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Blick auf das Bürgerbüro des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) mit der Webiste-Adresse in Stadthagen (Niedersachsen).

© dpa/Julian Stratenschulte

Untersuchungsausschuss zur Affäre Edathy: Fällt die SPD-Spitze noch über den Fall Sebastian Edathy?

Die halbe SPD-Spitze muss sich heute vor dem Untersuchungsausschuss zum Fall Sebastian Edathy erklären. Vor allem einer muss viele Widersprüche auflösen. Sonst hat die ganze Koalition ein Problem.

Vor dem Finale im Untersuchungsausschuss zur Affäre Sebastian Edathy sind die Akteure in der großen Koalition vor allem um eines bemüht: Normalität. Zumindest versuchen sie diese vorzutäuschen. In der Union bewertet man die Ausgangslage in der Sache naturgemäß etwas anders als die SPD, aber wirklich harte Angriffe gibt es - noch - nicht. Im Gegenteil. Armin Schuster, Obmann der Union, sagt: „Es ist nicht so, dass ich den Tag genießen werde und mich freue, die SPD-Spitze durch die Mangel zu ziehen.“ Und die SPD versucht dem Eindruck entgegenzuwirken, dass man die eigene Spitze im Ausschuss mit Samthandschuhen anfassen werde. „Ich werde kritisch genug fragen“, versichert die Ausschussvorsitzende Eva Högl (SPD).

Aber allen Beteiligten ist klar: Es wird kein Tag wie jeder andere. Die gesamte SPD-Spitze muss sich vor dem Untersuchungsausschuss der Frage stellen, ob sie den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy vor möglichen Ermittlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografievorwürfen gewarnt hat, sodass er Beweismittel vernichten konnte. Wäre dem so, könnte das sogar strafrechtlich relevant sein. Politisch heikel wäre es allemal. Rücktritte wären dann nicht mehr ausgeschlossen, was das Gefüge und die Stimmung in der großen Koalition erheblich verändern würde.

Seit gut einem Jahr tagt der Ausschuss nun bereits. Alle Ausschussmitglieder halten es für sehr wahrscheinlich, dass Edathy tatsächlich gewarnt wurde. Die Frage ist nur von wem? Opposition und Union haben vor allem den auch von Edathy selbst als Informant genannten SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann im Blick. Die Indizienlage sei eindeutig heißt es bei Grünen, Linken und auch der Union. Hartmann selbst wehrt sich dagegen, will aber nicht mehr vor dem Ausschuss aussagen. Die SPD vermutet die Quelle in Niedersachsen.

Thomas Oppermann muss Widersprüche aufklären

Das illustriert ein wenig die Gefechtslage. Während die SPD bemüht ist, den Skandal so weit es geht von der eigenen Führungsspitze fernzuhalten, versuchen Opposition und Union, ihn so nah es geht an sie heranzurücken. Allerdings mit unterschiedlicher Intensität, denn die Union will den Koalitionspartner nicht voreilig attackieren. Aber der Rücktritt von Hans-Peter Friedrich, der am Donnerstag ebenfalls als Zeuge auftreten wird, ist allen noch in guter Erinnerung.

Der Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann (SPD) steht am 05.02.2015 als Zeuge in der Sitzung des Untersuchungsausschusses des Bundestages in Berlin. Michael Hartmann will im Ausschuss nicht aussagen.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann (SPD) steht am 05.02.2015 als Zeuge in der Sitzung des Untersuchungsausschusses des Bundestages in Berlin. Michael Hartmann will im Ausschuss nicht aussagen.

© dpa

Besonders im Fokus steht SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Er ist die Schlüsselfigur im politischen Teil der Affäre Edathy. Drei Knackpunkte werden in der Vernehmung im Mittelpunkt stehen: Erstens: Wann hat Oppermann von wem über die Vorwürfe gegen Edathy erfahren. Da gibt es Widersprüche. Bisher sieht die Informationskette so aus: Jörg Ziercke, damaliger Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), informierte Staatssekretär Fritsche, der den damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich in Kenntnis setzte, der wiederum informierte Sigmar Gabriel, der Frank-Walter Steinmeier. Anschließend soll Oppermann informiert worden sein. Im Detail wurden aber durch die Befragung anderer Zeugen im Ausschuss Widersprüche offensichtlich. Dafür muss man sich in den 17. Oktober 2013 zurückversetzen. Es ist der Tag der dritten und entscheidenden Sondierungsrunde zwischen Union und SPD. Um 13 Uhr kommen die Vertreter der Parteien zusammen, in dem Sondierungsgespräch, das zweieinhalb Stunden ging, soll Friedrich Gabriel informiert haben und Gabriel wiederum Steinmeier. Eine Stunde lang saßen die Parteichefs in der Sondierung allein am Tisch. Laut Aussage von Gabriel vor dem Innenausschuss im Februar 2014 habe er dann entweder am Abend der 17. Oktobers oder am nächsten Tag Oppermann informiert. Pikant: Oppermann hatte sich schon am 17. Oktober um 15:29 Uhr in Sachen Edathy telefonisch an Jörg Ziercke gewandt.

Wie lief das Telefonat Oppermann Ziercke wirklich ab?

