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Urteil des Bundesverfassungsgericht: Sind Online-Durchsuchungen überflüssig?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, Online-Durchsuchungen unter strengen Auflagen zu erlauben. Bürgerrechtler fordern von den Sicherheitsbehörden eine klare Begründung, warum Online-Durchsuchungen notwendig sein sollen. Bundesinnenminister Schäuble will das Urteil nun in das neue BKA-Gesetz einfließen lassen.

"Dass sich die Bürger jetzt keine Sorgen mehr machen müssen, würde ich so nicht unterschreiben", meint Sven Lüders von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Das Urteil aus Karlsruhe gewährt seiner Einschätzung nach zu wenig Sicherheit, nicht ins Fadenkreuz der Ermittler zu gelangen. Er begrüßt aber, dass das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Grundsatzurteil zur digitalen Privatsphäre gefällt hat. Endlich wird damit auch der Computer, auf den die Meisten viele wichtige private Daten speichern, als schützenswert angesehen, meint er.

"All die Maßnahmen der letzten Jahre haben das Leben an sich keinen Deut sicherer gemacht. Einziger Effekt ist das Aufrechterhalten der Angst in den Köpfen der Menschen. Denn nur diese rechtfertigt weitere Einschnitte in die Grundrechte."   Er fordert nach dem Urteil, dass die Sicherheitsbehörden sich erklären müssen, wofür sie eigentlich eine Online-Durchsuchung brauchen und warum diese Maßnahme sinnvoll sein soll. Seiner Einschätzung kommen Online-Durchsuchungen in den meisten Fällen zu spät zum Einsatz und bei einem hinreichenden Tatverdacht, reicht es den Computer mitsamt der Festplatte zu beschlagnahmen.

"Bevor der Gesetzgeber jetzt über Befugnisse des BKA und der Verfassungsschutzämter zur Online-Durchsuchung entscheidet, sollten die Sicherheitsbehörden zunächst einmal begründen, in welchen Gefahrensituationen diese Maßnahme überhaupt sinnvoll einsetzbar ist und wie sie den vom Gericht geforderten Schutz der Privatsphäre gewährleisten wollen", meint auch die Bundesvorsitzende der humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie Will, die das Urteil begrüßt.

Online-Durchsuchung unter strengen Auflagen erlaubt

Das heimliche Ausspähen der Computerfestplatte ist nur zulässig, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen", urteilt das Bundesverfassungsgericht. Eine entsprechende Befugnis des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes verletzt das Grundgesetz und ist nichtig. Damit gab der Erste Senat den Verfassungsbeschwerden einer Online-Journalistin, eines Mitglieds der Partei Die Linke und dreier Rechtsanwälte statt, darunter der FDP-Politiker Gerhart Baum.

Baum nennt den Spruch "ein Urteil gegen den Präventionsstaat". Mit dem "wunderbaren" neuen Grundrecht auf Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme werde eine neue Dimension des Grundrechtsschutzes eröffnet, so Baum. Das Urteil habe eine vergleichbare Dimension wie jenes zum Datenschutz im Jahr 1983.

Mit seinem Grundsatzurteil habe das Karlsruher Gericht erstmals ein "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" geschaffen, sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier bei der Verkündung in Karlsruhe. Dieses neue Grundrecht sei aber nicht schrankenlos. Weil mit dem heimlichen Zugriff auf den Computer aber besonders intensiv in das Grundrecht eingegriffen werde, sei er nur bei drohenden Gefahren für Leib, Leben und Freiheit zulässig sowie bei Bedrohungen, die den Bestand des Staates oder die Grundlagen der menschlichen Existenz berührten.

Anlass der Entscheidung ist die Klage gegen eine Regelung des Landes Nordrhein-Westfalen, die dem Verfassungsschutz des Landes bereits das Einschleusen von Spionageprogrammen auf Computer sowie die Überwachung der Internet-Kommunikation erlaubt. Das Urteil gilt als richtungsweisend für den Streit in der großen Koalition um die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplanten Online-Durchsuchungen bei Terrorverdächtigen.

Schäuble will Entscheidung in BKA-Gesetz einbringen

Schäuble will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Online-Durchsuchungen bei der Novellierung des Bundeskriminalamtsgesetzes berücksichtigen. Der Online-Durchsuchung komme zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus eine zentrale Rolle zu und werde nur in wenigen, aber sehr gewichtigen Fällen zum Einsatz kommen, sagt Schäuble.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sieht die Freiheitsrechte nach dem Urteil gestärkt. "Insbesondere bleibt der Kernbereich privater Lebensgestaltung umfassend geschützt", erklärt Zypries. Eine Online-Durchsuchung von Computersystemen sei nur in engen Grenzen möglich. Sie werde Innenminister Schäuble dabei unterstützen, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen. Ihr Ministerium prüfe, ob eine Vorschrift in der Strafprozessordnung nötig sei für Online-Durchsuchungen unter engsten Voraussetzungen zur Strafverfolgung.

Der Grünen-Rechtspolitiker Volker Beck meint, das Gericht habe dem für das NRW-Gesetz zuständigen FDP-Minister Ingo Wolf aber auch Schäuble, eine schallende Ohrfeige erteilt. FDP-Parteichef Guido Westerwelle nannte die Karlsruher Entscheidung einen "Meilenstein der Rechtsgeschichte für Freiheit und Bürgerrechte".

Der Deutsche Fachjournalisten-Verband (DFJV) begrüßte ebenfalls die Entscheidung, Online-Durchsuchungen nur unter strengsten Auflagen durchführen zu können. (imo/dpa)

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