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Politik: Unter Physikern

Deutschlands Kanzlerin hat dasselbe studiert wie Polens Premier – vielleicht war ihr Besuch deshalb so ergiebig

In solchen Momenten kann Thomas Mann helfen. Gerade eben haben sie sich erst kennen gelernt, die deutsche Kanzlerin und der künftige polnische Präsident, im vorläufigen Amtssitz Lech Kazcynskis, einem schmucken neoklassizistischen Palais im Zentrum Warschaus. Vor dem großen, etwas verblichenen Wandgemälde, das die tragisch verliebten Sagengestalten Dido und Aeneas vor der antiken Kulisse Karthagos zeigt, hatten die beiden Politiker bei der Begrüßung noch etwas steif in die Kameras gelächelt. Doch als der Pulk abgezogen ist und Angela Merkel mit Kazcynski in einem mit altmodischen Stofftapeten ausgelegten Kaminsaal zum Gespräch zusammenkommt, zeigt sich der nur 1,60 Meter große und fünfundvierzig Minuten Jüngere der beiden Kazcynski-Zwillinge von seiner charmanten Seite: Inmitten seines etwas länglichen Einführungsvortrags erzählt er strahlend vom „Zauberberg“ des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. „Den habe ich gleich zwei Mal gelesen.“

Der ehemalige Warschauer Bürgermeister und bekennende Homosexuellenfeind Kazcynski verriet nicht, mit welchem Charakter des Romans er sich identifiziert. Doch wer Mann schätzt, kann Deutschland nicht schlecht finden – immerhin diese Botschaft nimmt die Kanzlerin mit aus ihrem Gespräch mit dem ab Januar amtierenden polnischen Präsidenten, das ansonsten eher dazu diente, sich kennen zu lernen, als konkrete politische Absprachen zu treffen.

Ganz anders und deutlich weniger unbestimmt verläuft Merkels Begegnung mit dem polnischen Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz. Der in Polen selbst weithin unbekannte Politiker, der wie die Kazcynski-Brüder der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) angehört, hat in Breslau Physik studiert. Vielleicht ein Grund dafür, dass im Gespräch mit Berufskollegin Merkel („Ein guter Besuch“) so viele zählbare Ergebnisse herauskommen.

Der lange und von polnischen Medien zuletzt bizarr überzeichnete Streit um die von Ex-Kanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ohne polnische Beteiligung ausgehandelte Ostsee-Pipeline steht vor einer einvernehmlichen Lösung: Eine deutsch-polnische Arbeitsgruppe soll Möglichkeiten prüfen, wie die Pipeline auch von Dritten genutzt werden kann. Im Gespräch ist eine Stichleitung, eine „polnische Weiche“, die das russische Gas auf dem Weg vom russischen Wyborg nach Greifswald auch nach Polen führen soll. Noch ist zwar unklar, wer diese Stichleitung finanzieren soll. Auch die russische Seite hat sich bislang noch nicht zu Einzelheiten geäußert. Doch der Gesprächsfaden ist geknüpft – und der polnischen Urangst, von den beiden großen Nachbarn übervorteilt zu werden, ist von deutscher Seite begegnet.

Auch bei einem politisch weit wichtigeren Thema kommt Merkel Polen entgegen: Im Streit um den EU-Haushalt in den Jahren 2007 bis 2013 will sie polnische Interessen berücksichtigen und eine Kürzung von Zuwendungen aus Brüssel für die neuen EU-Mitgliedsstaaten vermeiden helfen. Zudem will sie Kazcynski und Frankreichs Präsident Jacques Chirac im kommenden Jahr zu einer Wiederbelebung des „Weimarer Dreiecks“ nach Deutschland einladen. Um das Gesprächsforum zur Abstimmung außenpolitischer Themen und zur Förderung des Jugendaustauschs war es zuletzt still geworden.

In der emotional schwierigsten Ecke der deutsch-polnischen Beziehungen gibt es ebenfalls eine – verhaltene – Annäherung. Nach ihrem Abendessen mit Premier Marcinkiewicz kündigte Merkel an, auf der Ebene der Kultur(staats)minister den deutsch-polnischen Dialog im „Europäischen Netzwerk für Erinnerung und Solidarität“ fortzusetzen. Den Ansatz dieses europäisch ausgerichteten Netzwerks hatte die rot- grüne Regierung als Gegenentwurf zu einem nationalen „Zentrum gegen Vertreibungen“ initiiert. Was jedoch aus dem Projekt von Vertriebenen-Präsidentin Steinbach werden wird – und aus dem im Koalitionsvertrag ankündigten „sichtbaren Zeichen“ des Vertriebenengedenkens in Berlin –, ließ die Kanzlerin offen.

Anders Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): Der hegt schon einmal Sympathie für die am Samstag im Bonner Haus der Geschichte eröffnete Wanderausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“, die im kommenden Jahr auch in Berlin gezeigt wird. „Das kann ein Ansatz sein“, sagt er in Anspielung auf das „sichtbare Zeichen“– und will sich die Ausstellung nach eigenem Bekunden auch anschauen.

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