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Afghanistan

© dpa

US-Angriff: Wut und Trauer in Afghanistan

Bei einem US-Luftangriff sind 89 Zivilisten getötet worden - darunter auch viele Frauen und Kinder. Präsident Hamid Karsai beklagt den Tod der "unschuldigen Landsleute", doch die Dorfbewohner lassen sich nicht beruhigen. Die Situation spielt den Taliban in die Hände.

Wut und Trauer im Dorf Asis Abad kennen keine Grenzen. Mindestens 89 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, sind am Freitag in der westafghanischen Gemeinde bei einem Angriff von US-Kampfflugzeugen ums Leben gekommen. Nachdem Augenzeugen und Politiker in der Provinz Herat bereits nach dem Angriff von der extrem hohen Opferzahl berichtet hatten, bestätigte am Sonntag auch eine von Präsident Hamid Karsai entsandte Kommission einen der schwersten Zwischenfälle mit zivilen Opfern seit Jahren.

Dorfbewohner hatten ihrem Unmut am Samstag mit Gewalt Luft gemacht. Als afghanische Sicherheitskräfte den Angehörigen der Opfer Hilfsgüter bringen und Mut zusprechen wollten, griffen hunderte Menschen die einheimischen Soldaten mit Steinen an. Auch Schüsse fielen. Am Ende blieb der Armee nur der Rückzug aus Asis Abad, denn die aufgebrachten Landsleute ließen sich nicht beruhigen.

UN verurteilt die Angriffe

Der Sondergesandte der Vereinten Nationen in Afghanistan, Kai Eide, verurteilte den US-Angriff scharf. "Zivile Opfer untergraben das Vertrauen und die Zuversicht des afghanischen Volkes", sagte er und forderte eine gründliche Untersuchung. Auch Karsai beklagte den Tod der "unschuldigen Landsleute". Gleichzeitig kündigte er an, seine Regierung werde in Kürze einen Maßnahmenkatalog bekanntgeben, um künftig den Tod von Zivilisten möglichst zu vermeiden. Um welche Maßnahmen es sich dabei handelt, ließ er offen.

Schon seit Jahren appelliert der Präsident erfolglos an die ausländischen Truppen, mit mehr Rücksicht bei ihren Militäraktionen vorzugehen. "Wir können die zivilen Opfer nicht länger akzeptieren", sagte Karsai vor einem Jahr bei einem Treffen mit Nato-Vertretern. Bereits damals klagte er, dass "Kooperation und Koordination" von Internationaler Schutztruppe Isaf, US-geführter Koalition und einheimischen Sicherheitskräften nicht ausreichend seien.

1000 tote Zivilisten seit Jahresbeginn

Inzwischen ist die Zahl der Ziviltoten des Anti-Terror-Kampfes noch weiter gestiegen. Nach Angaben des Dachverbandes von rund 100 internationalen und einheimischen Hilfsorganisationen in Afghanistan (ACBAR) sind seit Jahresbeginn mehr als 1000 Zivilisten bei Kämpfen und Anschlägen ums Leben gekommen. Dabei müssen auch die ausländischen Truppen immer häufiger den Tod von Zivilisten einräumen.

In den Pressemitteilungen des Militärs werden die Opfer zwar zutiefst bedauert. Doch meist wird im gleichen Atemzug darauf verwiesen, dass eigentlich die radikalislamischen Taliban das Angriffsziel waren. Die Aufständischen, so der durchaus berechtigte Vorwurf, würden Zivilisten als Schutzschilde benutzen. Auch nach dem Angriff auf Asis Abad hatten die US-geführten Koalitionstruppen zunächst einen Angriff auf Stellungen der Aufständischen gemeldet.

Journalist: So kann man das Vertrauen nicht gewinnen

Menschenrechtler allerdings fragen immer lauter, ob die derzeit angewandte militärische Strategie - einschließlich der Akzeptanz sogenannter Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung - noch den Anforderungen der Sicherheitslage in Afghanistan entspricht. Ein Journalist in Kabul formulierte es dieser Tage noch drastischer: "Wenn sie (die ausländischen Truppen) weiterhin Unschuldige töten, werden sie die Herzen und Köpfe der Afghanen nie gewinnen."

Bereits heute sind viele Afghanen tief enttäuscht - vom nicht endenden Konflikt mit immer mehr Opfern und vom schleppenden Wiederaufbau. Vor allem darin sehen Beobachter einen Grund für das Erstarken der Taliban. Zwar fließen weiterhin Milliarden ins Land. Doch Vereinte Nationen und Hilfsorganisationen stecken in einem Teufelskreis. Da es in vielen Regionen immer gefährlicher wird, bleiben die meisten ausländischen Helfer aus Sicherheitsgründen fern.

Aber ohne Wiederaufbau und Fortschritt schwindet das Vertrauen der Afghanen weiter. Die Aufständischen ziehen daraus ihren Vorteile - genauso wie aus der Wut und der Trauer über von ausländischen Truppen getötete Zivilisten.

Stefan Mentschel[dpa]

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