zum Hauptinhalt

Politik: Unter Kontrolle

Bei den Lokalwahlen in der Ukraine fürchtet die Opposition Fälschungen – in Odessa liegt ihr Kandidat vorn

Mark zieht den Pullover hoch und reibt sich die Hände. Es ist kalt geworden in Odessa am Schwarzen Meer. „Keine Wahlfälschungen!“, steht auf seinem Zelt. „Wieder wollen sie unsere Stimmen klauen“, sagt Mark Sokolow vom Bürgerkomitee „Freies Odessa“. Mit drei Dutzend weiteren besorgten Bürgern steht er vor der städtischen Wahlkommission unweit des Hauptbahnhofs. Wie in Zeiten der „Orangenen Revolution“ haben sie Protest- Zelte aufgestellt. Im dritten Stock des modernen Gebäudes hat sich die Wahlkommission zu einer nächtlichen Sitzung getroffen. In letzter Minute sind Kandidaten der Opposition von den Wahllisten gestrichen worden. Doch Wahlleiter Aleksander Achmerow liest mit stoischer Ruhe Gesetzestexte vor. Der Lokalbeamte weiß die neue Macht in Kiew hinter sich.

Kaum an der Macht, hatte Präsident Viktor Janukowitsch in Odessa einen neuen Gouverneur bestimmt. Im März wurde Julia Timoschenko als Regierungschefin durch den pro-russischen Mykola Asarow ersetzt. Seitdem hat Janukowitschs „Partei der Regionen“ (PRU) sämtliche wichtigen Posten im Land besetzt. Einzig die Stadtparlamente und Bürgermeisterämter sind noch nicht unter seiner Kontrolle.

Die Lokalwahlen vom Sonntag sollten dies ändern. Um den Durchmarsch auch auf lokaler Ebene zu sichern, hat die neue ukrainische Regierung keine Kosten gescheut. Besonders in Lemberg und Odessa ging es in den vergangenen Wochen hoch her. In beiden Großstädten genießen die bisherigen Bürgermeister große Popularität, gehören aber nicht zur PRU. „Die Wahlkampagne gehörte zum Schmutzigsten, was wir bisher erlebt haben“, klagt Lena Lebedenko im Rathaus von Odessa. Das Umfeld des bisherigen Amtsinhabers sowie ein paar lokale Fernsehstationen seien eingeschüchtert worden, und in der Leitung der Wahlkommissionen sei nur die Regierungspartei vertreten, sagt die Sprecherin von Bürgermeister Eduard Hurwitz. Dennoch lag er bei der Wahl des Stadtoberhaupts vorn: Laut einer Nachwahlbefragung kam Hurwitz auf 47 Prozent, der Kandidat der PRU, Aleksej Kostjusew, auf 36 Prozent.

Nun könnte die bisher pro-russische Hafenstadt zu einem Zentrum der Opposition werden. Denn der Lokalpatriotismus ist hier groß, und Hurwitz gilt als politisch Unabhängiger, der sich seit Jahren für Odessa eingesetzt hat. „Ich bin gegen Janukowitschs PRU, denn anstatt zurück nach Russland zu schauen, will ich nach Europa“, erzählt die Übersetzerin Tatjana vor einem Wahllokal am Gagarin-Prospekt. Wem sie ihre Stimme gegeben hat, will sie nicht verraten. In langen Schlangen stehen drinnen vor allem ältere Bürger an für die fast fünf Meter langen Wahlzettel. Zu wählen galt es neben dem Bürgermeister das Stadt- und Gemeindeparlament. Über 50 Parteien bewarben sich für 120 Sitze, 15 Männer wollten Bürgermeister werden. Eine Chance auf das Bürgermeisteramt der wichtigen Wirtschaftsmetropole hatten aber nur Hurwitz und der Regierungskandidat.

Kostjusews Umgebung hatte in den letzten Tagen vor der Wahl sogar antisemitische Attacken auf den populären Amtsinhaber geritten. Statt sich ums Wohl der Stadt zu kümmern, reise die Familie Hurwitz nach Israel, berichteten regierungsnahe Medien. „Sie werden fälschen, was das Zeug hält“, schimpft Dmitro Ponamartschuk von der Kiewer „Stiftung für unabhängigen Journalismus“ auf die PRU. „Wir befinden uns auf der Schnellstraße zurück zum Autoritarismus à la Kutschma“, sagt der bekannte Aktivist der alten Demokratiebewegung. Die endgültigen Wahlresultate müssen bis spätestens Freitag veröffentlicht werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false