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Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

© Thilo Rückeis

Ursula von der Leyen im Interview: "Die Deutschen stellen keinen Blankoscheck aus"

Die neuen Spionage-Skandale werden keine Folgen für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA haben, sagt Verteidigungsministerin von der Leyen. Mit dem Tagesspiegel sprach sie außerdem über internationale Verantwortung, Loyalität und Vorbehalte gegen eine Verteidigungsministerin.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Frau Ministerin, nehmen Sie es den Amerikanern übel, dass offenbar ein US-Spion im Ministerium nur wenige Meter von Ihrem Büro entfernt gearbeitet hat?
Es gibt einen Anfangsverdacht, dem der Generalbundesanwalt nachgeht. Was genau dahintersteckt, ist noch nicht abschließend geklärt.

Und, wenn sich herausstellt, dass es erneut eine Spähtätigkeit durch US-Dienste war? Es würde sich ja nahtlos in die Kette der Enthüllungen seit Snowden fügen …
Die Snowden-Affäre hat uns die Augen geöffnet. US-Geheimdienste tun scheinbar, was technisch möglich ist, ohne Grenzen des politisch Vertretbaren einzuhalten. Gerade gegenüber Verbündeten. Allen, die um die tägliche enge Zusammenarbeit mit Amerika wissen, ist unverständlich, dass US-Dienste uns Deutsche ähnlich behandeln wie suspekte Nationen. Deshalb müssen wir die Debatte mit den politisch Verantwortlichen in den USA führen und deutlich machen, dass wir nicht alles akzeptieren, was den Diensten möglich ist. Wenn das Vertrauen in die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht weiter schwinden soll, muss Washington solchen Übergriffen politisch einen Riegel vorschieben und dies auch klar kommunizieren.

Sie sehen Chancen, dass die US-Regierung solche Ausspähung stoppt?
Deutsche und Amerikaner müssen wieder eine gemeinsame Sicht der Dinge entwickeln. Es geht darum, eine ausgewogene Balance zu finden zwischen dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis Amerikas nach den Terrorangriffen des 11. September und den Freiheitsrechten, die wir schließlich als westliche Nationen gemeinsam hochhalten. Ich bin da zuversichtlicher als andere. Gute Freundschaften halten auch Krisen aus, und Krisen sind dazu da, gemeinsam neue Wege zu finden. Aber diesen Weg muss man auch gemeinsam finden wollen.

Es macht sich Misstrauen gegenüber dem großen Partner breit. Hat das Folgen für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit?
Nein, dazu steht sicherheitspolitisch zu viel auf dem Spiel. Wir sind sehr aufeinander angewiesen. Informationen amerikanischer Dienste tragen viel dazu bei, dass Deutsche im In- und Ausland sicher sind. Gemeinsam analysieren wir Situationen auf der Welt, um Anschläge hier in Deutschland zu verhindern oder unsere Soldaten in Afghanistan zu schützen. Dazu gehört ein Grundvertrauen, aber keine Blauäugigkeit. Deswegen war die unmissverständliche Reaktion der Bundesregierung richtig, den obersten Vertreter der US-Geheimdienste zur Ausreise zu bewegen. Das gibt den Amerikanern auch die Gelegenheit für einen Neustart der Zusammenarbeit.

Die neuen Vorfälle befördern den ohnehin virulenten Antiamerikanismus. Wie wollen Sie gegensteuern?
Wir dürfen nicht vergessen, dass es viele Gemeinsamkeiten und Interessen zwischen unseren Ländern gibt. Amerika hat uns den Weg geebnet zu Freiheit, Demokratie und wirtschaftlicher Stärke. Wir sind dafür immer ein verlässlicher Partner bei der Verteidigung gemeinsamer Werte gewesen. Ob Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst oder Kultur, der Austausch von Jugendlichen und Wissenschaftlern ist intensiv wie nie.

Sie haben früh verlangt, Deutschland solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Laut Umfragen lehnen 70 Prozent der Deutschen das ab. Fehlt der Sicherheitspolitik das gesellschaftliche Fundament?
Ich habe mir diese Umfrage genau angeschaut. Zu Recht kaufen die Deutschen nicht die Katze im Sack. Aber wenn man sie fragt, ob es gerechtfertigt ist, Völkermord zu verhindern, sagen 80 Prozent „Ja“. Fragt man nach der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen, stimmt nur noch die Hälfte zu. Das heißt: Die Deutschen sind nicht grundsätzlich gegen mehr Engagement. Sie wollen aber keinen Blankoscheck ausstellen. Das ist richtig.

Glauben Sie, man kann den Bürgern die Skepsis nehmen?
Diese Skepsis ist keine Konstante. Daran können wir arbeiten. Es ist aber nicht so, dass sich die internationalen Krisen nach dem Stand der deutschen Diskussion richten. Wir haben in der Euro-Krise neu gelernt, warum wir das vereinte Europa brauchen. Die Spannungen von der Ukraine über den Nahen Osten bis Afrika verlangen von uns eine Positionierung in der Sicherheitspolitik. Das geht natürlich nicht ohne Debatten ab. Aber auch Widerspruch ist gut, denn nur durch Widerspruch entfalten sich die Pro- und Kontra-Argumente.

Der Bundespräsident löst diesen Widerspruch ja zum Teil sehr heftig aus ...
Joachim Gaucks Beiträge geben dem Thema ein besonderes Gewicht. Denn durch seine Positionierung weitet sich die Debatte über das Feld der Fachleute hinaus. Das Bild, welches Engagement sinnvoll ist, wann, wo und wie sich Deutschland einbringen soll, wird immer breiter und differenzierter.

