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Politik: US-Wahl entschieden?: Schwarze Wut

So sehr sich der Republikaner George W. Bush im Wahlkampf um das Vertrauen der schwarzen US-Bevölkerung bemühte - spätestens seit er mit Erfolg die Handzählungen in Florida verhinderte, hat er seinen Ruf als "Konservativer mit Herz" verspielt.

So sehr sich der Republikaner George W. Bush im Wahlkampf um das Vertrauen der schwarzen US-Bevölkerung bemühte - spätestens seit er mit Erfolg die Handzählungen in Florida verhinderte, hat er seinen Ruf als "Konservativer mit Herz" verspielt. Bei den Afro-Amerikanern sei der Eindruck weit verbreitet, "dass diese Wahl gestohlen wurde", meint David Bositis, ein Spezialist für den Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen in den USA. Die schwarzen Wähler sehen sich als Opfer des Wahlchaos, bei dem in Florida überproportional viele Stimmen schwarzer Bürger verloren gingen. Laut Bürgerrechtlern wie Jesse Jackson wurde ihnen der Urnengang bewusst erschwert oder gar verwehrt.

Nach Darstellung der Nationalen Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen (NAACP) gestaltete sich die Wahl am 7. November für Schwarze und andere Angehörige von Minderheiten wie ein Hürdenlauf. Bestimmte Wahllokale seien vorzeitig geschlossen worden, in anderen hätten schwarze Wähler vergeblich um Erläuterungen gebeten. Rund 8000 meist schwarze Bürger seien wegen angeblicher Vorstrafen unberechtigterweise von den Wählerlisten gestrichen worden.

Die Bürgerrechtler vermuten Wahlbetrug und Verfassungsbruch: Sie fordern von Justizministerin Janet Reno eine Untersuchung der Vorwürfe, die am Wahlergebnis allerdings kaum mehr etwas ändern wird. Die demokratische Abgeordnete Corrine Brown bringt die Tatsache ins Spiel, dass Bushs Bruder Jeb in Florida regiert. "Leute, die als Wahlbeobachter in Haiti und Südafrika waren, sagen mir, wenn es derartige Unregelmäßigkeiten in einem Land gebe, in dem der Bruder des Kandidaten die Geschäfte führe, dann stünde schon beim ersten Geruchstest fest, dass hier etwas nicht stimmen könne." Jeb Bush ist bei Schwarzen wenig beliebt, seit er versuchte, die Minderheitenförderung per Quote abzuschaffen.

Die schwarzen Wähler fühlen sich umso mehr betrogen, als sie dieses Mal in besonders großer Zahl wählen gingen. In Florida stellten sie 15 Prozent der Wählerschaft, gegenüber zehn Prozent vor vier Jahren. Ihre Sympathien galten klar Al Gore - nicht nur in Florida. Landesweit votierten 90 Prozent der Schwarzen für den Demokraten.

Dass Bush vorhat, die schwarze Professorin Condoleezza Rice zur ersten schwarzen Nationalen Sicherheitsberaterin zu ernennen, dürfte nicht ausreichen, um jene zu besänftigen, die sich vom demokratischen Prozess ausgeschlossen fühlen. Schließlich kenne kaum jemand die aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Rice, gibt Konfliktexperte Bositis zu bedenken. Die Republikaner seien sich wohl bewusst, dass der Präsidentschaftsstreit das Potenzial einer "Atombombe" habe. Sie müssten sich nach der Übernahme der Regierung genau überlegen, wie sie die Bombe entschärfen wollten, "denn schwarze Wut kann gefährlich sein".

George W. Bush dürfte sich nach einem Einzug ins Weiße Haus allerdings schwer tun, die nach dem Wahlchaos gespaltene amerikanische Nation zu versöhnen. Der Republikaner werde enorme Fähigkeiten brauchen, um die Zweifel an seiner Legitimität auszuräumen, die der Oberste Gerichtshof über ihm habe hängen lassen, sagte R. W. Apple, der Analyst der "New York Times". Nicht viel optimistischer äußerte sich David Broder von der "Washington Post". Der Richterspruch gebe den Demokraten jede Menge Munition, um Bush auch nach dem Amtsantritt das Recht auf die Präsidentschaft abzusprechen.

Für den texanischen Gouverneur könnte ein Trost sein, dass auch andere amerikanische Präsidenten unter umstrittenen Bedingungen gesiegt haben. Als der Republikaner Rutherford Hayes im Jahr 1876 sein Amt antrat, war die halbe Nation überzeugt, dass er dem Demokraten Samuel Tilden den Sieg gestohlen hatte. Doch weil Hayes nach den Skandalen seiner Vorgänger wieder Integrität ins Weiße Haus getragen habe, sei er am Ende seiner Amtszeit populärer gewesen als zu Beginn, meint Roger Bridges, Direktor der Hayes-Präsidentenbibliothek. J.-M. STOULLIG UND

H. Löwisch

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