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US-Außenminister John F. Kerry

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US-Außenminister Kerry auf Europatour: Eine Rückbesinnung

Die erste Reise des neuen US-Außenministers Kerry führt ihn für acht Tage nach Europa und den Nahen Osten. Israel und Russland fehlen auf dieser Route. Sind das Anzeichen für eine Neujustierung der US-Außenpolitik?

Die Antrittsreise des neuen US-Außenministers John F. Kerry führt nach Europa und in den Nahen Osten. Vorgängerin Hillary Clinton hatte als Erstes Asien besucht. Freilich hatte damals der neue Präsident Barack Obama Europa als erstes Ziel ausgewählt. Auf manche wirkt Kerrys Route wie eine Neujustierung der internationalen Prioritäten der USA. Obamas erste Amtszeit war nach dieser Wahrnehmung von einer „Wende nach Asien“ geprägt. Zu Beginn der zweiten Amtszeit besinne sich Amerika nun darauf, dass die Verbindungen über den Atlantik vielfältiger und verlässlicher seien. Vizepräsident Joe Biden hat Europa auf der Münchner Sicherheitskonferenz Amerikas „Partner der ersten Wahl“ genannt – und Präsident Obama das geplante Freihandels- und Partnerschaftsabkommen mit der EU in seiner Rede zur Lage der Nation zu einem zentralen Projekt erklärt.

Kerry beginnt seine achttägige Tour am heutigen Montag in Großbritannien und reist weiter nach Deutschland, Frankreich, Italien, die Türkei, Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar. Russland und Israel fehlen auffallender Weise. Seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow trifft Kerry am Dienstag in Berlin.

Welche Rolle spielen Deutschland und Europa in Obamas zweiter Amtszeit?

Schon wegen der Geografie und der Zeitzonen beginnen Amerikaner eine Europareise gerne in London. Zugleich bestätigen sie damit die „special relationship“ zwischen England und den ehemaligen Kolonien in Nordamerika. In vielen Bereichen fühlen Amerikaner größere weltanschauliche Nähe zu den Briten als zu Kontinentaleuropa, von der Scheu, in die Wirtschaft einzugreifen, bis zum Einsatz militärischer Gewalt. Die USA wünschen jedoch, dass Großbritannien Mitglied der EU bleibt. Das Schwergewicht in der EU ist für Obama und Kerry unzweifelhaft Deutschland. Amerikaner beobachten mit Bewunderung, wie erfolgreich die deutsche Wirtschaft die Folgen der Finanzkrise gemeistert und ihre starke Position im Export behauptet hat. In den meisten Obama-Reden taucht Deutschland neben China als Vorbild und internationaler Wettbewerber auf, an dem die USA sich beim Umgang mit erneuerbaren Energien messen müssen. Berlin gilt in den USA auch als entscheidende Größe für die Zukunft des Euro. Die Briten reden da gar nicht mit. Frankreich und Italien werden von ihren Budgetkrisen absorbiert.

Kanzlerin Merkel und die Spitzen der deutschen Wirtschaft haben großen Einfluss darauf, was aus der transatlantischen Partnerschaft wird. Wenn die letzten Barrieren für den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen sowie für ausländische Investitionen zwischen Europa und Amerika fallen, kann dies zu einem Wachstum von mehr als einem Prozentpunkt in beiden Wirtschaftsräumen führen. Da rund die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung in den USA und der EU erbracht wird, ist der wirtschaftliche Effekt ungleich größer als durch eine Transpazifische Partnerschaff (TPP), über die Amerika parallel verhandelt. Von Berlin erwarten die USA politische Führung, um die Widerstände diverser Lobbygruppen, vor allem der Landwirtschaft in Frankreich und den Südländern der EU, zu überwinden.

Die Beziehungen der USA mit Russland, Europa und dem Nahen Osten

Was erhofft sich Kerry vom Treffen mit Lawrow in Berlin?

Die Beziehungen zu Moskau durchlaufen gerade eine schwierige Phase. Russische Politiker nehmen den bislang nicht aufgeklärten Tod eines russischen Adoptivkindes in Texas zum Anlass für verbale Rundumschläge gegen die USA. Auf der Sicherheitskonferenz hatte Lawrow die Generalkritik wiederholt, Washington missachte Russlands internationale Interessen, von Syrien bis zur Raketenabwehr. Als Kerry nach seiner Bestätigung als Außenminister den telefonischen Kontakt zu Lawrow aufnehmen wollte, ignorierte der diese Bitte über mehrere Tage.

