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Das Bild eines Laufburcshen: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, hier 2019 bei einem Wirtschaftsforum, biederte sich wiederholt beim Kreml-Diktator Wladimir Putin an.

© Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Verflechtungen mit Kriegstyrann Putin: Bei manchen Ostdeutschen hat Russland noch immer einen Bonus

Die eigene Geschichte prägt im Osten weiterhin das Russland-Bild. DDR-Bürger waren Moskau oft näher als München. Ein Kommentar.

Inmitten eines Krieges, der die Herzen zerreißt, offenbaren sich Risse in unserer Gesellschaft. Im nordostdeutschen Lubmin hat diese Woche der Bürgermeister zunächst angewiesen, keine Flüchtlinge aus der Ukraine im Ort aufzunehmen. Sonst seien Anschläge auf die kritische Infrastruktur zu befürchten.

Gemeint ist die Pipeline „Nord Stream 1“, die hier 60 Milliarden Kubikmeter russisches Gas pro Jahr nach Deutschland pumpt. Ungeachtet von Russlands brutalem Angriffskrieg gegen die Ukraine läuft dieses Geschäft weiter. Und soll offenbar bloß nicht von Menschen in Kriegsnot behelligt werden.

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In Ostdeutschland hängt viel Infrastruktur von Russland ab. Im politischen Handeln und im kollektiven Denken zeigt sich eine ausgiebig gepflegte Nähe zum Kriegstyrannen Wladimir Putin – als der er jetzt auch für jene erkennbar sein muss, die seinen Bombenterror in Syrien und die Annexion der Krim unterspielt haben. Dennoch hat Russland noch immer in Teilen der ostdeutschen Gesellschaft eine Art Bonus. Warum eigentlich?

Die Verflechtungen der ostdeutschen Politik sind kaum zu entwirren

Zunächst sind da wirtschaftliche Interessen. Der strukturschwache Osten hielt russischen Investoren jede Tür auf. Schon mit Landesvater Manfred Stolpe geriet Brandenburgs Brandenburgs Staatskanzlei zu einer Art russischem Konsulat. Die Verflechtungen sind kaum noch entwirrbar.

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Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wickelt hastig ihre vorgebliche Klimastiftung ab, die helfen sollte, Sanktionen für Firmen zu umgehen, die an „Nord Stream 2“ mitbauten. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer biederte sich 2021 in Moskau an, bekam aber statt eines Treffens nur ein Telefonat mit Putin; das Bild eines Laufburschen entstand.

Nun erklärt Kretschmer fast im Kreml-Duktus: „Blockaden von Gaslieferungen müssen wechselseitig als Druckmittel in diesem aktuellen Konflikt ausgeschlossen werden.“ Auch Stolpes Nachfolger Matthias Platzeck machte sich mit seinem „Deutsch-Russischen Forum“ jahrelang zum Kreml-Versteher. Immerhin zog er sich nun zurück und versteht die Welt nicht mehr.

Bis zuletzt gehofft: Vor allem die ostdeutsche Politik kämpfte für die jetzt vorerst nicht eröffnete Gaspipeline "Nord Stream 2", die in Lubmin enden sollte.
Bis zuletzt gehofft: Vor allem die ostdeutsche Politik kämpfte für die jetzt vorerst nicht eröffnete Gaspipeline "Nord Stream 2", die in Lubmin enden sollte.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Nicht zu schweigen von der im Osten starken AfD, deren demokratiefeindliche Parolen von Putins Trollfabriken verbreitet werden. Und der Linken, in der nicht nur Sahra Wagenknecht Putin nach dem Propagandamund redet. Bekenntnisse aus SED-Zeiten, Amerika und die Nato seien die wahren Feinde des Friedens, leben weiter. Die Partei muss sich nach dem denkbar knappen Einzug in den Bundestag ehrlich machen, sonst scheitert sie an sich selbst.

Vielen DDR-Bürgern war Moskau näher als München

Die eigene brüchige Geschichte prägt im Osten weiterhin das Russland-Bild: der Sieg der Sowjetarmee über Nazi-Deutschland, der erste Flug ins All, auch jahrzehntelang gelehrter Anti-Amerikanismus. DDR-Bürger machten Urlaub in der Sowjetunion, lernten das ungeliebte Russisch - und waren Moskau eben oft näher als München.

Positiv wirkte auch Michail Gorbatschow, wie der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel treffend analysiert hat: Der bis heute beliebte „Gorbi“ ließ die Friedliche Revolution in Osteuropa und die deutsche Einheit zu. Danach gab es Enttäuschungen über den Westen - in Russland über den Verlust von Stolz auf die eigene Großmacht, in Ostdeutschland über den Verlust von Stolz auf die eigene Biographie. Enttäuschungen verbanden die Enttäuschten.

Bis heute zeigen sich in Ostdeutschland die Hoffnungsverluste der Einheit in weiterhin starker Demokratiespkepsis, rechtslastigen Wahlergebnissen, massiven Corona-Protesten. Risse in der Gesellschaft sind im Osten tiefer.

Inmitten des Krieges darf das Wesentliche nicht aus dem Blick geraten: Russlands Diktatur zieht gegen die Demokratie zu Felde. In Osteuropa ist Putin längst ein verhasster Imperialist. Wie die Sowjetunion einst auch für verhasste Kommunisten stand, die Volksaufstände am 17. Juni in Ost-Berlin und ’68 in Prag niederwalzten. Russland will sich in diese Sowjetära zurückbomben. Diese Wahrheit muss sich gerade Ostdeutschland eingestehen.

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