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Heinz Fromm (63), ist seit Juni 2000 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Warum die Bemühungen, die Mitglieder der Terrorzelle zu finden, Ende 2001 eingestellt wurden, sei nicht nachvollziehbar, sagt er.Foto: Kay Nietfeld/dpa

© picture alliance / dpa

Politik: „V-Leute sind kein perfektes Instrument“

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, über die Fahndung nach der Terrorzelle und übertriebene Erwartungen an ein NPD-Verbot.

Sind Sie es leid, Verfassungsschützer zu sein?

Überhaupt nicht. Ich war immer darauf eingestellt, dass auch schlimme Dinge passieren können. Das gehört bei meinem Beruf dazu. Allerdings, eine Terrorzelle wie den „Nationalsozialistischen Untergrund“ habe ich mir in dieser Dimension nicht vorstellen können.

Fast 14 Jahre konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aus dem Untergrund heraus agieren – bis hin zu Morden, Sprengstoffanschlägen und Banküberfällen. Wie war das möglich?

Nachdem diese dem Verfassungsschutz schon als Neonazis bekannten Personen untergetaucht waren, haben mehrere Landesbehörden für Verfassungsschutz, auch mithilfe des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zahlreiche Maßnahmen ergriffen, sie zu finden. Rund vier Jahre ist intensiv gesucht worden, dann endeten diese Bemühungen. Ein eindeutiger Grund hierfür ist nicht erkennbar.

Wieso nicht?

Es ist im Moment nicht nachvollziehbar, warum die Bemühungen der Behörden Ende 2001 weitgehend eingestellt wurden. Man kann darüber lediglich Vermutungen anstellen: Vielleicht war es von Bedeutung, dass sich nach den Anschlägen vom 11. September der Blick sehr stark auf den islamistischen Terrorismus richtete. Und es könnte eine Rolle gespielt haben, dass ab 2002, wegen des damals anhängigen NPD-Verbotsverfahrens, V-Leute in der rechtsextremistischen Szene abgeschaltet worden waren. Damit verschlechterte sich für den Verfassungsschutz die Zugangslage, auch in der Neonazi-Szene. Außerdem waren ab 2003 die meisten Taten des Trios verjährt. Das hatte Folgen für die polizeiliche Fahndung, sie wurde eingestellt. Für den Verfassungsschutz hätte dieser Umstand allein kein Grund sein müssen, sich nicht weiter um die Verschwundenen zu kümmern. Aber es gab ausweislich der mir bekannten Akten keine Hinweise mehr.

Haben Sie oder ein anderer Experte beim Verfassungsschutz nie den Verdacht gehabt, hinter der Serie von Morden an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft könnten militante Rechtsextremisten stecken?

Ich persönlich nicht. Es wurde zwar viel über die Mordserie gesprochen, aber soweit ich weiß, nie gezielt ein rechtsextremistischer Hintergrund weiterverfolgt. Der Grund dafür war offenbar, dass eine solche Hypothese nicht mit Fakten zu unterlegen war. Im Übrigen hat auch außerhalb der Sicherheitsbehörden niemand von denjenigen, die ebenfalls die rechtsextremistische Szene beobachten, je geäußert, die Morde seien womöglich einer rechtsextremistischen Terrorgruppe zuzuordnen. Weder Journalisten noch Initiativen gegen Rechts haben jemals so etwas vermutet.

Brauner Terrorismus ist aber in Deutschland keine unbekannte Größe. Nach der Wiedervereinigung haben zwei Terrorgruppen in Brandenburg versucht, mit Brandanschlägen Migranten zu vertreiben. Und in München wollte die Gruppe um Martin Wiese mit einer Rohrbombe die Baustelle des Jüdischen Kulturzentrums angreifen.

