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US-Präsident Obama.

© AFP

US-Wahlkampf: Prinzip Hoffnung in der Finanzpolitik

Demokraten und Republikaner setzen im Wahljahr nicht auf Haushaltsdisziplin. Stattdessen dürften die Schulden nochmals steigen - die Erwartungen bei den Einnahmen sind sehr optimistisch.

Wahljahre sind wohl nie ein guter Zeitpunkt für Haushaltsdisziplin. Das gilt auch für die USA. Demokraten und Republikaner können sich auf kein gemeinsames Staatsbudget einigen und erst recht nicht, wie sie den bedrohlichen Schuldenberg durch Spar- und Steuerpolitik abbauen. Die USA sind – gemessen an der Relation der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – höher verschuldet als die Euro-Zone. Die derzeit 15,2 Billionen Dollar Schulden entsprechen gut hundert Prozent der Wirtschaftsleistung. Die amtliche Statistik beziffert die Quote auf unter 80 Prozent, weil sie die Verbindlichkeiten, die sich die öffentliche Hand selbst schuldet, nicht einrechnet – zum Beispiel Gelder, die sich die Regierung aus der Rentenkasse geliehen hat. Die funktioniert wie in Deutschland nach dem Prinzip des Generationenvertrags und weist derzeit noch ein Plus auf, das sich aber mit der absehbaren Erhöhung des Durchschnittsalters demnächst in ein Defizit verkehrt. Wenn im Januar 2013 entweder Barack Obama für eine zweite Amtszeit oder ein republikanischer Wahlsieger als neuer Präsident vereidigt wird, werden die Schulden mindestens eine Billion Dollar höher liegen und in Prozent des BIP ungefähr italienische Verhältnisse erreichen.

Zum Wochenende gab es einen seltenen Moment parteiübergreifender Kompromissbereitschaft im Kongress. Sie beschränkt sich darauf, wie man den Wählern entgegenkommt. Gemeinsam wollten Demokraten und Republikaner die reduzierten Abgabesätze für die Sozialversicherung und das Anrecht auf Arbeitslosengeld fortschreiben. Beides kostet.

Entgegen allen Beteuerungen werden diese Ausgaben weder durch neue Einnahmen noch durch Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen. Es soll lediglich eine kleine Kompensation durch die Versteigerung von Breitbandlizenzen für Mobiltelefongesellschaften geben. Zum Teil werden die jetzt noch von Rundfunkgesellschaften genutzt. Und die werden für die Freigabe entschädigt. So steigt die Verschuldung weiter. Jedes Lager hat seine Erklärungen parat, warum der Kompromiss gleichwohl ein Fortschritt sei. Die Fortsetzung der Arbeitslosenhilfe kostet 30 Milliarden Dollar. Die Republikaner trösten sich damit, dass die Dauer der Arbeitslosenhilfe im Regelfall von 99 auf 63 Wochen gekürzt werde. In Staaten mit besonders hoher Arbeitslosenrate gelten künftig 73 Wochen.

Beide Parteien behaupten, die Versteigerung der Lizenzen werde diese 30 Milliarden Dollar erbringen. Doch selbst wenn es so käme, ist das kein voller Ausgleich, da sie die Hälfte dieser Summe bereits anderweitig verplant haben: für die Entschädigung der Rundfunkgesellschaften und für den Aufbau eines gemeinsamen Notrufnetzes von Polizei, Feuerwehr und Notärzten. Bei mehreren Katastrophen der jüngsten Jahre war das Fehlen eines solchen Netzes ein folgenreiches Hindernis für die Effektivität der Rettungseinsätze: beim Terrorangriff auf New York im September 2001, bei Hurrikan „Katrina“ in New Orleans 2005 und bei der Ölpest im Golf von Mexiko 2010.

Die Demokraten sagen zur Rechtfertigung, der Ausbau der Mobilfunknetze werde Arbeitsplätze schaffen und die Konjunktur beleben, was zu mehr Steuereinnahmen führe. Die Verlängerung der reduzierten Beitragssätze für die Grundrente – 4,2 Prozent statt der nötigen 6,2 Prozent von der Lohnsumme – kostet rund 200 Milliarden Dollar pro Jahr. Beim letzten Konflikt um die Verlängerung im Dezember hatten die Republikaner eine komplette Gegenfinanzierung verlangt und, als die ausblieb, nur einer befristeten Verlängerung bis Ende Februar zugestimmt. Nun erfolgt die weitere Verlängerung ohne Gegenfinanzierung.

Prinzip Hoffnung statt belastbarer Kosten-Nutzen-Rechnungen – das ist generell das System der Budgetkalkulation beider Lager im Wahljahr. Vor wenigen Tagen hatte der Präsident seinen Etatentwurf für das Haushaltsjahr 2013 vorgelegt. In den USA beginnt es jeweils am 1. Oktober. Obamas Vorschlag ist ein politisches Programm und kein realistisches Zahlenwerk. Er rechnet, zum Beispiel, die von ihm gewünschten Erhöhungen des Spitzensteuersatzes von 35 auf 39,6 Prozent ein, obwohl es dafür keine Mehrheit im Kongress gibt. Er operiert mit sehr optimistischen Wachstumserwartungen. Da es in den USA üblich ist, die erwarteten Mehreinnahmen und Einsparungen bei den Ausgaben über zehn Jahre hochzurechnen, reklamiert er unter dem Strich Sanierungseffekte, die sich in der Praxis wohl kaum erzielen lassen.

In jedem der zurückliegenden Jahre seit dem Wirtschaftseinbruch infolge der Finanzkrise haben die USA nur noch 2,4 bis 2,6 Billionen Dollar eingenommen, aber 3,5 bis 3,7 Billionen Dollar ausgegeben und damit ihre Verschuldung um mehr als eine Billion Dollar pro Jahr erhöht. Das Budgetdefizit beläuft sich auf rund ein Drittel des Etats oder auf rund zehn Prozent des BIP. Dank der Einsparungen bei den Kriegskosten im Irak und in Afghanistan sowie der optimistischen Grundannahmen plant Obama für 2013 ein laufendes Defizit von nur noch 900 Milliarden Dollar; die Summe entspräche, falls die Wirtschaft so wächst, wie von ihm erhofft, 5,5 Prozent des BIP.

Obamas Etat wird nie Gesetz werden. Das Haushaltsrecht liegt beim Kongress. Im Abgeordnetenhaus haben die Republikaner die Mehrheit. Auch sie bedienen sich realitätsferner Annahmen. Sie wollen die Steuern trotz der Verschuldung senken – denn das belebe die Konjunktur und führe zu höheren Steuereinnahmen. Zudem rechnen sie mit wirklichkeitsfremden Einsparungen im Sozialbereich.

Wer auch immer die Wahl gewinnt, wird das Prinzip Hoffnung beiseitelegen und in Abkehr von Wahlversprechen wohl beides tun müssen: Steuern erhöhen und Ausgaben senken.

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