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Hat das islamische Kopftuch einen Platz im Staat? Viele meinen nein.

© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Kopftuch-Urteil aus Karlsruhe: Die Politik soll das letzte Wort haben – nicht ein Gericht

Mit dem jahrelangen Kulturkampf um den religiösen Stoff wurde bisher nur eines erreicht: Ausgrenzung. Wie wäre es mit einem neuen Symbol? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Seit rund 20 Jahren beschäftigt das muslimische Kopftuch die deutschen Gerichte. Jetzt wirft es eine neue Falte im bunten Urteilskatalog, wiederum mit einem Diktum aus Karlsruhe: Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber muslimischen Rechtsreferendarinnen den Stoff verbietet. Eine derartige Vorschrift in Hessen sei mit dem Grundgesetz vereinbar, lautet ein aktueller Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

Seine Reichweite ist nicht zu unterschätzen. Wenn schon Juristinnen im staatlichen Vorbereitungsdienst auf das Richteramt das Kopftuch verwehrt werden kann, wird dies später, wenn sie dieses Amt ausüben wollen, erst recht der Fall sein. Bund und Ländern steht es damit frei, gläubigen Musliminnen, die an ihrem Tuch festhalten, den Zugang zum Job auf der Richterinnenbank dauerhaft zu versperren.

Zweifel an richterlicher Objektivität gibt es keine

Ein Ergebnis, wie es angesichts des Versprechens staatlicher Religionsneutralität nur zu wünschen sein soll, zumal für eine unabhängige Justiz? Für eine Antwort lohnt es sich, neben integrationspolitischen Debatten und den Lebensumständen der stetig wachsenden Zahl von Muslimen in Deutschland den Beschluss selbst in den Blick zu nehmen.

Er ermöglicht den gesetzgeberischen Eingriff, fordert aber nicht dazu auf. Er hält ihn auch nicht für nötig, insbesondere nicht, um Zweifeln an richterlicher Objektivität zu begegnen. Es sei nur so, dass die nötige äußere Staatsneutralität und Belange der Rechtspflege hier mit individueller Glaubensfreiheit in einem unauflösbaren Konflikt stünden, der dem Staat die Befugnis verleihe, sich entweder für oder eben gegen das Kopftuch zu entscheiden. Die Politik soll in dieser Sache die letzten Worte haben – nicht ein Gericht.

In dieser – wichtigen – Differenziertheit ist die neuerliche verfassungsrechtliche Ansage nur zu begrüßen. Die acht Richterinnen und Richter halten es somit zumindest für möglich, dass eine der ihren irgendwann in fernerer Zeit mit rotem Kopftuch zu roter Robe im ehrwürdigen Karlsruher Gerichtssaal erscheint, um dort höchstrichterliches Recht zu sprechen. Sie haben dieses Vertrauen.

Aus den Gesetzen spricht Misstrauen

Es ist offenkundig, dass aus sämtlichen bisher realisierten oder auch nur angedachten Anti-Kopftuchgesetzen der vergangenen Jahrzehnte, einschließlich dem Berliner Neutralitätsgesetz, exakt das Gegenteil spricht. Integration, so lautet eine gängige Einsicht, fange mit dem Verzicht auf das Kopftuch an. Wer dies nicht leistet, steht unter Verdacht. Im Ergebnis eine mit Vorurteilen beladene, engherzige Politik, deren Erfolge in all den Jahren überschaubar geblieben sind. Eigentlich gibt es nur einen: Ausgrenzung.

Angesichts dieses Befundes muss erstaunen, mit welcher Gewissheit diese Politik vielfach fortgesetzt wird. Es ist zwar erfreulich, wie Politikerinnen und Politiker derzeit quer durch die Parteien den Schulterschluss gegen Fremdenhass und Rechtsextremismus suchen. Aber man wird sich eingestehen müssen, dass den verwerflichen Haltungen auch Motive zugrunde liegen, die nicht erst mit dem Aufstieg der AfD entstanden sind.

Was, wenn „Kopftuchmädchen“ die nächsten Opfer sind?

So macht es sprachlos, dass ein Verblendeter sich eine Shisha-Bar ausgesucht hat, um dort brutale Symbolmorde an jenen zu verüben, die für ihn als Ausländer gelten. Aber genauso ist, der Himmel möge es verhüten, furchtbarerweise denkbar, dass sich mörderische Islamhasser Frauen mit Kopftüchern als Opfer wählen. Das menschenfeindliche Gerede der Weidels und Sarrazins von „Kopftuchmädchen“ wird dann einen Beitrag dazu geleistet haben. Aber der fragwürdige Konsens, dass ein islamisches Kopftuch mit deutschen Werten unvereinbar sein soll, leider auch.

Welches Zeichen, welche symbolische Kraft läge darin, den Kulturkampf gegen das Stück Stoff für erledigt zu erklären? Hierüber könnte sich eine Politik Gedanken machen, die Menschen zusammenführen will. Nicht zuletzt eine christdemokratische Politik, die auf Akzeptanz von Religion im Verfassungsstaat angelegt ist. Leider ist es noch nicht so weit.

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