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Politik: US-Wahl: Streit gibt es nur, wenn es wirklich knapp wird

Zwischen Pazifik und Atlantik gehen 105 Millionen Menschen wählen, doch den Ausschlag geben am Ende ein paar Tausend Stimmen aus einem einzigen Bundesstaat: Das indirekte US-Wahlsystem, das den Präsidenten nach Wahlmännern statt landesweiten Stimmanteilen kürt, ist angesichts der Zitterpartie ums Weiße Haus in die Kritik geraten. Wurde die Supermacht vom Rentnerstaat Florida als Geisel genommen, oder bewährt sich das System aus dem 18.

Zwischen Pazifik und Atlantik gehen 105 Millionen Menschen wählen, doch den Ausschlag geben am Ende ein paar Tausend Stimmen aus einem einzigen Bundesstaat: Das indirekte US-Wahlsystem, das den Präsidenten nach Wahlmännern statt landesweiten Stimmanteilen kürt, ist angesichts der Zitterpartie ums Weiße Haus in die Kritik geraten. Wurde die Supermacht vom Rentnerstaat Florida als Geisel genommen, oder bewährt sich das System aus dem 18. Jahrhundert wie die meisten anderen Prinzipien der US-Verfassungsväter? Die Diskussion ist im Gange, doch eine Änderung nicht in Sicht.

Hinter dem Wahlmännerkollegium steckte ursprünglich der Gedanke, den Aufstieg eines regionalen Präsidentschaftskandidaten zu verhindern: Die maßgeblichen Stimmen wurden unter alle Bundesstaaten gestreut, wobei die kleinen überproportional großen Einfluss erhielten. Diese Regelung hat nach Ansicht ihrer Befürworter auch heute ihren Nutzen, weil sich der Wahlkampf sonst nur in Ballungsgebieten lohnen würde. Mit Hilfe der Volkszählung wird die Gewichtung der Wahlmännerstimmen pro Bundesstaat alle zehn Jahre der Bevölkerungsentwicklung angepasst.

Zum Streitfall wird das System immer nur dann, wenn ein Rennen besonders knapp ist, wie diesmal zwischen dem demokratischen Vizepräsidenten Al Gore und dem republikanischen Gouverneur George W. Bush. In solchen Situationen kommen Anomalien zum Vorschein - etwa, dass der Verlierer nach Wahlmännern landesweit mehr Stimmen bekommen hat als der Sieger.

Ist das Ergebnis auch nach Elektorenstimmen knapp, dann bekommen die anonymen Wahlmänner plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Meist loyale Parteifunktionäre, verpflichtet sie nur in einem Drittel der Bundesstaaten ein Gesetz dazu, am 18. Dezember im Kollegium auch so abzustimmen, wie es die Wähler vorgesehen haben. Die Fälle, in denen ein Wahlmann in der US-Geschichte gegen seinen Auftrag votierte, lassen sich an zwei Händen abzählen.

Der Politologe John Jay Douglass plädiert deshalb für eine schrittweise Abschaffung des Wahlmännerkollegiums. Andernfalls sei dem Missbrauch der Demokratie Tür und Tor geöffnet. Douglass schlägt vor, dass künftig nicht mehr alle Wahlmänner eines Bundesstaates automatisch an den Sieger in diesem Bundesstaat fallen. Die Wahlmänner könnten unter die Wahlbezirke aufgeteilt werden, wie dies schon in Maine eingeführt ist. Allerdings bezweifeln andere Wissenschaftler die Durchsetzbarkeit landesweiter Reformen.

Patrick Anidjar

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