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Dieser Syrer wurde von Regimekräften schwer gefoltert, das Foto wurde im August 2012 in Aleppo gemacht.

© James Lawler Duggan/AFP

Verfahren in Koblenz beginnt: Weltweit erster Prozess wegen Folter in Syrien

Erstmals müssen sich zwei Helfer Assads wegen Folter in Syrien vor Gericht verantworten. Der Prozess könnte Vorbild für weitere Verfahren sein.

Nicht den Tod fürchteten sie am meisten. Die Syrerin Abeer Fahoud sagt, die Demonstranten, die 2011 in Syrien gegen das Regime von Staatschef Baschar al Assad auf die Straße gingen, hätten gehofft, eher getötet als inhaftiert zu werden. Denn bereits damals wussten sie von der systematischen Folter in Assads Gefängnissen. „Angst ist der Treibstoff des Regimes“, sagt Farhoud, die zur Protestbewegung gehörte und heute in Deutschland lebt.

Sie selbst wurde in Syrien festgenommen und in eines der berüchtigten Foltergefängnisse gebracht. Anders als viele andere hat Abeer Farhoud überlebt. Umso wichtiger ist für sie ein Prozess, der an diesem Donnerstag in Deutschland beginnt. Erstmals müssen sich zwei ehemalige Angehörige von Assads Geheimdienst wegen Folter in Syrien verantworten.

Die Bundesanwaltschaft, die Anklage gegen die beiden Männer erhoben hat, beruft sich auf das Völkerstrafrecht. Damit können beispielsweise Kriegsverbrechen vor Gericht gebracht werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Einem der Angeklagten, dem 57-jährigen Syrer Anwar R., werfen die Bundesanwälte ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. In diesem Zusammenhang werden ihm Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Der zweite Angeklagte, der 43-jährige Syrer Eyad A., muss sich wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.

Unvorstellbares Ausmaß der Verbrechen

Im syrischen Geheimdienst hatte es Anwar R. zu einer führenden Position gebracht: Er leitete die Einheit für Ermittlungen in der Abteilung 251, die für die Sicherheit der Hauptstadt Damaskus und des Umlands verantwortlich war. Die Abteilung hatte ein eigenes Gefängnis, in dem Demonstranten systematisch gefoltert wurden. Die Beamten, die die Verhöre führten und die Gefangenen folterten, waren Anwar R. unterstellt.

Folter und Mord gibt es in vielen Diktaturen dieser Welt. Aber welches unvorstellbare Ausmaß diese Verbrechen in Assads Gefängnissen nach dem Beginn des Aufstands angenommen haben, zeigen die sogenannten Caesar-Bilder. Ein syrischer Militärpolizist, der nur unter dem Decknamen Caesar bekannt ist, hatte die Aufgabe, die Leichen der Menschen zu fotografieren, die vom Geheimdienst zu Tode gefoltert worden waren. Die Aufnahmen, die er später außer Landes schmuggelte, gelten als eines der erschreckendsten Zeugnisse der Verbrechen des syrischen Regimes.

Die Caesar-Fotos zeigen Menschen, die vom syrischen Regime zu Tode gefoltert wurden. Die Bilder wurden 2015 im Gebäude der Vereinten Nationen in New York gezeigt.
Die Caesar-Fotos zeigen Menschen, die vom syrischen Regime zu Tode gefoltert wurden. Die Bilder wurden 2015 im Gebäude der Vereinten Nationen in New York gezeigt.

© Lucas Jackson/Reuters

Caesar allein fotografierte mehr als 11 000 Tote, deren Körper von den Spuren der Folter gezeichnet waren. Anfangs hatte jeder Tote noch einen Namen, später gab es nur noch Nummern. Eine Zahl stand für das Opfer, eine weitere Zahl für die Täter, sie gab die jeweilige Geheimdiensteinheit an. Denn die Fotos sollten offenbar nicht nur das Schicksal der Opfer dokumentieren, sie dienten auch als besonders zynische Art des Arbeitsnachweises. Die Bilder zeigten, dass sich die Geheimdienstler an die Anweisungen von oben gehalten hatten.

Die Abteilung 251 war ein wichtiger Teil dieses Unterdrückungsapparats. Die Bundesanwaltschaft konnte nachweisen, dass dort zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge gefoltert wurden und mindestens 58 Menschen starben. Die tatsächliche Opferzahl liegt wahrscheinlich deutlich höher. Für den Tod dieser 58 Gefangenen muss sich Anwar R. nun vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten.

Bei den Vernehmungen der Abteilung 251 kam nach den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft zufolge eine Vielzahl von Foltermethoden zum Einsatz: Schläge mit Fäusten, Stöcken, Kabeln und Peitschen sowie Elektroschocks. „Außerdem wurden einzelne Inhaftierte so an der Decke aufgehängt, dass ihre Zehenspitzen gerade noch den Boden berührten, wobei die Opfer auch in dieser Position wieder geschlagen wurden. Auch Androhungen, nahe Angehörige zu misshandeln, und Schlafentzug wurden als Foltermethoden eingesetzt.“ Für all das trägt Anwar R. nach Auffassung des Generalbundesanwalts die Verantwortung.

Der zweite Angeklagte Eyad A. war in einer Unterabteilung des Geheimdienstes tätig. Im Herbst 2011 wurde in der Stadt Douma eine Kundgebung gewaltsam aufgelöst, Eyad A. und seine Kollegen verfolgten die Demonstranten und nahmen sie fest. Sie brachten an diesem Tag mindestens 30 Menschen in das Gefängnis, für das Anwar R. zuständig war.

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Beide Männer desertierten und verließen Syrien, später kamen sie nach Deutschland. Hier wurden sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Ein syrischer Flüchtling erkannte Anwar R. eines Tages in Berlin auf der Straße. Eyad A. sprach in einer Asylanhörung über seine Tätigkeit für den Geheimdienst.

Das Verfahren in Koblenz ist der weltweit erste Prozess wegen Folter in Syrien, und so hoffen nicht nur Überlebende auf eine Signalwirkung. Dadurch könnten weitere Verfahren in Deutschland und anderen Ländern vorangebracht werden, sagt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Bereits jetzt müssten Beweise gegen das Assad-Regime gesammelt werden, auch wenn es wegen der Verbrechen in Syrien bisher kein internationales Tribunal gibt.

„Sie wollen die Wahrheit über das ganze System ans Licht bringen“

Der Prozess werde von großer Bedeutung für Syrien sein, sagt der Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni. Es sei wichtig, die beiden Männer vor Gericht zu stellen. „Aber es geht um das gesamte Regime.“

Dass ein solches Verfahren überhaupt zustande kommen konnte, liegt an Menschen wie dem Militärfotografen Caesar, die unter Einsatz ihres Lebens gerichtlich verwertbare Beweise über die Verbrechen des Assad-Regimes aus Syrien herausschmuggelten. Im Prozess in Koblenz werden zudem syrische Folterüberlebende als Zeugen und Nebenkläger auftreten. „Sie wollen die Wahrheit über das ganze System ans Licht bringen“, sagt der Rechtsanwalt Patrick Kroker, der für das ECCHR acht Folteropfer vertritt.

Um Rache geht es der syrischen Aktivistin Abeer Farhoud und den vielen anderen Überlebenden nicht. „Wir werden den Seelen der Menschen, die getötet wurden, den Frieden und die Gerechtigkeit geben, die sie verdienen.“

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