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USA: Obama ringt um seine Afghanistan-Strategie

Aus einer könnten mehrere werden: Womöglich wird man je nach Provinz unterschiedlich vorgehen.

Die nächtliche Überraschungsreise des Präsidenten zeigt die Anspannung, die im Weißen Haus herrscht, wenn es um Afghanistan geht. Nach einem langen Arbeitstag flog Barack Obama am späten Mittwochabend unangekündigt per Hubschrauber zum Militärflugplatz Dover in Delaware, dem Ort, über den Gefallene heimkehren. Er erwies 15 Soldaten und drei Drogenfahndern, die kürzlich in Afghanistan umgekommen waren, die Ehre, salutierte vor den flaggenbedeckten Särgen und sprach mit Angehörigen. Erst um vier Uhr morgens war er zurück.

Solche Bilder und Nachrichten kannte man bisher vor allem von George W. Bush während der schlimmsten Zeiten des Irakkriegs. Der Unterschied: Damals hatten die Medien keine Fotoerlaubnis in Dover, aus Rücksicht auf die Familien der Gefallenen. Heute darf aus Dover berichtet werden, sofern die Angehörigen zustimmen. Öffentlich präsent waren die Toten auch in der Bush-Zeit, weil die Medien über die Begräbnisse in den Heimatorten berichteten und regelmäßig ganze Zeitungsseiten mit Bildern der im Irak und in Afghanistan Gefallenen druckten.

Seit Wochen warten Amerikas Bürger und die Nato-Verbündeten, ob Obama die Truppen in Afghanistan nochmals verstärkt und eine neue Strategie vorgibt. Die jüngsten Anschläge auf UN-Mitarbeiter und auf Soldaten, die Furcht vor einer neuen Welle der Gewalt bei der Stichwahl um das Präsidentenamt und der Besuch der Außenministerin Hillary Clinton im Nachbarland Pakistan, wo Taliban und Al Qaida Rückzugsräume haben, verstärken den Druck auf die Regierung, eine Entscheidung zu treffen. Der Oktober war für die US-Truppen der tödlichste Monat seit Kriegsbeginn 2001.

Doch Obama nimmt sich Zeit, auch weil die Meinungen seiner Berater geteilt sind. Der US-Kommandeur in Afghanistan, General Stanley McChrystal, favorisiert eine breite, landesweite Militäroffensive gegen den Widerstand. Er will Gebiete im Süden, in denen die Taliban aktiv sind, unter Kontrolle bringen und die Präsenz im Westen des Landes verstärken. Dafür verlangt er 44 000 weitere Soldaten – zusätzlich zu den rund 32 000 Mann, die Obama im Laufe dieses Jahres nach Afghanistan geschickt hat. Derzeit sind etwa 100 000 westliche Soldaten dort stationiert, zu zwei Dritteln Amerikaner, zu einem Drittel übrige Nato. Die Obergrenze für den deutschen Beitrag liegt bei 4500 Mann. Die Befürworter dieser Strategie verweisen auf den Erfolg im Irak, wo eine ähnlich massive Truppenverstärkung 2007/2008, kombiniert mit dem „Herauskaufen“ von Stämmen aus dem Widerstand, die Wende zur Stabilisierung eingeleitet hatte.

Doch andere Berater, darunter Vizepräsident Joe Biden, argumentieren, eine Aufstockung der Truppen werde auch den Widerstand verstärken, weil die Afghanen zunehmend das Gefühl bekämen, unter Besatzung zu leben. Diese Fraktion befürwortet eine Strategie, in der der Schutz der Zivilbevölkerung weitgehend der afghanischen Polizei und dem afghanischen Militär überlassen bleibt. Die US-Soldaten sollten sich aus der Fläche zurückziehen und auf gezielte Aktionen gegen Aufständische konzentrieren.

Obama hat nun den Auftrag erteilt, die Lage in allen 34 Provinzen einzeln zu analysieren: Wo funktioniert die Selbstregierung und wo wird westliche Hilfe benötigt, wo garantieren die Afghanen aus eigener Kraft die Sicherheit der Bevölkerung und wo sind sie auf Schutz durch US-Truppen und Nato angewiesen? Herauskommen könnte dabei eine regional aufgeteilte Mischstrategie. In einigen Provinzen würde McChrystals Ansatz der Truppenverstärkung verfolgt, in anderen dagegen der Rückzug, weil die regionalen Machthaber die Lage unter Kontrolle haben. Obamas Sprecher sagt, wichtig sei nicht, wie schnell die Beschlüsse fallen, sondern dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

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