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Habe ich richtig gehört? Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrelll wurde von Sergej Lawrow auf offener Bühne vorgeführt.

© dpa

Verhältnis zu Russland: Warum Moskau die EU demütigen kann

Der Affront der russischen Gastgeber gegen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zeigt Wirkung: Außenpolitiker aus Bundestag und Europaparlament fordern eine neue Politik.

Von Hans Monath

Im Verhältnis zu Russland haben deutsche und europäische Diplomaten und Experten in den vergangenen Jahren schon viele Enttäuschungen verarbeiten müssen. Doch die Demütigung, die seine Gastgeber dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bei einem Besuch in Moskau vor wenigen Tagen bereiteten, wirkte trotzdem wie ein Schock. „Es wird Zeit, dass wir romantische Gefühle sowie Träume beiseite schieben, eine knallharte Analyse harter russischer und europäischer Interessen vornehmen und das Thema von da aus angehen“, schrieb der frühere schwedische Premierminister Carl Bildt auf Twitter, der heute beim European Council on Foreign Relations (ECFR) tätig ist. Auch Außenpolitiker im Bundestag und im Europäischen Parlament fordern nun, den Umgang mit Moskau illusionslos an eine neue Realität anzupassen.

Schon vor seinem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow hatte Borrell erklärt, die Beziehungen zu Russland seien auch wegen des Streits um Giftanschlagsopfer Alexej Nawalny an einem „Tiefpunkt“ angekommen. Während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Lawrow gaben die Gastgeber dann bekannt, dass sie drei Diplomaten aus EU-Staaten mit der Begründung ausweisen, sie hätten an Nawalny-Protesten teilgenommen. Lawrow führte seinen Gast vor, bestritt die Verantwortung Moskaus für die Vergiftung Nawalnys, warf dem Westen „Doppelmoral“ vor und nannte die EU-Sanktionen wegen der Annexion der Krim „illegal“. Weil Borrell nicht vor laufenden Kameras konterte, fordern 81 EU-Abgeordnete nun seinen Rücktritt.

"Der Kreml glaubt, dass er wenig zu verlieren hat."

Den Willen zur Eskalation erklärt Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik so: „Moskau hat aktuell von der EU weder viel zu befürchten, noch erhofft man sich irgendetwas. Mit neuen Wirtschaftssanktionen rechnet man nicht.“ Auch habe die EU dem Kreml derzeit abgesehen von mahnenden Worten zur Innenpolitik nicht viel anzubieten. Deshalb gehe man aus russischer Sicht bei der Eskalation kein großes Risiko ein, sagt der Russland-Experte: „Der Kreml glaubt, dass er wenig zu verlieren hat.“. Die Botschaft der russischen Seite beim Borrell-Besuch habe gelautet: "Wenn ihr über Menschenrechte reden wollt, dann braucht ihr gar nicht erst anzureisen."

Durch diese Röhren soll das Gas aus Russland durch die Ostsee geschickt werden, die nun noch auf einem Lagerplatz von Nord Stream 2 am Ostseehafen lagern.
Durch diese Röhren soll das Gas aus Russland durch die Ostsee geschickt werden, die nun noch auf einem Lagerplatz von Nord Stream 2 am Ostseehafen lagern.

© picture alliance/dpa

Von einem „neuen Tiefpunkt“ im Verhältnis der EU zu Russland spricht Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Die Ausweisung dreier Diplomaten am Tag des Borrell-Besuchs „zeugt von Verachtung“, sagt der CDU-Politiker. Dass der Kreml derzeit weder Gesprächsbereitschaft noch Gesprächsinteresse zeige, sei „besorgniserregend“. Deshalb sei nun „der Zeitpunkt gekommen, dass wir uns in der EU über eine gemeinsame und neue Russlandpolitik verständigen“. Wenn der Kreml bereit sei, wieder in einen „ernsthaften Dialog einzusteigen“, werde die EU Themenidentifizieren, die gemeinsam angegangen werden können. Gemeinsame Interessen sehen Deutschland und die EU beim Atomabkommen mit dem Iran, dem Kampf gegen Klimawandel, gegen Terrorismus und gegen die Corona-Pandemie.

Auch SPD-Außenpolitiker Nils Schmid kommt zu dem Schluss, „dass Russland gegenwärtig offenbar gar kein Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen hat“. Deshalb müssten die EU und Deutschland zwar mit Moskau im Gespräch bleiben und auf den Feldern zusammenarbeiten werden, wo dies möglich sei, sich „aber keine Illusionen machen dürfen, in absehbarer Zeit wieder normale oder gar freundschaftliche Beziehungen etablieren zu können". Anders als viele SPD-Vertreter, die gegenüber Russlands Verhalten Milde walten lassen und angeblich fehlende Gesprächsangebote bemängeln, sagt der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion: "Nach den jüngsten Ereignissen ist klar, dass die Ursache für die schlechten EU-Russland-Beziehungen nicht in mangelnden Dialogangeboten zu suchen ist. Wenn der EU-Außenbeauftragte nach Moskau reist, um auszuloten, wie man die festgefahrenen Beziehungen wieder verbessern kann und Moskau diese Gelegenheit lediglich dazu nutzt, den Gast zu desavouieren, dann macht dies deutlich, dass Russland gegenwärtig offenbar gar kein Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen hat."

