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Der "Dagger Complex" der US-Army bei Griesheim: Von dem geheimen Standort aus werden laut den NSA-Dokumenten inzwischen 26 Aufklärungsmissionen betrieben.

© dpa

US-Geheimdienst: USA sollen NSA-Daten aus Deutschland für Tötungen genutzt haben

Die USA haben laut einem Medienbericht von der NSA in Deutschland gesammelte Daten für Anti-Terror-Einsätze verwendet - offenbar auch für die Tötung von Verdächtigen. 200 US-Spione sollen in Deutschland aktiv sein.

Neue Enthüllungen über die Aktivitäten der NSA in Deutschland: Die USA haben offenbar Daten, die von der Europazentrale ihres Geheimdiensts in Deutschland abgefangen wurden, für die Tötung von Terrorverdächtigen genutzt. Die hierzulande gewonnenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse seien "für die Festnahme oder Tötung von mehr als 40 Terroristen verantwortlich", zitierte der "Spiegel" am Wochenende aus einem im Jahr 2005 erstellten NSA-Bericht.

Die Daten hätten zum Erfolg des weltweiten "Krieges gegen den Terror" und der US-Politik in Afrika beigetragen, hieß es dem Bericht zufolge in dem Dokument weiter, das aus dem Bestand des Informanten Edward Snowden stammt. Darin berichtet demnach der Geheimdienst, dass die NSA-Führung 2003 beschlossen habe, das Personal in Deutschland zu verstärken. Eine Gruppe von Analysten habe dann damit begonnen, gezielt nach Informationen über Terrorgruppen in Nordafrika zu suchen.

Insgesamt sollen in Deutschland nach „Spiegel“-Angaben mehr als 200 US-Agenten aktiv sein, die offiziell mit Diplomatenstatus angemeldet seien. Hinzu kämen vermutlich mehrere hundert Angestellte privater Firmen, die für die NSA arbeiteten. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte Ende 2013 aus einem NSA-Bericht zitiert, dass allein am Standort Griesheim mehr als 200 Mitarbeiter damit beschäftigt seien, Millionen von Daten zu filtern.

Das NSA-Zentrum in Deutschland hörte umfassend mit

Aus der kleinen Gruppe der NSA-Analysten in Deutschland erwuchs laut "Spiegel" die inzwischen größte europäische Zweigstelle der NSA in Griesheim bei Darmstadt. Von dem geheimen Standort aus werden laut den NSA-Dokumenten inzwischen 26 Aufklärungsmissionen betrieben. Zu den überwachten Daten zählten europäische Kommunikation sowie "Ziele in Europa".

Dabei kann das Griesheimer NSA-Zentrum offenbar nicht nur auf Metadaten zurückgreifen, sondern mehrere Tage lang auf vollständige Kommunikationsinhalte, die unter anderem vom britischen Geheimdienst GCHQ bereitgestellt würden.

Eine NSA-Sprecherin wollte sich zu konkreten Punkten nicht äußern, sagte dem "Spiegel" aber, es gebe einen "ausführlichen und engen Austausch" mit den deutschen Sicherheitsbehörden. Auf Grundlage der Snowden-Dokumente berichtete der "Spiegel" zudem, dass in Deutschland mehr als 200 US-Agenten mit Diplomatenstatus gemeldet seien. Hinzu kämen vermutlich mehrere hundert Angestellte privater Firmen, die im Auftrag der NSA arbeiteten.

Ein Vertrag zwischen der NSA und dem Bundesnachrichtendienst (BND) enthalte zudem eine Ausnahmeklausel zur Ausspähung von Deutschen, berichtete das Magazin weiter. In der 2002 unterzeichneten Vereinbarung für die Kooperation am Lauschposten im bayerischen Bad Aibling verpflichteten sich beide Seiten zwar, keine Deutschen und US-Bürger von dem Posten aus zu belauschen.

