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Politik: "Urban 21": Harmoniesucht prägte den internationalen Urbanistenkongress, der jetzt in Berlin zuende ging

Es war Kirtee Shah von der "Habitat International Coalition" aus Indien, der am Ende der "Urban 21" das Verhältnis der Städte zueinander auf den Punkt brachte: "Es sind die Kinder in Mumbai und Neu Delhi, die leiden, aber die Ursachen werden in den Finanzhauptstädten, in New York und London produziert." Eine einfache Weisheit, aber in der drei Tage dauernden Konferenz der Weltstädte, die das Bundesbauministerium in Berlin ausrichtete, waren zumeist andere Töne angeklungen.

Es war Kirtee Shah von der "Habitat International Coalition" aus Indien, der am Ende der "Urban 21" das Verhältnis der Städte zueinander auf den Punkt brachte: "Es sind die Kinder in Mumbai und Neu Delhi, die leiden, aber die Ursachen werden in den Finanzhauptstädten, in New York und London produziert." Eine einfache Weisheit, aber in der drei Tage dauernden Konferenz der Weltstädte, die das Bundesbauministerium in Berlin ausrichtete, waren zumeist andere Töne angeklungen. Von Chancen statt Problemen war die Rede gewesen, vor allem durch die neuen Informationstechnologien, die in das kleinste afrikanische Dorf vordringen müssten - Stichwort: billige, internetfähige Computer mit Batterien - und von Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor, der "public private partnership". Selbst die Vertreter der Weltbank - die überall präsent waren, aber sich selten aus der Deckung wagten - priesen die "Graasroots"-Bewegungen. Man hatte den Eindruck, sich eher auf einer riesengroßen Volkshochschulveranstaltung zu befinden denn auf einer politischen Konferenz.

Sicher, Experten konnten Gedanken austauschen - 3700 Kommunalpolitiker, Stadtplaner, Architekten oder Investoren aus 100 Ländern waren gekommen. Gelegentlich kam gar die Atmosphäre eines Klassentreffens auf. Klaus Töpfer wurde emphatisch begrüßt, Ex-Bauminister und Direktor der UN-Umweltbehörde Unep, der gerade eine schwere Herzoperation hinter sich hatte und dessen Schuhe sein Nachfolger Reinhard Klimmt noch nicht so ganz zu füllen vermag. Aber die Debatte hüpfte von Thema zu Gedanke, lieferte hier ein Häppchen über CO2-Belastung in Mexico City, dort eines über ein Wohnprojekt in der Bronx oder die Kanalisation in Kapstadt. Alles war irgendwie recht interessant. Aber wozu?

Die Suche nach dem Konsens erforderte es, einander zu versichern, wie ähnlich die Probleme der Städte seien. Tatsächlich aber ist es etwas vollkommen anderes, in einem Slum von Karachi zu leben (politisch korrekt "informelle Siedlung" genannt) oder in einem Plattenbau in Hoyerswerda. Und ein Verkehrsinfarkt in Singapur - wo die Zulassungen für Autos meistbietend versteigert werden - sieht anders aus als ein Stau in Berlin. Die Ungleichzeitigkeit, in der Städte existieren, ließ auch die Debattanten aneinander vorbeireden. Lebt die Mehrheit in Lagos noch im Mittelalter, so verläuft die Zeitlinie in Bangkok oder Sao Paulo, wo Händlerkarren neben Glastürmen stehen, mitten durch die Stadt. Und San Francisco oder Seattle mit ihren von privaten Mall-Erbauern kontrollierten Innenstädten sind die Zukunft. Auf dem Weg dorthin werden Shanghai und Brasilia wahrscheinlich Paris und Rom überholen.

