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Mit Nachdruck. Nach dem Rededuell in Denver schüttelt Präsident Barack Obama seinem Herausforderer Mitt Romney (rechts) die Hand. Jede Geste der Debatten wird interpretiert.

© dapd

US-Fernsehduell: Bilder sagen mehr als Worte

Was sie sagen, ist nebensächlich. Viel wichtiger ist, wie sie es tun. Denn für die Analysten und die Zuschauer des ersten TV-Duells zwischen Barack Obama und Mitt Romney zählen ein Lächeln mehr als Worte und Sympathie mehr als Fakten – was die Sache für die beiden Kandidaten nicht einfacher macht.

Nirgendwo in Amerika kann man den Bildern am Tag danach ausweichen. Überall, wo die Menschen ihren Morgenkaffee trinken oder ihren Mittagsimbiss einnehmen, stehen Fernseher; ebenso auf dem Weg zur Arbeit und in den Warteräumen der Bahnhöfe und Flughäfen. Sie zeigen Szenen, die sich einprägen: die weite, mit rotem Teppichboden belegte Bühne im Auditorium der Universität von Denver, Colorado; zwei hoch gewachsene, schlanke Männer in schwarzen Anzügen hinter nussbaumfarbenen Stehpulten; der rechts unverkennbar ein Demokrat, das signalisiert seine blaue Krawatte. Der andere trägt eine rote, die Farbe der Republikaner, mit dunklen Streifen. Und dieser andere wirkt irgendwie selbstbewusster.

Unterhaltsam und locker hatte die 90-minütige TV-Debatte zwischen Barack Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney in der Nacht zu Donnerstag begonnen. Überraschend lange währte ihr Händedruck, als sie auf die Bühne kamen, freundlich war ihr Mienenspiel. Es war der 20. Hochzeitstag der Obamas. Der Präsident eröffnete das Rededuell mit einem Dank an seine Frau Michelle: „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.“ Romney gratulierte humorvoll: „Dies ist sicherlich der romantischste Ort, den Sie sich für den Anlass aussuchen konnten – hier, mit mir.“

Am Morgen danach sind nur noch kurze Zitate übrig von anderthalb Stunden Schlagabtausch über Amerikas tiefe Krise und die richtigen Wege zur Besserung. Die Sender zeigen Ausschnitte von wenigen Sekunden. Da zählt Romney auf, welche Kosten durch Obamas Gesundheitsrefom angeblich auf US-Firmen zukommen: „Herr Präsident, diese Reform ist ein Job-Killer!“ Obama kontert, als Gouverneur von Massachusetts habe Romney eine nahezu identische Gesundheitsreform regional eingeführt. Die funktioniere sehr gut und habe den Kostenanstieg gebremst. Warum wolle er dann Obamas Reform für ganz Amerika abschaffen? Der Präsident wirft dem Herausforderer zudem vor, er wolle trotz des Schuldenbergs die Steuern für die Reichen senken und sein Versprechen, den Haushalt auszugleichen, könne er gar nicht erfüllen, wenn er gleichzeitig noch die Militärausgaben erhöhe: „Ihre Zahlen passen einfach nicht zusammen.“

Der Wettstreit der beiden Präsidentschaftskandidaten war kaum zu Ende, da begann der Kampf nach dem Kampf – und der ist der entscheidende. Präsidentschaftsdebatten für sich genommen bringen nicht viele Wähler dazu, die Seite zu wechseln. Aber die Interpretation in den Medien, wer der Sieger und wer der Verlierer sei, kann das Blatt wenden. Beide Lager hatten ihre „Spin-Doktoren“ ins Pressezentrum in Denver und die TV- Studios der großen Sender geschickt, um den Journalisten ihre Sicht aufzudrängen – und auf diesem Umweg Wähler zu erreichen, um sie umzustimmen. Romney habe die erste der insgesamt drei Fernsehdebatten klar gewonnen, posaunen die Republikaner. Die Demokraten wollen das natürlich nicht so sehen, aber ihre Erklärungen, warum Obama nicht verloren habe, klingen auffallend defensiv. Vom linken Parteiflügel hagelt es Kritik. Der Präsident sei zu zahm gewesen, habe die Chance zum Angriff vergeben.

