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Urteil: Geiseln müssen für Befreiung nicht zahlen

Das Auswärtige Amt darf im Ausland entführten Bundesbürgern die Kosten ihrer Befreiung nicht in Rechnung stellen. Für eine Kostenerstattung gebe es keine Rechtsgrundlage, urteilte das Berliner Verwaltungsgericht.

Berlin - Die Richter entschieden damit am Dienstag zu Gunsten der Physiotherapeutin Reinhilt Weigel, die im Jahr 2003 gemeinsam mit einem Spanier nach zehnwöchiger Geiselhaft in Kolumbien freigelassen worden war. Das AA äußerte sich betroffen über das Urteil. Es werde zunächst die Begründung der Gerichtsentscheidung sorgfältig prüfen, sagte ein Sprecher am Dienstag der dpa in Berlin.

Die 33-Jährige sollte 12 640 Euro für einen Hubschrauberflug bezahlen, mit dem sie damals aus dem Dschungel im Norden des Landes geholt und in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá gebracht worden war. Die Entführer hatten es zur Bedingung für die Freilassung gemacht, dass die Geiseln von einem Hubschrauber abgeholt werden.

Den Kostenbescheid des Auswärtigen Amtes, der sich auf Paragraf fünf des Konsulargesetzes von 1974 stützte, hob die 14. Kammer nun auf. Ob sich der Bund das Geld auf zivilrechtlichem Weg zurückholen kann, ließ die Vorsitzende Richterin Renate Citron-Piorkowski offen. Offen blieb zunächst auch, ob das AA beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Zulassung der Berufung beantragt.

Das Konsulargesetz sei für Fälle sozialer Notlagen gemacht, sagte Citron-Piorkowski bei der Urteilsbegründung. Der Entführungsfall Weigel sei von politischer Bedeutung gewesen und von einem Krisenstab unter internationaler Beteiligung geregelt worden. «Fälle wie diese entziehen sich dem Konsulargesetz, das die Alltagsgeschäfte des Konsularbeamten regelt», sagte die Richterin. Der Hubschraubereinsatz sei Teil einer Befreiungsaktion gewesen, keine Sozialhilfe.

Auswärtiges Amt will Musterurteil

Einen von Weigels Rechtsanwalt Joseph Mayer angebotenen und auch vom Gericht empfohlenen Vergleich lehnte das Außenministerium ab. Ein Referatsleiter verwies darauf, dass das Amt unter starkem Druck des Bundesrechnungshofes stehe: «Er wirft uns vor, dass wir zu wenig zurückfordern.» Ein anderer AA-Jurist deutete an, dass es auch deshalb Interesse an einem Musterurteil gebe, weil anders eine Gesetzesanpassung kaum in die Wege zu leiten sei.

Weigel war am 12. September 2003 gemeinsam mit sechs weiteren Rucksacktouristen bei einem Ausflug in die präkolumbianische Ruinenstadt «Ciudad Perdida» (Verlorene Stadt) in die Hände linker Rebellen des «Nationalen Befreiungsheeres» (ELN) gefallen. Die Entführer wollten mit der Verschleppung auf Menschenrechtsverstöße in einer nur schwer zugänglichen Bergregion in Nordkolumbien aufmerksam machen. Nach 74 Tagen in Geiselhaft war sie durch Vermittlung des Roten Kreuzes und der Kirchen freigelassen worden.

Weigels Anwalt kritisierte eine Ungleichbehandlung befreiter Geiseln. Jene deutschen Touristen, die 2003 in der Sahara entführt worden waren, hätten nach ihrer Freilassung nur etwa 2000 Euro pro Person an die Staatskasse überweisen müssen. Auch vom im Dezember 2005 im Jemen entführten früheren AA-Staatssekretär, Jürgen Chrobog, sei wesentlich weniger verlangt worden als von seiner Mandantin. Nach Angaben eines AA-Sprechers wurde für den Rückflug Chrobogs und seiner vier Angehörigen in einer Regierungsmaschine der Preis für Linienflüge gefordert und bezahlt. Eine genaue Summe nannte der Sprecher nicht. (tso/dpa)

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