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Politik: Verbrechen der Roten Khmer spalten das Land

Die 18-jährige Studentin Bean Pitoun hat erst in der Schule von den Verbrechen der Roten Khmer gehört. Zu Hause war das Thema tabu.

Die 18-jährige Studentin Bean Pitoun hat erst in der Schule von den Verbrechen der Roten Khmer gehört. Zu Hause war das Thema tabu. Der Schmerz über den Verlust zahlreicher Angehöriger unter dem Terrorregime Pol Pots zwischen 1975 und 1979 hatte ihre Eltern wie versteinert zurückgelassen. Um mehr darüber zu erfahren, auch wie die Massenmörder bestraft werden sollen, diskutiert Bean mit 200 Schülern, Studenten, Bauern, Soldaten und Mönchen in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh über das Für und Wider eines Tribunals.

Zur gleichen Zeit teilte der Unterhändler der Vereinten Nationen (UN), Hans Corell, nach Gesprächen mit Kambodschas Ministerpräsident Hun Sen mit, dass die Verhandlungen über die Errichtung eines UN-Tribunals gescheitert seien. Hun Sen hatte immer wieder behauptet, dass ein internationales Tribunal den nationalen Prozess der Aussöhnung gefährde.

Bean hält dagegen: "Ich möchte nicht, dass die Verbrecher vor ein kambodschanisches Gericht gestellt werden, weil es von der Regierung abhängig und korrupt ist." Nur ein internationales Tribunal, wie es für Jugoslawien und Ruanda existiere, könne zu einem gerechten Urteil kommen. Die maoistische Guerilla-Organisation hatte das Land in eine kollektivistische Agrargesellschaft umwandeln wollte und 1,7 Millionen Menschen ermordet.

Jura-Student Throng Chenda kommt zu einem ähnlichen Urteil wie seine Kommilitonin. Für ihn ist es "unvorstellbar, das die gleichen Leute zugleich Henker und Richter sein sollen". Eine Anspielung darauf, dass frühere Rote Khmer heute wieder hohe Posten bekleiden. Throng äußert den Verdacht, die Regierung unter ihrem starken Mann Hun Sen wolle nichts anderes erreichen, als das Kapitel Rote Khmer mit der Verurteilung einiger Sündenböcke so schnell wie möglich und unter Ausschluss internationaler Beobachtung zu beenden. Aber es gibt auch andere Stimmen: Warum sollten wir Vertrauen in Richter aus dem Ausland haben, das vor über zwei Jahrzehnten nichts getan hat, um den Völkermord zu beenden?

Das vom Zentrum für soziale Entwicklung veranstaltete "Offene Forum" ist das zweite seiner Art. Zuvor hatten sich in Battambang, wo die Roten Khmer besonders schlimm hausten, auch Vertreter des alten Regimes der Diskussion gestellt. Einige von ihnen waren einsichtig, andere entschuldigten ihre Taten mit ihrem kindlichen Alter; andere wiederum sagten, sie seien von den Guerillas entführt und erpresst worden.

Die Linie verläuft nicht fein säuberlich zwischen den Roten Khmer und dem Rest der verstörten kambodschanischen Gesellschaft. Opfer gab es auf beiden Seiten, auch in Familien der Guerillas als Folge von Strafaktionen. Seit den Wahlen vor zwei Jahren ist in Kambodscha eine breite Diskussion über die jüngste Vergangenheit in Gang gekommen. Sie wird von Menschenrechtsorganisationen, dem kambodschanischen Institut für Demokratie und auch von den Medien angeregt und begleitet, wobei die Landbevölkerung mit einer hohen Analphabetenrate kaum einbezogen ist.

Westliche Kenner des Landes begrüßen zwar die Diskussion, sehen aber auch die Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft. Auch Oppositionelle nehmen die Warnung von Professor Khieu Seng Kim ernst, der eine juristische Aufarbeitung rundweg ablehnt, weil sie alte Feindschaften entfachen und das geschundene Land erneut in einen Bürgerkrieg stürzen könnte. Noch gebe es genügend Anhänger der Roten Khmer, "die zwar ihre Waffen abgegeben, aber nicht ihre tief sitzenden ideologischen Überzeugungen geändert" hätten. Seng ist ein Bruder des früheren Staatschefs und Stellvertreter von Pol Pot, Khieu Samphan, der heute unbehelligt mit dem ehemaligen Außenminister Ieng Sary im Westen des Landes lebt.

Manche Kambodschaner meinen, ein Prozess gegen die Massenmörder komme zu spät. Andere sagen genau das Gegenteil: Vor einem Tribunal müsse eine breite moralische Auseinandersetzung stattfinden. Modellhaft für Kambodscha könnte die südafrikanische Kommission für Wahrheitsfindung sein, schlägt Ok Serei Sopheak, Direktor des kambodschanischen Zentrums für Konfliktlösung, vor. Sopheak appelliert an die Roten Khmer, noch mehr an die Öffentlichkeit zu gehen, ihre Handlungen zu erklären und ihre Fehler zuzugeben. Dies würde das verhärtete Klima im Land aufbrechen, zur Toleranz beitragen und dazu führen, dass eines Tages nicht mehr von den Roten Khmer, sondern nur noch von der Gemeinschaft der Khmer gesprochen werde.

Robert Luchs

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