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Wasser raus, Forellen auch. Eine Szene vom Fischertag in Memmingen 2019.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Vereinsleben nur für Männer?: Auch im Brauchtum muss Recht gelten

Das traditionelle Forellenfischen in Memmingen steht Frauen offen, urteilt ein Gericht. Viele Herren wollen nicht wahrhaben, was sich ändert. Ein Kommentar.

Es ist eine Männerwelt, sang James Brown in seinem Chauvi-Klassiker von 1966, wenngleich alles „nothing“ wäre ohne Frauen. So etwa muss man sich einen Teil der Brauchtumspflege im bayerischen Memmingen vorstellen. Jährlich wird dort der Fischertag veranstaltet, eine Uralt-Tradition und Touristenattraktion, bei dem das Wasser aus dem Stadtbach gelassen wird und Männer herabsteigen, um in Panik zappelnde Forellen zu keschern. Wer die dickste fängt, wird König. Nichts wäre das ohne Frauen: Sie dürfen als „Kübelfrau“ mit Bottichen zur Seite stehen.

Die Zustände in Vereinen bekommen selten die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Von Schützenvereinen ist häufiger die Rede, wenn ein Verirrter zu Waffen greift und verhasste Bekannte oder ihm Unbekannte erschießt; oder es gibt Aufregung, weil ein politisch aktiver Zusammenschluss wie „Attac“ die Gemeinnützigkeit verliert und damit Steuervorteile.

Eine Reform liegt auf Eis

Diskriminierung spielt zunehmend eine Rolle. Dabei ist sie dem Vereinsleben wesenseigen – und erlaubt. Wer sich zusammenschließt, grenzt aus. Einem Christenmenschen, der einem islamischen Kulturverein beitreten möchte, sollte dies verwehrt werden dürfen. Ein Selbsthilfeklub alleinerziehender Frauen sollte nicht gezwungen sein, Männer aufzunehmen. Oder doch? Und wenn Frauen unter sich bleiben, ist es dann trotzdem ein Verein, der dem Gemeinwohl dient?

Eine Reform der Abgabenordnung, die etwas Klarheit hätte schaffen können, hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auf Eis gelegt. Die Rechtsentwicklung ist damit zunächst den Gerichten überlassen, auch dem Amtsgericht Memmingen. Das nun, am Beispiel Fischertag, alle Aspekte in einem Urteil miteinander verbunden hat (Az.: 21 C 952/19).

Demnach hat eine Memmingerin Anspruch darauf, mitzufischen. Sie war seit den achtziger Jahren Mitglied im „Fischertagsverein“ und durfte an allerlei Riten und Schauspiel teilnehmen, die das Spektakel begleiten. Aber nie beim Keschern. Das Amtsgericht leitet einen Anspruch darauf in seltener Deutlichkeit auch daraus ab, dass Männer und Frauen als Steuerzahler und -zahlerinnen gleichermaßen Vereine subventionieren. Wer Geld gibt, muss mitmachen dürfen – es sei denn, man kann begründen, weshalb der Ausschluss gerechtfertigt ist.

Diskriminierung ist erlaubt - wenn man sie rechtfertigen kann

Hier gab es: nichts. Nur, dass es immer so war. „Der Verfassungsstaat ist kein Museum“, sagt die Berliner Rechtsanwältin der Klägerin Susann Bräcklein. Das stimmt. Ausgrenzen ist möglich, auch im unüberschaubaren Vereinsleben. Eher neu ist, dass man erklären muss, warum.

Tradition allein zählt nicht. Das ist zurzeit die bitterste Erfahrung für Mitglieder exklusiver Zirkel. Es ist kein Zufall, dass in Bremen bei Eiswette und Schaffermahlzeit, politisch hoch geschätzten Festivitäten, seit diesem Jahr erstmals Frauen eingeladen werden. Dort hat man begriffen, was sich ändert. In Memmingen auch? Unglaublich, dass man in Deutschland klagen muss, um so etwas zu erreichen.

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