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Ein Schmetterling sitzt in einem zerstörten Fichtenwald.

© Julian Stratenschulte/dpa

Veganismus, Schutzgebiete und Blühwiesen: So könnten diese drei Ansätze das Artensterben aufhalten

Der Mensch löst ein „Massenaussterben“ in der Natur aus und zerstört so seine eigene Lebensgrundlage. Doch es gibt Abhilfe. Drei Ideen im Überblick.

Die Tier- und Pflanzenarten auf unserem Planeten sterben aktuell hunderte Male schneller als in den vergangenen zehn Millionen Jahren. Wissenschaftler sprechen von einem „Massenaussterben“. Mittlerweile sind mehr als eine Million bekannte Arten vom Aussterben bedroht – und somit auch die Grundlage der menschlichen Existenz. Diese Vielfalt des Lebens sorgt nämlich unter anderem für saubere Luft, sauberes Wasser und ausreichend Nahrung.

Doch wie lässt sich verhindern, dass der Mensch die Vielfalt des Lebens auf katastrophale Weise dezimiert? Um diese sogenannte Biodiversität zu bewahren, stehen neben konsequentem Klimaschutz mehrere Ideen im Raum, die alle miteinander zusammenhängen: vegan leben, Schutzgebiete schaffen und Blühstreifen in Stand und Land anlegen.

1. Veganismus oder eine hauptsächlich pflanzliche Ernährung

Die vegane Lebensweise kocht am Esstisch schnell mal als emotionales Thema hoch und ist selbst unter Ernährungsexperten umstritten, was die gesundheitlichen Folgen angeht. Doch auf eine Erkenntnis kann sich ein Großteil der Wissenschaftler einigen: Wer sich auf pflanzlicher Basis ernährt und Wurst, Milch und Co. von der Speisekarte streicht, spart Wasser, Ackerland und Treibhausgase ein, die die Erderhitzung befeuern.

Jürgen König, Ernährungswissenschaftler an der Universität Wien, erklärt dazu: „Wenn eine weitgehend pflanzliche Ernährung dazu führen würde, dass Bauern zum Beispiel keinen Regenwald für den Anbau von Futtermitteln roden, wäre damit sicherlich einiges für die Artenvielfalt gewonnen.“

Allerdings mahnt der Forscher auch: Mit dem Verzicht auf Fleisch und Milch ist es nicht so einfach getan. Nur, wenn die so freiwerdenden Äcker auch nachhaltig bewirtschaftet oder unter Schutz gestellt würden, könne eine solche Ernährungsumstellung wirklich zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen. „Dafür müssen nicht mal alle Menschen vegan werden – es reicht schon, wenn die menschliche Ernährung sich stärker in Richtung pflanzlicher Basis verändert.“

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Warum Menschen auf Artenvielfalt angewiesen sind, erklärt der Wissenschaftler an einem Lieblingsobst der Deutschen: „Auf dem Weltmarkt wird die Banane zu einem großen Teil von einer einzigen Sorte, der Cavendish-Banane, bestimmt. Diese Cavendish-Banane ist aber anfällig für die sogenannte Panamakrankheit, ausgelöst durch den TR4-Pilz.“

Drei Viertel des bisherigen Landverbrauchs könnte durch eine pflanzliche Ernährung der Menschheit eingespart werden.
Drei Viertel des bisherigen Landverbrauchs könnte durch eine pflanzliche Ernährung der Menschheit eingespart werden.

© Jens Büttner/dpa

Wenn die Ernte dieser einen Bananensorte wegen der Pilzkrankheit weltweit einbrechen würde, gäbe es vermutlich nicht mehr genug von dem Obst in den Läden zu kaufen. Treibt der Mensch die Klimakrise zudem weiter, könnte diese eine Bananensorte außerdem nur noch schlecht wachsen, weil sie im neuen, heißeren Klima eingeht.

Nahrungsmittelproduktion verwüstet die Böden

„Bewahren wir hingegen mehrere Bananensorten, kann der Mensch im Notfall auf eine hitzebeständige oder pilzresistente Bananensorte zurückgreifen“, erklärt König. Wie wir uns ernähren, kann laut zwei Wissenschaftlern der Universität Oxford in der ökologischen Bedeutung gar nicht überschätzt werden:

So könnte eine Umstellung der Menschheit auf eine pflanzliche Ernährung drei Milliarden Hektar an bisher genutzten Flächen einsparen – das entspricht mehr als drei Viertel des bisherigen Landverbrauchs in der Nahrungsmittelproduktion. Diese Zahl haben die beiden Forscher Joseph Poore und Thomas Nemecek in einer großen Studie errechnet und im rennomierten Fachmagazin Science veröffentlicht.