Die Konflikte, die die "Habitat II" geprägt hatten, die UN-Weltsiedlungskonferenz, die 1996 in Istanbul stattfand, spielten keine Rolle mehr: Auf der Habitat wurde noch darüber gestritten, ob Frauen überhaupt einen eigenen Haushalt führen dürften. Hingegen nennt die auf der "Urban 21" als Schlussdokument verabschiedete "Berliner Erklärung" ausdrücklich als Ziel, den Bildungsstand von Frauen zu verbessern, ihre Rolle in der Gesellschaft zu stärken und die Geburtenrate zu senken. Zwar habe, hieß es, die iranische Botschaft versucht, die Formulierung im Detail ändern zu lassen, aber der große Widerstand dagegen sei vorbei. Andererseits: Die Beschlüsse der "Urban 21" sind rechtlich nicht bindend, und aus den islamischen Ländern, die auf der "Habitat" neben den USA die Haupt-Quertreiber gewesen waren, waren ohnehin nur wenige Delegierte gekommen. Schade nur, dass trotzdem bei der "Urban 21" kaum Frauen auf den Podien saßen. Auch die USA waren kaum vertreten. Leider - sonst hätte man diskutieren können, warum der Kongress der Vereinigten Staaten den Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt blockiert.

Nicht nur über die Verteilung von Macht wurde nicht geredet - auch der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit schien sich in Luft aufgelöst zu haben. "Es gibt keinen Widerspruch mehr zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor", sagte Singapurs Sonderbotschafter Tommy Koh, der den "Weltbericht" mitverfasst hatte. Die gleiche Erkenntnis lässt sich auch weniger optimistisch formulieren. "Das Kapital hat einen Krieg gegen die Arbeit angefangen und gewonnen", sagte der Architekt Jorge Wilheim, der den Masterplan für die brasilianische Stadt Curitiba entworfen hat - Curitiba gilt übrigens, wie Singapur oder Shanghai, als eine der Metropolen des Südens, die den wirtschaftlichen Anschluss an die Städte der alten Welt geschafft haben.

"Wir reden von Postmoderne und Postkapitalismus, aber das Zeitalter, das kommt, hat keinen eigenen Namen", sagte Wilheim. Eine Periode der Instabilität stehe bevor. Die Globalisierung - der Prozess, bei dem einige privilegierte Städte durch digitale Vernetzung weltweite Kontrolle über die Produktion und die Distribution von Gütern erlangen - werde städtische Inseln des Wohlstands in einem Ozean der Armut erzeugen, das wiederum werde soziale Spannungen, gewalttätige Ausbrüche und das Erstarken fundamentalistischer Gruppen generieren.

Freilich: Diese Szenarien sind bekannt, waren aber auf der "Urban 21" eine Minderheitsposition. Mehr noch: Es waren die Vertreter der sogenannten Dritt-Welt-Länder, die diese Darstellungsmuster über Bord zu werfen versuchten. So präsentierte sich Afrika statt mit Bitten um finanzielle Unterstützung mit der Broschüre "African Solutions", zeitgemäß auch im Internet. Und die Kommunalpolitiker der chinesischen Städte überzogen das Publikum mit computergenerierten Präsentationen auf Video und CD-ROM - fast wie Werbung für Fluglinien.

In einer Konferenz, die sich dem Optimismus verschrieben hat, muss die Globalisierung natürlich vor allem als Chance begriffen werden. Aber wohin sie laufen, die Finanzströme, und vor allem: warum sie dorthin laufen, vermochte noch nicht einmal Saskia Sassen zu sagen, die bekannte US-Wirtschaftswissenschaftlerin. Wenn Banken Investitionen weltweit lenken und die Entscheidung über die Sanierung eines Stadtviertels von Rio de Janeiro an der Wall Street getroffen wird - wie können dann die Menschen, die dort wohnen, ihre eigene Zukunft gestalten? "Die Städte sind erpressbar geworden durch die Investoren, aber das wird hier nicht thematisiert", sagte Peter Conradi, Präsident der Deutschen Architektenkammer. Immerhin einer der Teilnehmer hatte begriffen, wofür die "Urban 21" zu nutzen war: ECE, ein Hamburger Projektentwickler, hatte zu einem Podium geladen, bei dem auch der Bürgermeister von Warschau einen Vortrag hielt. Man hoffe doch, sagte danach ein Vertreter der ECE, in Zukunft einmal in Warschau bauen zu können. Ein Einkaufszentrum der Art, wie sie in Chicago schon Vergangenheit sind und in Hamburg die Gegenwart.

Eva Schweitzer

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