Für die Linkspartei sind die Grenzen des Rechtsstaats überschritten

Im Fall "terroristischer Aktivitäten" gelte dieser Grundsatz allerdings nur eingeschränkt: Stelle sich bei einschlägigen abgefangenen Informationen heraus, dass sie von einem Deutschen stammen, könnten sie trotzdem verwendet werden - wenn der Partner informiert wird und zustimmt.

Den Informationen zufolge betrieben der BND und die NSA in Bad Aibling gleich zwei gemeinsame Arbeitsgruppen zur technischen Aufklärung und sogar zur Auswertung abgefangener Signale. Der BND erklärte dem "Spiegel", dass bei der Zusammenarbeit die gesetzlichen Grundlagen gewahrt worden seien. Die gemeinsamen Aufklärungs- und Analysezentren in Bad Aibling bestünden "seit 2012 bzw. seit 2011 nicht mehr".

Die Linkspartei warf dem deutschen Geheimdienst vor, in der Zusammenarbeit mit den USA die rechtsstaatlichen Grenzen überschritten zu haben. "Mit Wissen, ja mit aktiver Mithilfe der Bundesregierung werden in Deutschland gewonnene Informationen genutzt, um extralegale Tötungen zu vollziehen", kritisierte der Linken-Abgeordnete Jan Korte. "Die Dimension der Geheimdienstzusammenarbeit mit den USA wird immer ungeheuerlicher."

Auch bei der früheren amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton stößt das Vorgehen der NSA auf Kritik. Der US-Geheimdienst NSA sei bei seinen Abhörmethoden zu weit gegangen. "Einiges von dem, was da geschehen ist, hätte nie passieren dürfen", sagte sie in einem Interview für das ZDF-"heute journal". Die Befugnisse der Nachrichtendienste müssten eingeschränkt werden, meinte Clinton: "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns." Der Datenschutz sei ein bedeutendes Thema.

Chelsea Manning wirft der US-Regierung vor, die Bürger zu täuschen

Die Wikileaks-Informantin Chelsea Manning warf der US-Regierung unterdessen vor, der Bevölkerung die Wahrheit über die Lage im Irak zu verschweigen. Da der Irak nach dem Vormarsch sunnitischer Dschihadisten vor einem Bürgerkrieg stehe und die USA "erneut eine Intervention erwägen", stelle sich die Frage umso dringender, "wie die Armee der Vereinigten Staaten die Medienberichte über ihr Engagement dort und in Afghanistan kontrolliert", schrieb Manning in einem am Sonntag veröffentlichten Beitrag für die "New York Times".

Die damals noch mit dem Vornamen Bradley als Mann lebende Manning hatte während der Stationierung im Irak vor vier Jahren hunderttausende Armeedokumente sowie Depeschen der US-Diplomatie von Militärrechnern heruntergeladen und der Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks zugespielt. Nach eigenen Angaben wollte Manning eine öffentliche Debatte über die Kriege in Afghanistan und im Irak anstoßen. Im Mai 2010 wurde der damalige Obergefreite auf einem Stützpunkt nahe Bagdad festgenommen, im vergangenen August wurde Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt.

In ihrem Beitrag für die "New York Times" schrieb Manning, "die derzeitigen Grenzen der Pressefreiheit und der schwere Schleier des Regierungsgeheimnisses" verhinderten, dass die US-Bürger "voll erfassen, was in den Kriegen passiert, die wir finanzieren". Damit werde den Wählern die Möglichkeit genommen, "das Verhalten ihrer Führer zu beurteilen".

Manning warf der US-Regierung und der Armee vor, die öffentliche Meinung über den Irak-Konflikt gezielt beeinflusst zu haben. "Wie konnten die obersten Entscheidungsträger behaupten, dass die öffentliche Meinung und der Kongress den Konflikt unterstützen, obwohl diese nur über die Hälfte der Informationen verfügen?" So seien beispielsweise während ihres Aufenthalts im Irak nie mehr als zwölf US-Journalisten gleichzeitig dort akkreditiert gewesen, obwohl das Land 31 Millionen Einwohner zähle und damals 117.000 US-Soldaten im Einsatz waren.

(AFP/dpa)

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