Obama machte einen müden Eindruck, fühlte sich offenbar nicht wohl

Ob die Bilder oder die Worte den Ausschlag geben, das ist hier die Frage. Das Bild-Medium Fernsehen erklärt überwiegend Romney zum Gewinner. Er habe frisch, energisch und zeitweise sogar sympathisch gewirkt, denn er habe der Versuchung widerstanden, die Angriffslust zu überziehen. Obama habe dagegen einen müden Eindruck gemacht und sich offenbar nicht wohl in seiner Haut gefühlt.

Obama vermied den Blickkontakt und schaute nach unten oder zu Moderator Jim Lehrer, wenn Romney sprach. Er lächelte mitunter maliziös, wenn der Republikaner die bekannten – und aus Obamas Sicht sachlich falschen – Wahlkampfslogans darbot. So eine Reaktion kann arrogant wirken. Romney drehte sich zum Präsidenten, wenn der redete, und erweckte den Eindruck eines für Argumente offenen und engagierten Diskutanten. In einer Blitzumfrage von CNN erklärten 65 Prozent der Zuschauer Romney zum Sieger, 25 Prozent Obama. Sie ist allerdings nicht repräsentativ.

Video: TV-Duell zwischen Obama und Romney

In den Donnerstags-Zeitungen ist das Urteil gemischter, je nach Weltanschauung der Blätter. Das konservative „Wall Street Journal“ hatte seit Wochen vernichtend über Romney geschrieben. Mit einem uninspirierten Wahlkampf vergebe er die Chance, den durch die lange Wirtschaftskrise angeschlagenen Präsidenten zu besiegen. Kein Wunder, dass Obama in den Umfragen mit drei Prozent führe. Nun freut sich das Blatt: „Für uns hat der Wahlkampf mit der Debatte erst richtig begonnen.“ In diesem Stil könne Romney den Vorsprung des Präsidenten in den 33 Tagen bis zur Wahl noch aufholen.

Die „New York Times“ – die im Medienspektrum der USA als „links“ gilt – meint dagegen, Obama habe die besseren Argumente. Romney hantiere mit leeren Versprechungen. „Es folgen noch zwei Debatten. Obama hat die Fakten auf seiner Seite, um zu entlarven, wie hohl sein Gegner ist. Er muss sich freilich entscheiden, sie aggressiver zu nutzen.“

Viele Zeitungen überprüfen am Tag danach die Behauptungen beider Kandidaten auf sachliche Richtigkeit und resümieren, dass beide es mit der Wahrheit nicht genau nehmen. Romney erhält jedoch mehr „Pinocchios“, das Symbol für eine allzu kreative Darstellung.

Die Medien werten es als Überraschung, dass Obama auf die Angriffslinien, mit denen er im Wahlkampf punktet, verzichtet habe. Das für Romney so schädliche Video, in dem der beklagt, dass 47 Prozent der Amerikaner von Sozialleistungen leben und er sich um diese Klientel nicht kümmern wolle, erwähnte er nicht. Er sprach nicht über die Arbeiter, die durch Romneys Investmentfirma Bain Capital ihre Jobs verloren haben. Und verwies nicht darauf, dass Romney nur 14 Prozent Steuern auf seine Millioneneinkünfte zahlt. Obamas Strategen wollten es so. Er sollte netter und weniger aggressiv als Romney wirken.

Tagelang hatte sich Romney vorbereitet. Er sprach mit weicherer Stimme als sonst, als wolle er keinesfalls angriffslustig erscheinen. Obamas Debatten-Training war immer wieder unterbrochen worden. Er musste auf den Konflikt an der syrisch-türkischen Grenze reagieren.

An vielerlei Indizien lässt sich ablesen: Romney wird einerseits als Sieger des Rededuells wahrgenommen. Andererseits ist fraglich, ob er damit die für ihn ungünstige Dynamik des Rennens wenden konnte. Die USA sind ein Riesenland mit sehr verschiedenen Wählergruppen, die nach unterschiedlichen Kriterien ihre Wahlentscheidung treffen. Frauen machen sich ein anderes Bild als Männer. CNN ließ während der Debatte Reaktionen beider Geschlechter in Colorado messen und blendete sie ein. Frauen sind überwiegend Obama-Anhänger. Sie drückten die Zustimmungstaste, wenn er sprach. Bei Männern war es umgekehrt.

Nur in einer Disziplin hat Obama klar gesiegt: dem Kampf um Redezeit. Er sprach 42 Minuten, 50 Sekunden. Romney nur 38 Minuten und 32 Sekunden.

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