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Besucher vor dem Abraham Lincoln Memorial in Washington.

© Reuters

US-Wahl: Was wir vom Land der Tapferen lernen können

Die USA sind mehr als ein Staatengebilde, sie sind eine Haltung, eine Großmacht – auch im Denken: Amerika ist immer wieder bereit zu neuem Aufbruch.

„Der Pfad war ausgetreten und rutschig. Mein Fuß rutschte unter mir weg und trat den anderen aus dem Weg, aber ich erholte mich und sagte zu mir selbst: Es ist ein Ausrutscher und kein Fall.“

– Abraham Lincoln

Das ist es, was uns etwas lehren kann. Das ist es, was uns Amerika, dieses Wunder, ja auch dieses Muster an Diversität, immer wieder lehren sollte. Falle, aber stehe auf. Sage dir, dass es kein Fall war. Siehe die Aufgabe. Verstehe sie als Chance.

Amerika, das ist mehr als ein Staatengebilde. Die USA, e pluribus unum, aus den Vielen zum Einen, dem Ganzen, sind eine: Haltung. Eine, die man zum Leben und Streben entwickelt und im Täglichen auszuformen versucht. Ja, man kann scheitern, grausam scheitern, oft genug scheitern die Menschen gerade auch in diesem Land. Und gerade jetzt, da immer weniger – in den USA und außerhalb, im Weltkreis – in ihm das Land der Verheißung sehen, ist es doch Zeit, an diese eine Tradition zu erinnern, die Amerika groß macht: die Selbstbesinnung. Sie hat noch immer Kräfte der Selbstheilung freigemacht.

Die USA sind eine Großmacht. Nicht, oder nicht nur, weil die im Militär so stark wäre. Weil Wall Street immer wieder zu alter Kraft fände und die Reichen auf Kosten der Armen immer unermesslicher reich würden. Ja, das alles stimmt – und reicht doch zur Erklärung bei Weitem nicht aus. Denn da sind diese Weite des Denkens, des Schaffens, des Forschens. Die Weite der bildenden Kunst und der Literatur und der Filme und der Musik. Und da ist immer wieder die Bereitschaft zum neuen Aufbruch, die stetige Neugierde, zu sehen und zu erleben, was hinter dem Horizont wohl warten mag. Die Fähigkeit, die Grenzen immer wieder zu verschieben, ist doch keine nur im Negativen.

Das Neue ist in der Neuen Welt willkommen. Noch immer

Das Neue, das immer kommt, weil die Welt so ist, so banal ist, ist in der Neuen Welt willkommen. Noch immer. Das zeigt, wie ikonenhaft, der scheidende Präsident, der 44. Mag Barack Obama in Vielem gescheitert sein, in einem nicht: Er hatte heilende Wirkung, trotz allem, durch sein Da-Sein, auch durch sein So-Sein. Und seine Reden, die des ersten Schwarzen an der Spitze des Landes mit der Erbsünde der Sklaverei, werden bleiben. Sie werden ihre Kraft noch entwickeln, wie die des Präsidenten, der die Sklaverei abschaffte, Abraham Lincoln.

„Es ist vielmehr an uns, der großen Aufgabe geweiht zu werden, die noch vor uns liegt – auf dass uns die edlen Toten mit wachsender Hingabe erfüllen für die Sache, der sie das höchste Maß an Hingabe erwiesen haben – auf dass wir hier feierlich beschließen, dass diese Toten nicht vergebens gestorben sein sollen – auf dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben soll – und auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge.“

Worte von Lincoln, die heute, aktuell, mit ein wenig Abstraktion wie gemeißelt sind für die Nation. Es ist kein Bürgerkrieg, so sind die Zeiten nicht. Noch nicht. Aber es ist ein Bürger-Konflikt, der die Nation zu spalten droht. Auseinandersetzungen, scharfe und verletzende, kann es auch mehr denn je durch Worte geben. Und immer weniger werden viele Menschen durch Taten als durch Worte über Taten bestimmt. Aber die Hoffnung bleibt, wartet, hinterm Horizont. Das wird nur der nicht erleben, dessen Horizont beschränkt ist.

Klaus Stuttmann über die Zerrissenheit Amerikas vor der Wahl.
Klaus Stuttmann über die Zerrissenheit Amerikas vor der Wahl.

© Karikatur: Klaus Stuttmann

Da, genau da, ist es, was Hoffnung macht. Immer wieder Hoffnung macht, bei noch jedem Präsidenten, der auf dem Alten Kontinent Skepsis weckte. Mögen es tiefe Täler sein, die die Menschen in den USA durchschreiten – sie haben es bisher noch jedes Mal geschafft, wieder zu höchsten Höhen zu gelangen. Oder nicht? Hat nicht jeder einen solchen Präsidenten im Kopf, für das eine wie das andere? Ob Schauspieler oder Erdnussfarmer oder Schürzenjäger.

Keine Feinde

Immer und zu allen Zeiten kam eine neue hoffnungsvolle Generation und tat, was zu tun war. Sie tat es, weil sie diesen Ruf hörte. Weil sie verstand, dass das ihr Schicksal sei. Weil sie die Verantwortung annahm, ungeachtet all dessen, was dagegenstand. Das hat Abraham Lincoln verstanden – und Barack Obama durch seine Worte und sein Wirken am Leben erhalten. Beide hatten ihre Zweifel, ihre Niederlagen, ihre Rückschläge. Aber es gab ihn doch, den Schwarzen im Präsidentenamt. Denn es gab die Menschen, die nach Abraham Lincoln taten, was zu tun war.

„Wir sind keine Feinde, sondern Freunde. Wir dürfen keine Feinde sein. Leidenschaft mag die Bande unserer Zuneigung anspannen, aber zerreißen darf sie sie nicht. Die mystischen Klänge der Erinnerung werden ertönen, wenn – und das ist sicher – die besseren Engel unserer Natur sie wieder berühren.“

Demokraten wie Obama, Republikaner wie Lincoln – sie sind keine Feinde. Die Generation der Politiker, die jetzt kommt, die noch die Zeit nach jedem Präsidenten bestimmt, hat die große Chance, der Welt einmal mehr zu beweisen, dass es immer wieder lohnt, die Zuneigung zu diesem Land zu erneuern. Denn es wirkt auf uns, gerade so, als wäre es unser Land. So nah ist uns die Nation über den Atlantik gekommen.

Land der Verheißung

Sie wirkt auf uns ein wie nichts sonst. Gehen wir mit wachen Augen durch unser Leben, dann ist es unübersehbar. Hören wir mit offenen Ohren, dann ist es unüberhörbar. Reden wir nicht längst Germish, Denglisch?

Das ist Food für uns alle, und dazu gehören die Gedanken. Gedanken nicht nur für Nerds: Alles für das Volk, alles durch das Volk. Seid einig, treu und pflichtbewusst. Es lebe das Neue, das da kommen wird. So ähnlich sprach Philipp Scheidemann am 9. November 1918 in Berlin zur Ausrufung der Republik.

Seine Anklänge an Abraham Lincoln erinnern genau an diesem für uns alle wichtigen Tag hier wie dort daran: Lasst uns darauf vertrauen, dass das Recht die Macht schafft. Die Rechte wird die Macht nicht schaffen. Nicht in diesem Land, wo die Zahl der Gerechten doch nicht gering ist. In dem Land der Verheißung, wo die besseren Engel ihrer Natur sich wieder berühren werden.

„Und das sternenbesetzte Banner wird im Triumph wehen über dem Land der Freien und der Heimat der Tapferen!“, weiß die Nationalhymne.

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