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US-Waffengesetz: "Erst schießen, dann fragen"

In den USA wird ein neues Waffengesetz immer populärer. Es erlaubt Bürgern, die sich bedroht fühlen, ausdrücklich die Anwendung tödlicher Waffengewalt. Kritiker nennen es "erst schießen, dann fragen".

Washington - Und das nicht nur zu Hause, sondern auch in aller Öffentlichkeit. Nach Florida im vergangenen Herbst haben jetzt auch die Einwohner in South Dakota und Indiana grünes Licht für diese aggressivste Form von Selbstverteidigung erhalten. In etwa 20 weiteren US-Staaten werden entsprechende Gesetze erwogen. Das freut insbesondere die mächtige Organisation der Waffenbesitzer (NRA), die meint, dass das Recht zum Töten von potenziellen Angreifern längst überfällig ist und die erreichen will, dass sich alle Staaten die neue Regelung zu Eigen machen.

Gegnern wie der "Brady-Kampagne zur Verhinderung von Waffengewalt" - benannt nach dem bei einem Anschlag verletzten früheren Präsidentensprecher James Brady - graust es dagegen. Sie befürchten, dass den Bürgern in den betreffenden Staaten künftig der Finger besonders locker am Abzug sitzt, beispielsweise in Streit- und Stress-Situationen. Das "Behaupte-dich-Gesetz", wie es von den Befürwortern genannt wird, könne Menschen als Entschuldigung dienen, eine Waffe zu benutzen, auch wenn die Anwendung von Gewalt völlig ungerechtfertigt sei.

Tatsächlich gibt es in Florida bereits einen Fall, der zeigt, wie problematisch die Neuregelung ist. Im Mittelpunkt steht der Besitzer einer Abschleppfirma. Er ist wegen der Ermordung eines Autobesitzers angeklagt, der von seinem Unternehmen abgeschleppt wurde. Die Darstellung der Staatsanwaltschaft: Der Fahrzeugeigentümer wollte beim Abholen des Autos davonrasen, ohne die Abschleppgebühren zu bezahlen, und wurde von dem Firmenchef erschossen. Das Argument der Verteidigung: Der Unternehmer habe gefeuert, weil er befürchtete, von dem flüchtenden Autobesitzer überrollt zu werden. Folglich sei die Aktion von dem neuen Gesetz gedeckt, das Straffreiheit bei tödlicher Gewaltanwendung in Bedrohungssituationen zusichert - vorausgesetzt, der Aufenthalt des Bedrohten am Ort des Geschehens ist legal.

In vielen US-Staaten haben die Bürger bereits ausdrücklich das Recht, sich in Bedrohungssituationen auf eigenem Grund und Boden mit tödlicher Gewalt zu verteidigen. Was Fälle in der Öffentlichkeit betrifft, gibt es entweder keine Regeln oder die Einschränkung, dass der Bedrohte vor der Anwendung von Gewalt zuerst versuchen muss, den Rückzug anzutreten, das heißt, der möglichen Gefahr gewaltfrei zu entgehen. So lautete beispielsweise bis zum Herbst vergangenen Jahres die Vorschrift in Florida - nach Auffassung der NRA geradezu "eine Einladung, sich in den Rücken schießen zu lassen oder vergewaltigt zu werden", wie es einer ihrer namhaften Vertreter, Chris Cox, formulierte.

Er hält es schlicht für hanebüchen, "gesetzestreue Bürger zur Flucht zu zwingen, wenn sie von Kriminellen angegriffen werden - egal, ob zu Hause oder in der Öffentlichkeit". Wer sich im Fall eines Angriffs zurückziehen wolle, könne das ja tun, aber wer sich entscheide, sich zu wehren, der dürfe nicht zum zweiten Mal zum Opfer werden, "diesmal zum Opfer der Justiz".

Die Anhänger der "Brady-Kampagne" befürchten dagegen die Rückkehr zu Wildwest-Methoden, die Gefahr, dass Bürger sich frei fühlen, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Es gebe kein anderes zivilisiertes Land auf der Welt, das ein ähnliches Gesetz habe, sagt Sprecher Peter Hamm. Zu Gewalt neigende Menschen würden in Reizsituationen ermutigt, eine Bedrohung zu sehen, die gar nicht existiere. Das neue Gesetz sei zudem gar nicht nötig, weil Gewaltanwendung im Fall eines nachweisbaren Zwangs zur Selbstverteidigung ohnehin nicht bestraft werde.

Hamm wäre weniger beunruhigt, würden nicht so viele Amerikaner mit einem Revolver oder einer Pistole in der Öffentlichkeit herumspazieren: 38 US-Staaten erlauben das Tragen verdeckter Waffen. (Von Gabriele Chwallek, dpa)

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