Zweitens: Wie lief das Telefonat mit Ziercke genau ab. Oppermann behauptete zunächst, dass er sich den Verdacht gegen Edathy durch Ziercke habe bestätigen lassen. Das brachte wiederum Ziercke in Bedrängnis und in Verdacht, Amtsgeheimnisse verraten zu haben. Ziercke setzte sich zur Wehr und Oppermann revidierte seine Aussage dahingehend, dass Ziercke am Telefon geschwiegen habe und dieses Schweigen habe er als Bestätigung interpretiert. Der dritte Knackpunkt ist ein gespräch zwischen Oppermann und Hartmann im November 2014. Da soll Hartmann auf Oppermann zugekommen sein, um ihn auf den besorgniserregenden Gesundheitszustand Edathys aufmerksam zu machen. Oppermann soll Hartmann dann aufgefordert haben, sich um Edathy zu kümmern. Über mögliche Ermittlungen im Zusammenhang mit kinderpornografischen Material sei es nicht gegangen - behaupten beide. Ob das glaubwürdig ist, wird sich auch in der Vernehmung Oppermanns zeigen. Besonders heikel für Oppermann ist auch der Umstand, dass er selbst Niedersachse und dort auch gut vernetzt ist.

Großer Kreis der Mitwissenden bietet Schutz

Im Fall Sebastian Edathy rückt die SPD-Spitze in den Fokus.
Im Fall Sebastian Edathy rückt die SPD-Spitze in den Fokus.

© dpa

Sigmar Gabriel wird also erklären müssen, wie genau er die Informationen erhalten hat und wem er sie wann weitergegeben hat. Frank-Walter Steinmeier ist eine Art Schanier zwischen Gabriel und Oppermann. Aber auch er ist in den Fall verwickelt und kann wiederum für Oppermann zum Problem werden, denn Oppermann soll mit Steinmeier über sein Telefonat mit Ziercke gesprochen haben. Die Abgeordneten auch der Union wird interessieren, was Oppermann berichtet hat.

Die Zahl der Mitwissenden war auf jeden Fall verdächtig groß - und je mehr etwaswussten, um so mehr können sich gegenseitig schützen. Neben Oppermann, Gabriel und Steinmeier wusste mindestens auch Christine Lambrecht, Oppermanns Nachfolgerin im Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers, Bescheid. Außerdem sprach der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs vor dem Ausschuss von einer "Gerüchteküche", die es gegeben habe rund um Edathy. Hinzu kommen rund 160 Personen allein aus Niedersachsen, die von den Vorwürfen gegen Edathy wussten. In der gut einjährigen Ausschussarbeit war wie oft in Untersuchungsausschüssen auffällig, dass nützliche Erinnerungslücken ein beliebtes Verteidigungswerkzeug bildeten.

Die Gefahr ist groß, dass sich durch diesen Umstand Verschwörungstheorien aufbauen. Insofern wird sehr viel auf das glaubwürdige Auftreten der SPD-Spitze am Donnerstag ankommen. Die Ausschussvorsitzende Eva Högl steht ebenfalls im Fokus. Die Grünen haben sie bereits aufgefordert, ihr Amt ruhen zu lassen, da sie befangen sei. Und natürlich ist es für Högl eine äußerst heikle Situation. Sie kannte Edathy aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, wo sie Obfrau der SPD war, sehr gut, sie ist im Fraktionsvorstand und kennt alle Beteiligten. Dennoch weist sie die Forderung entschieden zurück. "Ich werde von meinem Fragerecht Gebrauch machen", sagte sie.

Rückendeckung erhält sie von der Union. "Würden wir der Forderung der Grünen folgen, könnten wir Untersuchungsausschüsse in der Form abschaffen, weil Abgeordnete dann gar keine anderen Abgeordneten der eigenen Partei mehr befragen könnten." Angreifbarer war Högl tatsächlich weniger wegen ihrer Fragen selbst, auffälliger war, wie schnell sie sich zunächst hinter Hartmann stellte und versuchte in der Deutung der Sitzungen, den Verdacht von der SPD zu lenken. In der Bewertung von Hartmann ist sie heute aber nicht mehr so strikt wie noch im Dezember.

Zentrale Fragen bleiben möglicherweise unbeantwortet

Edathy selbst meldet sich nur noch sporadisch via Facebook zu Wort - sicher auch, um den Auftritt der SPD Spitze nochmal zu kommentieren. Gegen die Entscheidung, seine Parteimitgliedschaft für drei Jahre ruhen zu lassen, hat er Berufung eingelegt. Der SPD-Parteivorstand wiederum will ihn ganz loswerden. Seine politische Karriere wird er auf jeden Fall kaum mehr fortsetzen können, was auch an seinem mangelhaften Krisenmanagement während der Hochphase der Affäre liegt.

Es wird mutmaßlich die letzte Sitzung des Ausschusses sein. Ob der Ausschuss am Ende zu einem eindeutigen Ergebnis kommen wird, darf schon jetzt bezweifelt werden. Wo lag in der Affäre Edathy die undichte Stelle? Diese Frage wird auch nach Ansicht von Högl möglicherweise bleiben. „Es kann gut sein, dass wir diesen Untersuchungsausschuss abschließen ohne diese Frage beantworten zu können.“

Christian Tretbar wird über die Befragung der SPD-Spitze am Donnerstag fortlaufend berichten. Folgen Sie ihm auch auf Twitter:

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