zum Hauptinhalt

Politik: Väterchen Putin

Russlands Regionalchefs sollen künftig vom Präsidenten ernannt werden – Oppositionelle schlagen Alarm

Im russischen Parlament ging die Reform nach nur einer halben Stunde Debatte glatt durch. Und das, obwohl die Novelle, die die Duma am Freitagabend in erster Lesung bestätigte, praktisch auf eine Verfassungsänderung hinausläuft: Die bisher direkt gewählten Chefs der 89 russischen Regionen sollen künftig vom Kreml ernannt und von den Regionalparlamenten nur noch abgenickt werden.

Widerstand gab es kaum, denn in der Duma besitzt die Kremlpartei „Einiges Russland“ eine Zweidrittelmehrheit. Der unabhängige Abgeordnete Wladimir Ryschkow, der möglicherweise bei den Präsidentenwahlen für die demokratische Opposition antritt und nicht einmal drei Minuten bekam, um seine Bedenken vorzutragen, nannte die Vorlage hingegen „extrem widerwärtig“. In einem Interview für den russischen Dienst von Radio Liberty zog er gar Parallelen zu Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933.

Präsident Wladimir Putin selbst hatte das Gesetz Mitte September eingebracht. Sie ist Teil eines Pakets von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, das der Kremlherrscher gleich nach dem Geiseldrama in Beslan und zwei Flugzeugabstürzen Ende August angekündigt hatte. Alle Anschläge gehen auf das Konto tschetschenischer Extremisten; dabei kamen mehr als 400 Menschen ums Leben.

Zwar hatte Putin gelobt, auf dem Boden der Verfassung zu bleiben. Doch während die gewählten Provinzfürsten nur zwei Legislaturperioden amtieren durften, sollen die Ernannten bis auf Abruf regieren. Dazu reicht indes „Verlust des Vertrauens beim Präsidenten“. Bisher konnten die Gebietschaften und Präsidenten der nationalen Teilrepubliken nur bei schweren Vergehen und nach einem komplizierten Procedere abgesetzt werden. Sollten die regionalen Parlamente Putins Kandidaten künftig zweimal durchfallen lassen, kann der sie einfach auflösen.

Für Ryschkow stellt das neue Gesetz nicht nur eine „Beleidigung der Wähler“ dar, er hält es auch für untauglich im Kampf gegen Terrorismus. Tatsächlich breitet sich der Terror gerade dort aus, wo die Verwaltungschefs schon jetzt de facto vom Kreml ernannt werden: in Tschetschenien, wo nach umstrittenen Wahlen mit Ex-Polizeigeneral Alu Alchanow der Wunschkandidat Putins regiert, und in Inguschetien. Dort hatte Putin den populären Querdenker Ruslan Auschew mit ebenso anfechtbaren Methoden durch einen General aus dem Inlandsgeheimdienst FSB ersetzt.

Das Land, warnte Ryschkow, „rast auf den Abgrund zu“, das Gesetz, das Russland stärken soll, sei eine Zeitbombe. Selbst in stabilen Regionen wie den muslimischen Teilrepubliken zwischen Wolga und Ural könnten Extremisten weiter Zulauf erhalten. Die dortigen Regionalchefs, bisher verlässliche Stützen Putins, gaben für die erste Lesung zwar ihren Segen, drohten aber unverhüllt mit Widerstand, sollte das Gesetz nicht noch abgemildert werden.

Danach sieht es indes nicht aus. Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow, der am Freitag über die geplante Justizreform referierte, tritt sogar dafür ein, Angehörige von Terroristen in Schutzhaft zu nehmen. Das ging sogar Duma-Vizepräsidentin Ljubow Sliska zu weit. Das sei die Privatmeinung Ustinows, versuchte sie zu beschwichtigen. Ryschkow glaubt jedoch, Ustinow wolle das rechtsstaatliche Prinzip individueller Verantwortung durch kollektive ersetzen. Das aber mache den Weg frei, um, wie unter Stalin, womöglich ganze Völker zu deportieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false