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Politik: Unter Lebensgefahr

Die Kandidaten lassen sich von Drohungen nicht abschrecken – obwohl sie gegen Karsai keine Chance haben

Berlin - In den Bergen haben sie sich schon auf den Weg gemacht. Am Samstag wählen die Afghanen zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihr Staatsoberhaupt – doch in abgelegenen Gegenden gibt es kaum Wahllokale. Ganze Großfamilien sind auf Eseln oder gar zu Fuß unterwegs, um in der nächstgelegenen Stadt ihre Stimmen abzugeben. Die Reise ist lebensgefährlich: Die Taliban haben alle, die an der Wahl teilnehmen, mit dem Tod bedroht. Schon vor der Abstimmung ermordeten sie mindestens 14 Wahlhelfer. Zu ihrem Hauptangriffsziel erklärten die Fundamentalisten jedoch die 18 Kandidaten für das Präsidentenamt. Keiner von ihnen ließ sich davon beindrucken – auch nach einem Anschlagsversuch auf Präsident Hamid Karsai blieben alle im Rennen. Lediglich zwei gaben kurz vor dem Wahltag auf, weil sie sich keine Chancen mehr ausrechneten.

Selbst Massouda Jalal , die einzige Frau im Bewerberfeld, setzte ihre Wahlkampftour trotz der Drohungen unbeirrt fort. Die 41-jährige Kinderärztin nimmt für sich in Anspruch, die einzige „unabhängige“ Kandidatin für das Präsidentenamt zu sein. Bei ihren Wahlkampfauftritten wetterte sie gegen den Einfluss von Kriegsherren und Clanführern und fand damit auch bei Männern Gehör. Schon als Übergangspräsident Karsai sie in sein Kabinett holen wollte, lehnte sie mit der Begründung ab, sie wolle nicht mit Kriegsverbrechern an einem Tisch sitzen. Auf breite Unterstützung kann die Mutter eines Sohnes aber nicht hoffen. Denn auch, wenn Männer und Frauen nach der neuen afghanischen Verfassung gleichgestellt sind, viele Frauen in den Städten wieder arbeiten und ein großer Teil der Mädchen wieder zur Schule geht – kaum einem Mann würde es in den Sinn kommen, für eine Frau zu stimmen. In der Politik wie in den Familien sollen sich Frauen ihrer Ansicht nach auch künftig den Männern unterordnen. Massouda Jalals eigener Mann, der voll hinter ihren politischen Ambitionen steht, scheint da eine Ausnahme zu bilden.

„Der Sieger der Wahl steht ohnehin bereits fest“, sagt ein westlicher Diplomat in Kabul. Er meint Hamid Karsai . Zwar habe der seit dem Jahr 2001 amtierende Übergangspräsident bei seinen Landsleuten weniger Rückhalt als im Ausland, die meisten Afghanen sähen aber keine Alternative zu ihm. „Der 46-Jährige gilt als Garant dafür, dass die Aufbaugelder aus dem Ausland weiter fließen.“ Von dort erhielt Karsai auch wichtige Wahlhilfe: So ließen die USA Ende September den früheren Taliban-Kommandeur Naim Kutschi frei, der auf dem US-Stützpunkt auf Guantanamo inhaftiert gewesen war. Zurück in seinem Dorf erklärte Kutschi überraschend: „Ich stimme für Karsai.“ Hier habe es offensichtlich einen Deal gegeben, heißt in Beobachterkreisen in Kabul – ebenso wie beim Seitenwechsel des früheren Präsidenten Burhanuddin Rabbani, der vor wenigen Tagen noch zu Karsais Todfeinden zählte. Westliche Diplomaten vermuten, dem Ex-Präsidenten seien Zusagen für die Zeit nach der Wahl gemacht worden. Sie fürchten, dass Karsai sein Versprechen dann nicht einhalten wird, Fachleute und keine zwielichtigen Kriegsfürsten in sein neues Kabinett zu holen.

Mit Rabbani hat Karsai einen Trumpf gegen seinen einzigen ernst zu nehmenden Herausforderer in der Hand. Rabbani steht für die ehemalige Nordallianz, jenes von Tadschiken dominierte Bündnis, das unter der Führung des legendären Ahmed Schah Massud den Taliban bis zuletzt Widerstand leistete. Und auf die Stimmen von Massuds Anhängern baut der frühere Erziehungsminister Junis Kanuni . Kanuni,47, gilt als politische Hoffnung der alten Nordallianz. Bei der ersten Bonner Afghanistankonferenz schaffte er es, der ehemaligen Kriegspartei die Schlüsselressorts im Übergangskabinett zu sichern. An seiner Seite stehen zwei politische Schwergewichte: Der bisherige Außenminister Abdullah Abdullah und Mohammed Fahim, bisher Verteidigungsminister und gleichzeitig Herr über die größte Privatarmee des Landes. Mit Karsais Coup scheint das Lager der Nordallianz nun gespalten. Der Riss geht sogar quer durch die Familie Massud. Ein Bruder des Volkshelden geht als Vize für Karsai ins Rennen, ein anderer für Kanuni.

Noch ein großer Name steht auf den Wahlzetteln: Abdul Raschid Dostum . Der 50-jährige Usbekengeneral gehört zu den Dinosauriern der afghanischen Kriegsherren. Im Lauf des mehr als 20 Jahre währenden Bürgerkriegs wechselte er mehrfach die Fronten und setzte sich nach dem Sturz der Taliban im Norden fest. Dort herrschte er schon in den 90er Jahren über mehrere Provinzen. „Ich bin nicht irgendein dahergelaufener Usbeke. Bei mir verkehren ausländische Konsuln“, soll Dostum gesagt haben, als er sich der neuen Zentralregierung unterordnen sollte. Nun will auch er es offenbar einmal mit der Demokratie versuchen. Wie ernst es ihm damit ist, bleibt aber fraglich. Schließlich lebt der grobschlächtige General in seinem Reich nicht schlecht: Seit auf den afghanischen Feldern der Mohn wieder blüht, rollen über Dostums Straßen die Drogentransporte Richtung Tadschikistan – und seine Milizen kassieren reichlich Durchgangszoll. Auch die Einnahmen aus dem legalen Grenzverkehr behält der General wie die meisten afghanischen Lokalherrscher für sich.

Daran wird sich nach der Wahl kaum etwas ändern, denn die Zentralregierung verfügt über weit weniger Truppen als die alten Kämpfer. Ansprüche lassen sich so nur schwer durchsetzen – trotz demokratischer Rückendeckung.

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