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Politik: Vergehen statt Verbrechen?

Die Staatsanwaltschaft klagt Frankfurts Polizei-Vizepräsident an, wertet dessen Folterdrohung aber nur als Nötigung

DER FALL DASCHNER

Vor dem Eingang von Gerichtsgebäude E drehen sie gerade einen Film. Darin geht es, allem Anschein nach, um einen Mann, der ein Gerichtsgebäude betritt, ein Polizeibeamter vielleicht. Was nicht im Skript steht, weil es der Realität noch immer gelungen ist, die Fiktion zu übertreffen, filmen Fernsehkameras am Freitagmorgen im Schwurgerichtssaal 165. Nur wenige Meter Gang trennen den Raum vom Schwurgerichtssaal 165 C, wo vor sieben Monaten Magnus Gäfgen, der Mörder des elf Jahre alten Frankfurter Bankierssohns Jakob von Metzler, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Auftritt des ermittelnden Staatsanwalts Wilhelm Möllers. Pressesprecherin Doris Möller-Scheu begrüßt die anwesenden Journalisten zur Pressekonferenz, die „von Ihnen mit Spannung erwartet worden ist“, als ginge es um die Ansage einer Sportübertragung. Sie liest vom Blatt ab: „Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat einen 50-jährigen Kriminalhauptkommissar wegen Nötigung unter Missbrauch seiner Befugnisse und seiner Stellung als Amtsträger sowie den Vizepräsidenten der Polizei wegen Verleitung zu dieser Tat vor der großen Strafkammer des Landgerichts angeklagt.“ Zweiter Akt im Fall Daschner, der erst durch Recherchen des Tagesspiegels publik geworden war.

Der Name des Kommissars wird nicht bekannt. Der des Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei ist Wolfgang Daschner, jener Mann, der am Morgen des 1. Oktober 2002 unter der Überschrift „Nur für die Handakte der Polizei/StA“ als internen Vermerk festhielt, er habe angewiesen, den dringend Tatverdächtigen Gäfgen „nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen“. Keiner der Beamten wusste zu diesem Zeitpunkt, dass der entführte Jakob von Metzler bereits tot war. Ein Kampfsportexperte war unterwegs. Der Jurastudent sollte gefoltert werden. „Irgendwann hätte er nicht mehr geschwiegen“, sagte Daschner später in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. „Innerhalb sehr kurzer Zeit.“ Tatsächlich gestand Gäfgen bereits nach der Folterandrohung, dass er den Entführten schon vier Tage zuvor getötet und die Leiche an einem kleinen See im Main-Kinzig-Kreis abgelegt hatte.

Es dauert nicht lange. Eine halbe Stunde später ist im Frankfurter Schwurgerichtssaal der Text der Pressemitteilung verlesen, hat Staatsanwalt Möllers die Fragen der Journalisten beantwortet oder abgewiesen. Dann steht fest, dass Wolfgang Daschner entgegen der ursprünglichen Ermittlungen nicht wegen Aussageerpressung angeklagt wird, einem Verbrechenstatbestand, Mindeststrafe ein Jahr. Dass dem Polizei-Vizepräsidenten stattdessen Nötigung in besonders schwerem Fall vorgeworfen wird, vielmehr: die „Verleitung“ dazu – gemeint war die Anstiftung – ein Vergehen nur, das, ebenso wie die Nötigung selbst, allerdings auch ein Strafmaß von sechs Monaten bis fünf Jahren nach sich zieht.

Die Fortsetzung folgt hinter den Kulissen, wo TV-Teams den Staatsanwalt erneut vor dem Sitzungssaal befragen. Nein, ein Fall von Aussageerpressung sei nicht hinreichend nachweisbar gewesen, obwohl der Straftatbestand „objektiv“ vorliege, weil das Motiv die Rettung des Kindes gewesen sei. Nein, die Ermittlungen seien nicht in die Länge gezogen, sondern „zügig vorgenommen worden“, in Anbetracht der „komplizierten Materie“. Ob es zu einem Prozess gegen Wolfgang Daschner kommt, muss jetzt die zuständige Strafkammer des Landgerichts entscheiden. Abgang des Staatsanwalts. Keine weiteren Fragen.

Karin Ceballos Betancur[Frankfurt (Main)]

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