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Inspektion. Donald Trump besuchte die Mauerteile am Dienstag.

© Kevin Lamarque/Reuters

US-Schutzwall an Grenze zu Mexiko: Die Berliner Mauer bei San Diego

Zehn Meter hoch: An Amerikas Grenze zu Mexiko soll ein Schutzwall entstehen. US-Präsident Trump will es so – und lässt Prototypen testen. Ein Besuch.

Einen Zaun haben sie schon in Otay Mesa. Er zieht sich östlich des US-Grenzübergangs zwischen den USA und Mexiko schnurgerade über die Ebene und einen Hügel hinauf und trennt das amerikanische Territorium von der mexikanischen Grenzstadt Tijuana. Teilweise besteht er aus Maschen- und Stacheldraht, an anderen Stellen aus Wellblech.

Doch Donald Trump will mehr als einen Zaun. Darum ragen östlich von Otay Mesa ein paar Meter vor der Grenzlinie acht Kolosse in die Höhe: Prototypen für Trumps Mauer, errichtet von Baufirmen, die sich um den Großauftrag für den Grenzwall bewerben wollen.

Während im fernen Washington noch heftig über das Projekt gestritten wird, werden außerhalb von Otay Mesa bei San Diego im Bundesstaat Kalifornien schon mögliche Varianten des geplanten Schutzwalls getestet. Die acht Mauerteile stehen in Reih und Glied nebeneinander, die Abwehrseiten Richtung Süden, Richtung Mexiko. Trump besuchte die Prototypen vergangenen Dienstag und unterstrich seine Entschlossenheit, den Schutzwall zu bauen: Ohne Mauern, erklärte der Präsident, habe man kein Land.

Spezialisten der Grenzpolizei testen die Mauerteile

Eines der Segmente besteht aus einer fünfteiligen Betonwand mit einem abgewinkelten Stacheldrahtzaun auf der oberen Kante, ein anderes sieht aus wie die Berliner Mauer auf Stelzen: 23 Säulen tragen eine graue Platte, gekrönt von einer runden Stahlröhre, die das Überklettern verhindern soll. Möglicherweise hat die Berliner Mauer von Otay Mesa – der Vorschlag der Baufirma KWR Construction aus Arizona – besonders gute Chancen, dem Präsidenten zu gefallen. Trump sagte kürzlich, die Mauer müsse so beschaffen sein, dass die US-Grenzer illegale Einwanderer schon auf mexikanischem Boden orten könnten.

Zehn Meter hoch sind die Mauerteile aus Beton und Metall, und sie reichen mindestens zwei Meter tief unter die Erde. Seit zwei Monaten werden sie einem Härtetest unterzogen: Spezialisten der US-Grenzpolizei versuchen immer wieder, die Betonteile zu erklimmen oder Tunnel unter ihnen hindurch zu treiben. Mehr als 200 Schmuggel-Tunnel wurden in den vergangenen Jahren an der Grenze entdeckt.

An einem weiteren, geheim gehaltenen Ort bei Otay Mesa setzen die Grenzer an acht baugleichen Mauervarianten alle möglichen Schlag- und Bohrwerkzeuge ein, um zu erproben, wie Menschenschmuggler den Wall durchbrechen könnten. Nach welchen Kriterien die Experten dabei vorgehen, wird offiziell nicht mitgeteilt. Der „New York Times“ zufolge müssen die Mauerteile mindestens einer halbstündigen Attacke mit einem Vorschlaghammer widerstehen können.

Das Herzstück seiner politischen Agenda

Die Mauer ist Herzstück von Trumps populistischer Agenda. Kein anderes Thema begeisterte seine Anhänger im Wahlkampf von 2016 so sehr wie das Projekt des Walls an der Grenze zu Mexiko. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt im Januar vergangenen Jahres gab Trump per Präsidialdekret die Anweisung zum Mauerbau. Seitdem ist jedoch nur wenig geschehen – eine Tatsache, auf die einige rechtsgerichtete Kommentatoren häufiger hinweisen, als Trump lieb sein kann. Der Aufbau der acht Mauerteile bei Otay Mesa ist bisher die einzige konkrete Maßnahme.

