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Vorbilder für die, die in der deutschen Schule nicht viel gelten: Kämpfer der Organisation „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“.

© pa/dpa

Verfassungsschutzbericht: Welche Gefahr geht in Deutschland von Dschihadisten aus?

Sie werden über das Internet rekrutiert, lassen sich in Konfliktgebieten schulen. Immer häufiger brechen Radikale aus Deutschland und Europa nach Syrien auf, um dort mitzukämpfen – und kommen weiter radikalisiert und brutalisiert zurück.

Je länger der Bürgerkrieg in Syrien dauert, desto häufiger kommen Nachrichten über Radikale aus Deutschland und Europa, die dort mitkämpfen – und weiter radikalisiert und brutalisiert zurückkehren. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht widmet dem Thema wie schon in den letzten Jahren viel Platz.

Wie gefährlich ist islamistischer Extremismus?

Der Bundesinnenminister sieht in seiner Bekämpfung nach wie vor „eine wesentliche Aufgabe“, der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, nennt islamistischen Terror sogar „die größte Bedrohung für die innere Sicherheit“ aktuell. Den Behörden seien zwar keine konkreten Anschlagspläne bekannt, aber die „abstrakte Gefahr ist hoch“, sagte Maaßen. Deutschland liege „nach wie vor im Zielspektrum“.

Der Bericht vermeldet eine steigende Zahl von Personen, die dem „Islamismuspotenzial“ zuzuordnen seien. Gegenüber 2012 ist dieses Potenzial demnach von 42 550 auf 43 190 gewachsen, wobei die Steigerung praktisch ausschließlich auf das Konto von „salafistischen Bestrebungen“ geht, die im vergangenen Jahr nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer tausend neue Köpfe angezogen haben. Die Zahlen sind allerdings, wie im Bericht selbst vermerkt, „zum Teil geschätzt und gerundet“.

Woher kommt die Radikalisierung und was bewirkt sie?

Die Werbung spielt sich laut Bericht zunehmend über den Bürgerkrieg in Syrien ab. Über Internet, Benefizveranstaltungen, mit Koranverteil- und Spendenaktionen würden Unterstützer „angefixt“, so Maaßen, und Freiwillige für den Heiligen Krieg in Syrien geworben. Besondere Gefahr gehe von den Syrienrückkehrern aus, die „Erfahrung im Töten“ hätten. De Maizière wies auf den Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel durch einen französischen Syrienkämpfer hin. Er zeige, dass Anschläge durch radikalisierte Syrienheimkehrer bereits „tödliche Realität“ seien. Die französische Polizei hatte für die Radikalisierung des Attentäters allerdings den letzten von dessen mehreren Gefängnisaufenthalten verantwortlich gemacht - in Frankreich.

Auch der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann vom Erlanger „Zentrum für Islam und Recht in Europa“ (Ezire) vermisst in den offiziellen Erklärungen eine Analyse dessen, was bereits in Europa geschieht. „Die tiefe Verankerung der Mehrheit der Salafisten in der Jugendkultur kommt zu kurz“, sagt Thielmann. Junge Leute in der verlängerten Adoleszenz zwischen 13 Jahren und Ende zwanzig könnten sich dort alles abholen, was in dieser Phase für sie eine Rolle spiele: „Ein klares Weltbild, die scharfe Trennung von Gut und Böse.“ Verfolgungsdruck durch Polizei und Behörden bestärke es sogar – man fühle sich dann in der Nachfolge des Propheten Mohammed, der selbst verfolgt wurde und Mekka verlassen musste.

Thielmann kritisiert auch einen aus seiner Sicht undifferenzierten Blick auf den Salafismus. Unter ihnen gebe es neben Gewaltbereiten auch solche, die Gewalt ablehnten. „Nicht alles, was nach Salafismus aussieht, muss auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“

Was ist über die Syrienkämpfer bekannt?

Offenbar nicht genug. Verfassungsschutzchef Maaßen gab bei der Vorstellung des Berichts zu, dass islamistische Radikalisierung oft „ohne unsere Aufmerksamkeit“ ablaufe. Der Trend gehe weg von festen Organisationen, die leichter zu überwachen wären. Gerechnet wird mit 2000 Europäern, die nach Syrien gezogen sind, darunter, so de Maizière, 320 Personen aus Deutschland, „die wir kennen, wobei es eine Dunkelziffer gibt“. Hundert seien inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt, aber, so Maaßen: „Wir wissen nicht, was sie dort gemacht haben.“ Auch wieviel Geld von Deutschland in den "Heiligen Krieg" floss, sei nicht bekannt.

Der Kulturanthropologe und Islamismusexperte Werner Schiffauer ist darüber befremdet. Er teile die Auffassung, dass von den Syrienrückkehrern eine Gefahr ausgehe, gerade dann aber müsse es mehr Informationen über sie geben: „Bei hundert Rückkehrern würde ich erwarten, das der Staatsschutz nachfragt“, sagte Schiffauer. Es bleibe auch unklar, ob sie sich alle bewaffnet hätten oder ob auch humanitäre Helfer mitgezählt worden seien.

Was sagt der Bericht zu muslimischen Verbänden?

Wie in den Jahren zuvor widmet der Bericht der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) breiten Raum. Obwohl die Landesämter von Hamburg und Bremen die Beobachtung in diesem Jahr eingestellt haben und die Behörden in zwei weiteren Ländern die Einschätzung der Kollegen teilen, widmet das Kölner Amt der IGMG weiter neun Seiten. Deren ideologisches Umfeld stelle ihre „verbalen Bekenntnisse zur freiheitlichen-demokratischen Grundordnung unverändert infrage“ und sei „geeignet, eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und Demokratiedistanz zu fördern“.

Schiffauer, der seit Jahren über Milli Görüs forscht, wirft dem Verfassungsschutz vor, er schreibe hier nur alte Berichte fort und blase „ das Phänomen des Islamismus mit einer eindrucksvollen Zahl auf“, obwohl die selbst unter den eigenen Leuten hoch umstritten sei. Der Bericht verzeichnet die IGMG mit 31 000 Mitgliedern unter „Islamismuspotenzial“ im Kapitel „Islamismus/islamistischer Terrorismus“. So werde verhindert, die Gemeinden "mit ins Boot" zu bekommen, wenn es gelte, Radikalisierungen zu verhindern, sagt Schiffauer. Dabei hätten sie selbst das größte Interesse daran, weil "jeder Anschlag ihre politische Existenz gefährdet".

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