Solche Taten entsprachen ja auch dem Bild von rechtsextremistischem Terror – Anschläge mit Brandsätzen oder Sprengstoff. Aber dass einzelne Personen durch Kopfschüsse gezielt hingerichtet werden, war außerhalb auch unserer Vorstellungswelt. Anders war es nach dem Anschlag mit der Nagelbombe im Jahr 2004 vor einem türkischen Friseursalon in Köln: Das BfV hatte danach geprüft, ob sich die Täter an einem Papier der rechtsextremistischen englischen Terrorgruppe Combat 18 orientiert haben könnten. In einer Publikation mit der Bezeichnung „Stormer“ war in diesem Zusammenhang 2001 eine Anleitung zum Bau einer Nagelbombe veröffentlicht worden. Darauf haben wir hingewiesen. Doch die Ermittlungen ergaben nichts in dieser Richtung. Auch einige Neonazis aus der Region waren intensiv überprüft worden, aber auch das verlief ergebnislos.

Aber ein rassistisches Tatmotiv war doch nicht nur in Köln naheliegend.

Ich bin nicht sicher, dass das angesichts der damals über die Mordserie bekannten Umstände wirklich naheliegend war, zumal es an Tatbekennungen fehlte. Die Terrorzelle hatte zwar Videos produziert, diese aber – nach dem heutigen Stand der Ermittlungen – bis zuletzt für sich behalten.

Was taugen die vielen V-Leute in der rechtsextremen Szene, wenn keiner von ihnen willens oder in der Lage war, die Umtriebe der Terrorgruppe zu melden?

Die Annahme, dass V-Leute nur etwas taugen, wenn sie überall sind, alles erfahren und alles mitteilen, ist lebensfremd. V-Leute sind kein perfektes Instrument, im Gegenteil, die Arbeit mit menschlichen Quellen ist stets besonders anspruchsvoll. V-Leute sind aber bei professioneller Nutzung ein wertvolles, ja unverzichtbares Mittel zur Extremismusaufklärung. Auch bei der Suche nach dem abgetauchten Trio gab es zahlreiche Hinweise von V-Leuten. Diesen sind die Verfassungsschutzbehörden nachgegangen, leider ohne Erfolg.

Wie eng war die Terrorgruppe mit der NPD liiert?

Einige Rechtsextremisten, die jetzt von der Bundesanwaltschaft als Beschuldigte oder Verdächtige geführt werden, hatten Kontakte zur NPD oder waren sogar Parteifunktionäre. Aber es gibt bislang keinen Beleg für die Annahme, der NSU sei ein Instrument oder gar Bestandteil der NPD gewesen.

Viele Politiker sprechen sich jetzt für ein Verbot der NPD aus. Wie reagiert die Partei darauf?

Die NPD ist einerseits besorgt, dass der Aufschwung nun blockiert sein könnte, den sie sich von dem Führungswechsel im November und dem „neuen Kurs“ erhofft. Den ich im Übrigen für ein ziemlich unverfrorenes Täuschungsmanöver halte. Andererseits herrscht in der Partei eine gewisse Zuversicht, auch ein zweites Verbotsverfahren überstehen zu können und mit dem Rückenwind daraus dann auf die Erfolgsspur zu kommen.

Um ein Verbot zu erreichen, müsste der Verfassungsschutz viele, wenn nicht alle V-Leute in der Partei abschalten. Sind die Spitzel verzichtbar?

Inwieweit der Abzug von V-Leuten aus den Führungsebenen der NPD für den Erfolg eines Verbotsantrags erforderlich ist, wird sorgfältig geprüft werden. Dass damit gegebenenfalls Informationsverluste verbunden sein würden, liegt auf der Hand.

Könnte ein Verbot der NPD die Gewalt der rechtsextremen Szene bremsen?

Ein Verbot hätte den sehr wünschenswerten Effekt, dass der Schutzschirm des Parteienprivilegs für die mit der NPD eng verbundenen Neonazis entfiele. Diese könnten die Partei nicht mehr für Veranstaltungen nutzen. Ich denke beispielsweise an Konzerte mit rechtsextremistischer Musik, die häufig als „Einstiegsdroge“ für junge Leute in die rechtsextremistische Szene wirkt. Aber das Gewaltproblem wäre mitnichten gelöst. Es ist schon jetzt so, dass militante neonazistische Akteure, zum Beispiel bei den besonders aggressiven Autonomen Nationalisten, mit der NPD nichts zu tun haben wollen. Diese Neonazis halten die Partei für „verbürgerlicht“ und nicht radikal genug. Für Gewalt und Terror im Rechtsextremismus ist die Existenz der NPD keine Voraussetzung.

Das Interview führte Frank Jansen

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