichen Ziele erreichen. Wer sich am ersten Tag der Kündigung nicht meldet, kann sein Arbeitslosengeld gekürzt bekommen. Wer einen zumutbaren Job nicht annimmt, auch. Wir führen die Umkehr der Beweispflicht ein – alles Maßnahmen, die sofort nach Einführung greifen. Außerdem wäre es unmöglich gewesen, pauschale Kürzungen durchzusetzen: CDU, SPD und Gewerkschaften waren dagegen. Wie wollen Sie dafür eine Mehrheit gewinnen?

Sie setzen in Ihrem Konzept auf Leiharbeit.

Die Leiharbeit hat sich in vielen Ländern Europas bewährt, in Holland und in Dänemark. Arbeitslose werden an Unternehmen ausgeliehen, können zeigen, was sie zu leisten bereit sind, können betriebsnah ausgebildet werden, können aber auch, wenn sie dem Unternehmer nicht zusagen, jederzeit wieder in die Personal Service Agentur zurückgeschickt werden. Damit haben die Unternehmen hohe Flexibilität in der Auswahl, aber wir haben trotzdem keine amerikanischen Verhältnisse nach dem Prinzip Hire and Fire.

Kritiker haben sich an dem Ziel gerieben, die Zahl der Arbeitslosen in den kommenden drei Jahren um zwei Millionen zu reduzieren. Waren Sie zu optimistisch?

Bei unseren Rechnungen haben wir sogar noch Vorsicht walten lassen. Zum Beispiel 230 000 machbare neue Ausbildungsplätze für Jugendliche haben wir darin gar nicht mitgerechnet. Aber selbst wenn es nur 1,9 Millionen würden – wäre das ein ernsthafter Grund, das Konzept jetzt nicht anzugehen?

Die Arbeitslosenquote sinkt noch nicht am ersten Tag – woher kommen Einsparungen?

Die Arbeitsämter können am 1. Januar 2003 mit der Leiharbeit beginnen, die schnellere Vermittlung kann greifen. Das bringt schnell Einsparungen. Wir können mit den derzeitigen Ressourcen der Bundesanstalt ohne Bundeszuschüsse auskommen. Nach unseren Berechnungen wird man sogar in absehbarer Zeit den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber um jeweils ein Prozentpunkt senken können.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov.

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