Die Nahrungsmittelproduktion ist demnach zu einem großen Teil für übersäuerte und überdüngte Böden auf der ganzen Welt verantwortlich. Saure und überdüngte Böden – beides Ergebnis einer industrialisierten Landwirtschaft – können die Artenvielfalt in Ökosystemen wiederum dezimieren und „fundamental“ verändern, schreiben die Forscher in ihrer Studie.

Ein Speiseplan mit weniger Fleisch, Milch & Co. kann, diesen Gedanken folgend, nicht nur das Klima schonen, sondern durch weniger geschundene Böden auch dem Artensterben etwas entgegensetzen.

2. Ein Drittel des Planeten als Schutzgebiet

Damit die Weltgemeinschaft das Artensterben eindämmen kann, haben Umweltexperten eine radikal klingende Idee ins Spiel gebracht: Ein gutes Drittel der Erdoberfläche soll zu Schutzgebieten erklärt werden – sowohl an Land als auch zu Wasser. Dieser Einfall ist Teil eines Entwurfs für die künftige internationale Artenschutzpolitik. 196 Mitgliedsstaaten haben sich bisher mit der sogenannten Biodiversitätskonvention (CBD) für den Schutz der Vielfalt des Lebens verpflichtet.

Ein Regenbogen hat sich über dem Regenwald im malaysischen Ulu Baram geformt.
Ein Regenbogen hat sich über dem Regenwald im malaysischen Ulu Baram geformt.

© AFP

Thomas Fartmann, Ökologie-Professor an der Universität Osnabrück, räumt der Idee durchaus Chancen im Kampf gegen das Artensterben ein: „Nur, wenn wir genug Flächen haben, können wir Arten erhalten – und die Politik muss bestimmen können, was auf diesen Flächen passiert.“

Denn es gehe nicht nur darum, die Natur in solchen Schutzgebieten „einfach Natur sein zu lassen“ – das sei ein weitverbreiteter Irrglaube. Überall dort, wo der Mensch nachhaltig wirtschafte, „zum Beispiel mit wenig Dünger auf den Feldern und Platz für Ackerwildkräuter wie Klatschmohn“, sei die Artenvielfalt sogar besonders hoch.

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Ähnlich erstaunliche Beobachtungen haben Forscher laut Fartmann beispielsweise in Korallenriffen gemacht: dort, wo Riffteile durch Stürme herausgebrochen sind, tummelten sich plötzlich viel mehr Fisch- und Pflanzenarten – und dort, wo Elefanten in Regenwäldern Bäume umgestürzt haben, erblühte die biologische Vielfalt, auf die der Mensch so angewiesen ist.

Schutzgebiete können vom Menschen profitieren

Daraus schlussfolgerten Biologen: Wenn Ökosysteme wie Wälder und Wiesen ein bisschen gestört werden, profitiert die Biodiversität davon – selbst wenn es der Mensch mit Ackerbau tut. „Bisschen stören“ heißt dem Ökologen Fartmann zufolge: „Wenig düngen, wenig mähen und Beweidung mit wenigen Weidetieren.“

Es sei daher nur folgerichtig, dass „das Gros der Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten in europäischen Naturschutzgebieten von nachhaltiger Nutzung durch den Menschen abhängt“. Zum Erstaunen von Besuchern grasen inmitten von deutschen Schutzgebieten Kühe – und schaffen Weidelandschaften, auf denen bodenbrütende Vögel wie Kiebitze einen Lebensraum finden.

Kiebitze sind bodenbrütende Vögel und für den Nachwuchs auf Wiesen und Weiden angewiesen.
Kiebitze sind bodenbrütende Vögel und für den Nachwuchs auf Wiesen und Weiden angewiesen.

© Roland Scheidemann/dpa

Auf diese Weise kann der Mensch wieder Lebensraum erschaffen, von dem es dringend mehr braucht, um das Artensterben zu stoppen. „Ein Drittel des Planeten unter Schutz zu stellen, kann der Biodiversität also nutzen, wenn diese Gebiete auch richtig gemanagt werden.“

Es gebe allerdings auch Landschaften, die eher in Ruhe gelassen werden sollten: „Das sind zum Beispiel Moore“, sagt Ökologe Fartmann, wo typischerweise Kreuzottern, Moorlibellen oder Brachvögel vorkommen. Im Frühjahr will die Weltgemeinschaft im chinesischen Kunming darüber entscheiden, wie genau sie ihr Versprechen für den Artenschutz einlösen will – auch die Idee, ein Drittel der Erde unter Schutz zu stellen, wird dabei Thema sein.

Einem Teilziel beim Artenschutz ist die Weltgemeinschaft jedenfalls nähergekommen: Nach UN-Zahlen ist die Fläche der Schutzgebiete an Land von 10 auf 15 Prozent gewachsen, weitere zwei Prozent wären nötig. In Deutschland ist die Zahl der Naturschutzgebiete in den vergangenen Jahren auf mehr als 8.800 gestiegen, etwa 630 hauptberufliche Ranger kümmern sich um sie.