Ganz ähnlich sieht das FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai: "Wir brauchen eine realistische Betrachtung der deutsch-russischen Beziehungen und müssen uns von Illusionen verabschieden."

Von den Attacken seiner 81 EP-Kollegen auf Borrell hält der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer gar nichts: „Wer ihn nun zum Rücktritt auffordert, kommt über die Selbstbeschädigung der EU nicht hinaus.“ Dessen Gastgeber in Moskau hätten „sich entschieden, Schiffe zu verbrennen“. Die EU habe ein Interesse an Kooperation mit Russland, aber dieses Interesse kollidiere leider mit der Realität, denn Russland teile es nicht. „Putin ist ein exzellenter Pokerspieler, der sich auf unkalkulierbare Risiken nicht einlässt, kalkulierbare Risiken jedoch mit großer Härte eingeht“, sagt der Grünen-Politiker: „Die EU und Deutschland müssen ihm klar machen, dass seine Politik für ihn und seine Clique mit Kosten verbunden ist."

Warum kann Moskau sich erlauben, die EU zu demütigen?

Auch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) wirft Borrell nicht vor, dass er nach Moskau gefahren war: "Um die derzeitige gefährliche Sprachlosigkeit zu überwinden, war das Dialogangebot von Borrell richtig", sagte er. Drei strategische Ansätze einer künftigen Russland-Politik der EU definiert Wadephul: "Russland ist eine Bedrohung für unsere Sicherheit und Werte, Abschreckung dagegen – auch für unsere östlichen Partner – muss transatlantisch erfolgen." Zudem trete Russland die bestehende internationale Ordnung "mit Füßen", den könne die EU erfolgreich "nur mit größter Geschlossenheit entgegentreten. Zudem sei mit Russland "eine selektive Partnerschaft über Wirtschaftsfragen hinaus möglich".

Dass Moskau sich erlauben kann, die EU zu demütigen, erklärt SWP-Experte Kluge so: „Solange es keine gemeinsame Linie der EU-Mitgliedsstaaten gibt, wird die EU von Russland als außenpolitischer Akteur nicht ernst genommen.“ Die EU müsse an einer gemeinsamen Linie arbeiten: „Auch Berlin muss dafür kompromissbereiter werden.“

Ist Wladimir Putin ein Pokerspieler, der unkalkulierbare Risiken scheut und kalkulierbare Risiken "mit großer Härte eingeht"? Das zumindest glaubt der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer.
Ist Wladimir Putin ein Pokerspieler, der unkalkulierbare Risiken scheut und kalkulierbare Risiken "mit großer Härte eingeht"? Das zumindest glaubt der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer.

© AFP

Nicht kompromissbereit ist die Bundesregierung bislang etwa bei der Pipeline Nord Stream 2, die unter Umgehung der Ukraine Gas aus Russland nach Deutschland bringen soll und von etlichen EU-Partnern abgelehnt wird. Auch der neue US-Präsident Joe Biden ist dagegen, auch wenn er im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump bisher nicht mit Sanktionen gedroht hat. Sogar in der großen Koalition gibt es Kritiker der Pipeline, doch die Regierung hält daran fest.

Finanzminister und SPD-Vizekanzler Olaf Scholz hatte im Sommer mit einer milliardenschweren Offerte versucht, den US-Widerstand gegen die Pipeline zu brechen. Die „Zeit“ berichtete im September, dass Scholz kurz zuvor seinem damaligen US-Kollegen Steven Mnuchin vorgeschlagen hatte, Deutschland könne den Bau von zwei Spezialhäfen zum Import von Flüssiggas finanzieren könne. Am Dienstag veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe die Schreiben im Faksimile. Die Bundesregierung versprach darin, bis zu eine Milliarde Euro für Terminal-Bauten in den Häfen Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Über sie wollen US-Firmen amerikanisches Gas nach Deutschland exportieren.

SWP-Mitarbeiter Kluge sieht die Reaktion Deutschlands, Polens und Schwedens auf die Ausweisung ihrer Diplomaten aus Russland durchaus kritisch - alle drei Länder wiesen ihrerseits einen russischen Diplomaten aus. "Die russische Außenpolitik ist immer auch Innenpolitik. Der Kreml steht innenpolitisch unter Druck", sagt Kluge.  In den russischen Staatsmedien werde das Ausland für die Proteste verantwortlich gemacht und Nawalny als ein westlicher Agent dargestellt. "Da kommt der wohl kalkulierte Konflikt mit der EU sehr passend", sagt der Russland-Expert: "Er macht Deutschland, Schweden und Polen zu unfreiwilligen Komparsen in der russischen Propaganda."

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