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Rede ans revoltierende Volk. Der angegriffen wirkende Präsident Mubarak trat in der Nacht zum Samstag erstmals seit Beginn der Unruhen im ägyptischen Fernsehen auf. Foto: Reuters

© REUTERS

USA und Ägypten: Auf dem falschen Fuß erwischt

Freiheit, Sicherheit, Energie: Warum die US-Interessen im Nahen Osten zum Teil gegenläufig sind.

48 Stunden haben die Welt verändert und die Art, wie Amerika sie wahrnimmt. Bis Donnerstag dominierte der ideologische Machtkampf, ob der Staat sparen kann, um die Schulden abzubauen, ohne dadurch das Wirtschaftswachstum abzuwürgen. Seit Freitag blicken die US-Medien fast ausschließlich nach Ägypten. Auch im Nahen Osten stehen die USA vor der Herausforderung, mehrere Prioritäten parallel zu verfolgen, die sich nicht ohne Weiteres unter einen Hut bringen lassen: Ausweitung von Freiheit und Demokratie, politische Stabilität, Schutz vor Terrorangriffen, Fortschritte im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern, Energieversorgung.

Präsident Barack Obama stolpere den Ereignissen hinterher, moniert die „Washington Post“. Die Freiheitsproteste hätten ihn auf dem falschen Fuß erwischt. In seiner weltweit beachteten Rede in Kairo an die Muslime hatte er die Unterstützung von Bürgerrechten und Demokratie versprochen. In der Praxis umwarb er Ägyptens Herrscher Hosni Mubarak, weil er dessen Unterstützung für die Nahost-Friedensgespräche brauchte. George W. Bush hatte es andersherum gehalten. Er gab der „Freedom Agenda“ Vorrang, hielt Abstand zu Autokraten wie Mubarak und musste dafür Abstriche bei anderen US-Zielen machen. Konservative Kommentatoren, zum Beispiel im „Wall Street Journal“, drängen Obama, die Protestierer von Tunesien über Ägypten und Jemen bis zum Libanon offener zu unterstützen, und sehen im Aufbegehren den Beleg, dass Bushs Kurs, auf den Sturz der Diktatoren zu setzen, richtig war.

Die Runde, in der Sicherheitsberater und Geheimdienstchefs den Präsidenten täglich über die Weltlage informieren, war am Freitag ausschließlich Ägypten gewidmet. Unter dem Druck der Medien entschloss sich Barack Obama am Abend zu einer kurzen Fernsehansprache: Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht gehörten zu den Grundrechten weltweit. Er habe Mubarak am Telefon zu substanziellen Reformen gedrängt. Obama drohte auch mit dem Entzug der Finanz- und Militärhilfe für Ägypten.

In den Diskussionsrunden der Nahost- Experten in den Fernsehstudios und den „Think Tanks“ in Washington ist große Nachdenklichkeit zu spüren. Sie warnen vor vorschnellen Schlüssen. So, wie sie die Abläufe und Zusammenhänge darstellen, scheint es fast zwangsläufig zu sein, dass eine Weltmacht wie die USA, die mehrere, teils gegenläufige geopolitische Interessen verfolgt, immer irgendwie in Widerspruch zu ihren erklärten Zielen gerät. „Wenigstens haben Tunesien und Ägypten kein Öl“, seufzt CNN-Moderator Wolf Blitzer erleichtert. „Ölinteressen sind nicht der Grund für die Vorsicht des Präsidenten.“

Im Jemen sehen sich die USA wegen der Terrorabwehr zur Kooperation mit einer Regierung gezwungen, die regelmäßig die Menschenrechte verletzt. Dort baut Al Qaida seine Aktivitäten aus.

Viele Nahost-Experten in den USA stammen aus der Region. Sie raten zur Vorsicht, weil sie die Erfolgsaussichten der Protestbewegungen skeptisch beurteilen. Gleich mehrere prognostizieren, dass Mubarak in sechs Monaten noch im Amt sein werde. Und selbst wenn er stürze, sei das keine Garantie für mehr Freiheit. Sie verweisen auf die Islamische Revolution im Iran und die Hamas im Gaza-Streifen. Bevor sie an die Macht kamen, hätten auch sie sich auf Freiheitsrechte und das Prinzip demokratischer Wahlen berufen. Doch als sie regierten, war davon keine Rede mehr. In Ägypten gilt die Muslimbruderschaft als stärkste Oppositionskraft; wenn der Aufruhr zu freien Wahlen führe, könne die Bruderschaft sie gewinnen, sagen die Experten. Aber es könnten dann auch für lange Zeit die letzten freien Wahlen gewesen sein.

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