3. Blühwiesen errichten

Mehr als die Hälfte der knapp zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Welt ist den Insekten zuzurechnen. Doch das weltweite Insektensterben destabilisiert ganze Nahrungsketten: Vögel finden weniger Nahrung, Pflanzen und Obstbäume werden weniger bestäubt. Fast die Hälfte der rund 560 Wildbienenarten in Deutschland ist gefährdet oder ausgestorben. Aber auch Schädlinge wie Blattläuse können sich leichter vermehren, wenn Fressfeinde wie Schwebfliegen weniger werden.

Gärtner und Umweltorganisationen versuchen dem Insektenschwund mit Blumenwiesen und Blühstreifen in Stadt und Land entgegenzuwirken: Vom Nektar und den Pollen der Blumen können sich Wildbienen oder Schmetterlinge ernähren.

Daniela Warzecha, Ökologin und Blühwiesen-Expertin am Senckenberg Forschungsinstitut, sagt: „Solche künstlich angelegten Blühflächen dienen als Nothilfe für Insekten. Beispielsweise können Margerite, Klee oder Glockenblumen auf den Blühwiesen bestimmten Insekten auf die Schnelle Nahrung bringen.“

Eine Erdhummel fliegt an einem Gemeinen Natternkopf im Berliner Spreebogenpark vorbei.
Eine Erdhummel fliegt an einem Gemeinen Natternkopf im Berliner Spreebogenpark vorbei.

© Stella Weweler/Deutsche Wildtier Stiftung

Je nach Insektenart sei jedoch auch die Samenmischung für solche Blühwiesen entscheidend: „Schwebfliegen und viele Wildbienenarten mit einem kurzen Rüssel ernähren sich zum Beispiel von anderen Blüten als eine Pelzbiene mit einem langen Rüssel.“ Bei ihren Forschungsarbeiten auf den Feldern hat die Ökologin aber auch Rehe und Feldhasen auf den Blühwiesen entdeckt.

„Künstlich angelegte Blühstreifen können jedoch keine wertvollen Lebensräume wie Weiden oder Magerwiesen ersetzen, die für die Artenvielfalt so wichtig sind“. Vielmehr seien Blühwiesen nur eine Art Tankstelle für die Insekten in den ansonsten kargen Städten und Landschaften. „Momentan müssen wir diese Flächen anlegen, weil wir keine andere Wahl haben und beim Artenschutz handeln müssen.“

Warum Menschen mittlerweile überhaupt aufwendig und kostspielig Blühwiesen anlegen müssen, um das Artensterben unter den Insekten zu stoppen, erklärt Warzecha so: „Durch häufiges Mähen und Düngen kommen kaum noch wilde Kräuter zur Blüte wie es vor einigen Jahrzehnten auf Wiesen und an Ackerrändern einmal der Fall war.“ Damals hätten Bauern zudem weniger Herbizide benutzt, die jede Pflanze außer der Feldfrucht unterdrückten, wie es in der heutigen Landwirtschaft der Fall sei.

Insekten müssen in der Nähe auch nisten können

Eine Blühwiese anzulegen, mag vielleicht simpel klingen, doch es braucht laut der Ökologin noch mehr, damit sie gut von Insekten angenommen wird: „Viele unserer heimischen Wildbienen sind zum Beispiel weniger als einen Zentimenter groß und können deshalb nicht allzu weit fliegen.

Darum müssen die Insekten auch irgendwo in der Nähe der Blühwiesen nisten können – beispielsweise in Sandhaufen, offenen Bodenstellen oder in Hohlräumen, die sie in Totholz oder Hecken finden.“ Was nach einer Menge Arbeit klingt, wäre laut der Ökologin eigentlich vermeidbar: „Hätten wir eine naturnähere Landschaft, müssten wir nicht solche riesigen Anstrengungen wie mit den Blühwiesen unternehmen, um das Artensterben zu stoppen.“

Ein Mann trägt einen Koala aus einem brennenden Wald in Australien. Das Beuteltier gilt als gefährdete Art.
Ein Mann trägt einen Koala aus einem brennenden Wald in Australien. Das Beuteltier gilt als gefährdete Art.

© David Mariuz/dpa

Eines haben die drei Ideen Veganismus, Schutzgebiete und Blühwiesen jedoch gemeinsam: Sie zeigen, dass keines der drei Maßnahmen allein das Artensterben aufhalten kann, sondern diese sich gegenseitig ergänzen – und auch konsequenter Klimaschutz ist laut den Vereinten Nationen unabdingbar, um den ökologischen Kollaps abzuwenden.

Wie die Weltgemeinschaft die Vielfalt des Lebens, und damit die Lebensgrundlage der Menschen, erhalten will, wird sich zeigen müssen. Spätestens auf der nächsten Weltartenschutzkonferenz im Frühjahr in China muss die Politik liefern.

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