Tatsächlich gibt es eine Reihe gemeinsamer Projekte und Interessen, freilich weitgehend außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Beim Nachschub für die US-Truppen in Afghanistan und deren geplantem Abzug verhält sich Russland kooperativ und hilft mit Transportrouten, wenn Pakistan Schwierigkeiten macht. Auch die atomare Abrüstung kommt offenbar voran. Diese Gespräche führt in erster Linie Obamas Nationaler Sicherheitsberater Thomas Donilon. Für Kerry ist Syrien offizielles Hauptgesprächsthema mit Lawrow in Berlin.

Welche internationale Hilfe erwarten die USA von Europa?

In jedem Land, das Kerry besucht, hat er ein spezielles außenpolitisches Anliegen. In Frankreich ist das am Mittwoch der Einsatz in Mali, um zu verhindern, dass Al Qaida sich dort einen neuen Standort zur Planung internationaler Terroranschläge schafft. In Rom trifft Kerry Vertreter der syrischen Opposition.

Neben Kerrys Reiseroute und seinen biografischen Verbindungen mit Europa gibt es weitere Indizien, dass Obama sich in der zweiten Amtszeit stärker um Europa bemühen will. Auch sein Kandidat für das Verteidigungsministerium Chuck Hagel ist ein ausgewiesener Atlantiker.

Was plant Kerry im Nahen Osten?

Präsident Obama wird im März nach Israel und in die Palästinensergebiete reisen. Üblicherweise dienen die Besuche eines US-Außenministers in der Region kurz zuvor der Vorbereitung. Das ist diesmal anders. Jerusalem und Ramallah gehören nicht zu Kerrys Stationen. Das Weiße Haus hält Israels Premier Benjamin Netanjahu auf Abstand, teils um Druck auf ihn auszuüben, eine verhandlungswillige Regierungskoalition zu bilden, teils um ihm den Freiraum dafür zu lassen, ohne den Eindruck zu erwecken, er handele unter amerikanischem Diktat.

Kerry wird auch im Nahen Osten vor allem Auswege aus dem Bürgerkrieg in Syrien sondieren. Saudi-Arabien und Katar gehören inoffiziell zu den finanziellen Unterstützern und auch Waffenlieferanten für den syrischen Widerstand. Daneben stehen die Perspektiven der Nachbarn Palästinas für neue Friedensgespräche zwischen Israel und der Autonomiebehörde auf dem Themenzettel. Und ebenso der weitere Umgang mit dem Iran und seinem Atomprogramm. Dabei geht es auch um eine Bewertung der Gespräche, die die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland mit Vertretern des Irans über eine Lösung des Konflikts führen wollen. Bei der Sicherheitskonferenz in München war ein Fünf-plus-eins-Treffen zum Iran am heutigen Montag in Kasachstan vereinbart worden.

John Kerry vorherige Stationen in Berliner

Als Kind hat John F. Kerry einige Zeit in Berlin gelebt. Diese Eindrücke waren prägend, betonte er in seiner ersten Rede als Außenminister am vergangenen Mittwoch an der University of Virginia. Als Zwölfjähriger sei er eines Tages in den Ostteil gegangen. Ihm sei der Kontrast zum Westteil, der Hilfe aus dem Marshall-Plan erhalten hatte, aufgefallen. „Ich sah den Unterschied zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Freiheit und Unterdrückung.“ Zurück im Westteil „kam ich in Hausarrest wegen des unerlaubten Ausflugs auf die andere Seite“, sagte Kerry in scherzhaftem Ton. „Zweitens begann ich die Plaketten an den Gebäuden zu beachten, die mithilfe der USA aufgebaut worden waren. Das machte mich stolz.“ In der Rede begründete er, warum es falsch sei, das Budget des Außenministeriums in der zum 1. März drohenden Sparrunde zu kürzen. „Es ist viel billiger, heute Diplomaten zu schicken als morgen Truppen.“ Vor dem Personal des Ministeriums zwei Tage zuvor hatte er bereits über den Abstecher in den Osten und von ausgiebigen

Radtouren durch den Grunewald, über den Ku’damm, durch das Brandenburger Tor und zu den Trümmern von Hitlers Bunker berichtet. Möglicherweise gerieten ihm die Zeitangaben durcheinander. Er war zehn Jahre alt, als sein Vater 1954 Rechtsberater am US-Hochkommissariat in der besetzten Stadt wurde. Bald schickten ihn die Eltern auf ein Internat in der Schweiz. Nach Berlin kam er selten. Die Sommerferien verbrachten die Kerrys in der Bretagne auf einem Anwesen der Familie seiner Mutter. Wenige Monate nach dem 13. Geburtstag im Dezember 1956 wechselte Kerry auf ein Internat in den USA. Der Vater wurde 1958 nach Oslo versetzt.

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