Die Gegend um San Diego wurde als Testort für die Mauer gewählt, weil sie eine der „belebtesten Sektoren“ der mehr als 3000 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko ist, wie Ronald Vitiello, Vizechef der US-Grenzschutzbehörde, bei der Vorstellung des Mauer-Tests im Herbst mit vornehmer Untertreibung sagte. Was Vitiello meinte, ist: In San Diego werden ganz besonders viele illegale Einwanderer und Drogen über die Grenze in die USA gebracht. Allein im vergangenen Jahr fassten Vitiellos Beamte hier mehr als 30.000 Grenzgänger ohne Papiere.

Über die Schulter schauen lassen sich die Mauer-Tester nicht: Grenzschützer sperren den Zugang zu den Mauerteilen von Otay Mesa weiträumig ab. An einer Unterführung etwa zwei Kilometer von den Betonwänden entfernt blockieren zwei Streifenwagen die Straße. „Hier kommen nur Regierungsbeamte durch“, sagt einer der Beamten, der wie seine Kollegen eine schusssichere Weste trägt. Auf die Frage, ob die Absperrung dem Ziel dient, mutmaßlichen Schleusern eine allzu genaue Inspektion der Grenzsicherung zu verwehren, lächelt der Grenzer und zuckt mit den Schultern.

Allein die Prototypen haben drei Millionen Dollar gekostet

Wie die Mauer am Ende aussehen wird und wann – oder ob – sie gebaut wird, weiß noch niemand. Sobald Vitiellos Experten genug an den Prototypen gegraben, gekratzt und gebohrt haben, sollen neue Anforderungen für eine Ausschreibung erarbeitet werden. „Das wird teuer“, gibt Vitiello zu. Wie teuer genau, steht in den Sternen. Schon die Mauerteile von Otay Mesa haben mehr als drei Millionen Dollar gekostet.

2017 hatte Trump die Summe von 2,6 Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Euro) für den Bau eines 120 Kilometer langen Mauer-Teilstücks veranschlagt, das jedoch nie gebaut wurde. Je nachdem, wie lang die Mauer sein soll, werden die Gesamtkosten irgendwo zwischen 15 und 70 Milliarden Dollar liegen. Hinzu kommen Ausgaben für andere Hilfsmittel wie Aufklärungsdrohnen und Nachtsichtgeräte sowie für den Aufkauf von privatem Land an der Grenze durch den Staat.

Im Wahlkampf versprach Trump, Mexiko werde am Ende für die Mauer zahlen. Weil die Regierung des Nachbarlandes dabei nicht mitspielen will, werden in Washington andere Möglichkeiten genannt, die Mexikaner die Zeche begleichen zu lassen. Eine davon lautet, eine Sondersteuer auf jene Gelder zu erheben, die Mexikaner in den USA zu ihren Verwandten in der Heimat schicken.

Da kämen zwar etliche Milliarden zusammen. Doch die Überweisungen helfen vielen Bedürftigen in Mexiko, weshalb eine Steuer die Armut in dem mittelamerikanischen Land verschlimmern und noch mehr Menschen zur Flucht in die USA veranlassen würde. Am Ende dürfte die Mauer, wenn sie denn überhaupt je gebaut wird, aus vorhandenen US-Haushaltsmitteln finanziert werden.

Auch Experten äußern Zweifel am Sinn der Mauer

Da kann Isaac Gutierrez nur den Kopf schütteln. „Das sind unserer Steuern dahinten“, sagt er und zeigt in Richtung der Mauerteile von Otay Mesa. Gutierrez, 47 und Amerikaner mexikanischer Herkunft, pendelt als Gebrauchtwagenhändler ständig zwischen San Diego und Tijuana. Jetzt steht er auf dem Parkplatz einer kleinen Ladenzeile in der Nähe des Grenzübergangs von Otay Mesa und wartet auf den Anruf eines Kunden.