Was heißt denn das eigentlich: mehr Verantwortung übernehmen?
Das heißt zunächst die Bereitschaft, uns zu positionieren. Ein Einbringen kann diplomatisch, wirtschaftlich und gegebenenfalls militärisch aussehen. Diese Grundhaltung gibt uns die Chance, den Engagements von Nato, EU oder der Vereinten Nationen eine eigene, deutsche Farbe mitzugeben.

"Ich hab damit gerechnet. Grundsatzdebatten gehen immer tief."

Schluss mit der Zurückhaltung, die die deutsche Nachkriegspolitik geprägt hat?
Zurückhaltung ist gut, wenn das meint, dass man sorgsam alles prüft und abwägt. Zurückhaltung im Sinne von „Ich halte mich da raus“ ist keine Haltung für eine erwachsene und starke Demokratie, die Frieden und Freiheit verpflichtet ist. Man kann auch durch Nicht-Handeln schuldig werden.

In der Debatte über mehr Verantwortung spielt Afrika eine besondere Rolle. Im Januar sagten Sie, wir könnten nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind. Gilt das noch?
Ja, aber jede Krise hat ein anderes Gesicht. Mich hat zum Beispiel sehr beeindruckt, als die drei Religionsführer aus der Zentralafrikanischen Republik – der katholische, evangelische und muslimische – die Völkergemeinschaft gemeinsam um ein robustes Mandat gebeten haben. Sie haben um bewaffnete Friedenstruppen gebeten, damit sie wieder mit der Versöhnungsarbeit im Land beginnen können. Das ist die Linie: Wir Europäer wollen den Afrikanern keine Konzepte aufzwingen. Aber wir müssen im Krisenfall auch militärisch helfen, damit politische Lösungen und Wiederaufbau eine Chance haben.

Könnten Sie im Ernstfall für Kampfeinsätze in Afrika überhaupt Unterstützung in der Union gewinnen?
Es ist gut und richtig, dass wir jeden einzelnen Einsatz sorgfältig abwägen. Die Bundeswehr engagiert sich seit mehr als 20 Jahren in Afrika. Die Mehrzahl unserer Missionen sind keine Kampfeinsätze. Meist geht es um Beratung und Ausbildung. Verantwortung übernehmen heißt ja nicht, dass wir uns kritiklos in jeden Konflikt stürzen. Andererseits sollten wir nicht darauf vertrauen, dass schon irgendjemand die Probleme löst, die uns in Europa früher oder später erreichen. Zwischen diesen beiden Polen gibt es einen verantwortungsvollen Weg.

In der CSU sind nicht Ihre größten Fans versammelt. CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller macht massiv Stimmung gegen deutsche Kampfeinsätze in Afrika. Welche Linie gilt denn nun in der Regierung?
Ich freue mich, dass wir als Regierung eine gemeinsame Afrikastrategie entwickelt haben und der Minister im Kabinett jedem der Bundeswehreinsätze zugestimmt hat.

Aber das waren keine Kampfeinsätze.
Na ja, es sind schon robuste Mandate darunter. Ein robustes Mandat ist so ausgestattet, dass wir im Extremfall auch kämpfen können. Aber das ist nicht unser Ziel. Oberstes Ziel muss ohnehin immer sein, die Afrikaner in die Lage zu versetzen, für die Sicherheit in der Region selbst zu sorgen.

Frau Ministerin, welche Bedeutung hat für Sie Loyalität?
Einen hohen Wert. Loyalität ist die Basis für Vertrauen.

Ist es mit diesem Verständnis vereinbar, wenn hohe Ex-Militärs wie der frühere Heeresinspekteur Willmann die Verteidigungsministerin persönlich attackieren und ihr Karrierismus vorwerfen?
Kritik muss man akzeptieren können. Wenn Militärs außer Dienst sich an Debatten – wie das unser Generalinspekteur sagt – von der Seitenlinie aus beteiligen wollen, ist das völlig in Ordnung. Jeder darf seine Meinung äußern. Das ist eine blanke Selbstverständlichkeit. Ich höre mir auch jede Meinung an. Natürlich erwarte ich eine gewisse Form des Umgangs, wie sich das unter höflichen, erwachsenen Menschen gehört.

Haben Sie heftigen Widerstand erwartet?
Ich hab damit gerechnet. Grundsatzdebatten gehen immer tief. Wenn wir nun Rahmenbedingungen des Dienstes in der Bundeswehr verändern, dann reagieren wir auch auf Veränderungen, die in der Gesellschaft längst stattgefunden haben. Mich wundert überhaupt nicht, dass es den einen oder anderen gibt, der sagt: Alles soll so bleiben, wie es ist.

Lösen Sie als erste Frau in diesem traditionell männlich dominierten Amt womöglich besonders viel Misstrauen aus?
Ich war auch die erste Frau an der Spitze des Arbeitsministeriums. Mich bedrückt so etwas schon lange nicht mehr.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Hans Monath. Foto: Thilo Rückeis.

Zur Person: Ursula von der Leyen

MEDIZINERIN

Die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht ist promovierte Ärztin und hat sieben Kinder.

RESSORTCHEFIN

2003 wurde Leyen Sozialministerin in Hannover. Zwei Jahre später wechselte sie nach Berlin, wurde unter Kanzlerin Merkel Familien- und in deren zweitem Kabinett Arbeitsministerin.

RESERVISTIN

Die 55-jährige Politikerin gilt als mögliche Nachfolgerin von Merkel. Allerdings gibt es unter konservativen Christdemokraten und in der CSU große Vorbehalte gegen sie.

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