Komplett überflüssig findet Gutierrez den Plan des Präsidenten. „Schau mal, die Leute nehmen die Gefahr in Kauf, in der Wüste zu verdursten, wenn sie über die Grenze kommen. Warum sollen sie sich dann von einer Mauer abschrecken lassen?“ fragt er. „Die Leute werden einen Weg finden.“ Das wüssten die Deutschen vielleicht besser als andere, fügt er hinzu: „Die Berliner Mauer hat ja auch nicht gehalten.“

Die Prototypen stehen an der Grenze und werden von US-Polizisten gestestet
Die Prototypen stehen an der Grenze und werden von US-Polizisten gestestet

© Edgard Garrido/Reuters

Auch Experten äußern Zweifel am Sinn der Mauer. Ein Großteil der Drogen, die aus Mexiko in die USA geschmuggelt werden, kommen nicht über die ungesicherte Grenze, sondern über die offiziellen Grenzübergänge ins Land, versteckt in Geheimfächern in Autos oder unter der Ladung von Lkw. Bei mehreren tausend Fahrzeugen und Menschen, die jeden Tag ganz legal die Grenze überqueren, sind Drogenfunde fast Glücksache, stellte die Sicherheitsexperten Vanda Felbab-Brown in einem Bericht für die Denkfabrik Brookings Institution fest.

US-Farmer sind auf Illegale als Arbeitskräfte angewiesen

Trump-Kritiker in Otay Mesa und anderswo stellen die Frage, ob eine geregelte und zeitlich befristete Aufnahme von Zuzüglern nicht billiger und besser wäre als eine Mauer. Sollte Trumps Wall tatsächlich die meisten illegalen Grenzgänger abwehren, wäre das für die US-Landwirtschaft wie für andere Branchen eine Katastrophe, wenn nicht gleichzeitig Reformen für einen legalen Status von Saisonarbeitern eingeführt würden: Auf Feldern und Plantagen der USA schuften nach einer Schätzung des US-Arbeitsministeriums derzeit rund eine Million illegaler Einwanderer. Frisches Obst oder Gemüse in amerikanischen Supermärkten ist häufig von Illegalen gepflückt, geerntet und gewaschen worden. Ähnliches gilt für die Fleischindustrie und viele Dienstleistungen.

Trump will die Mauer trotzdem. In Washington streitet er sich mit den oppositionellen Demokraten um die Einwanderungspolitik und um Milliardensummen für sein Lieblingsprojekt. Der Präsident will 25 Milliarden Dollar an Haushaltsmitteln für die Mauer und andere Methoden der Grenzsicherung und bietet im Gegenzug großzügige Lösungen für die Einbürgerung von fast zwei Millionen illegalen Einwanderern, die schon im Land sind. In seiner Rede zur Lage der Nation erneuerte Trump gerade sein Angebot, doch bisher gibt es keine Einigung.

Künstler will Mauerteile als Denkmal erhalten

Unabhängig davon, wie die Debatte ausgehen wird, wirbt der Schweizer Aktionskünstler Christoph Büchel schon jetzt für einen Erhalt der acht Mauer-Prototypen von Otay Mesa. Büchel hat eine Online-Petition gestartet, mit der er Trump dazu bringen will, die Mauerteile zu Denkmälern zu erklären. Um den Präsidenten zu umschmeicheln, nennt Büchel seine Aktion „MAGA“, eine Anspielung auf Trumps Wahlkampf-Slogan „Make America Great Again“.

Selbst wenn die Mauer nie gebaut werde, könnten die Prototypen die Amerikaner und die Welt dauerhaft an das Projekt erinnern, sagte Büchel der „New York Times“. Das Blatt schrieb, die auf Abschreckung getrimmten Mauerteile besäßen tatsächlich „die unbestreitbare Erhabenheit minimalistischer Skulpturen“.

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