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Politik: Verhandeln für den guten Ruf

Am Tag vor dem Gipfel mit der EU empfängt Putin moskautreue Tschetschenen – doch die Separatisten rüsten sich für neue Kämpfe

Tschetschenenpräsident Aslan Maschadow soll angeblich seine Vollmachten niedergelegt haben. Das jedenfalls erklärte der von Moskau eingesetzte stellvertretende Militärkommandant Tschetscheniens, Ibrahim Suleymanow, in Grosny. Eine Bestätigung durch die Separatisten fehlt bisher. Suleymanow will, wie die Moskauer Nachrichtenagentur „Interfax“ meldet, seine Informationen über den Rücktritt von V-Männern bekommen haben, die an der jüngsten Beratung der Separatistenführer teilnahmen. Den Militärs unterlief möglicherweise jedoch ein Interpretationsfehler: Auf der Beratung, sagte Suleymanow, sei Maschadow zum „Amir“ der Gotteskrieger (Mudschahiddin) gewählt worden. Der in muslimischen Ländern übliche Titel aber räumt dem Inhaber neben militärischer auch politische Befehlsgewalt ein. Von einer Schwächung der Separatisten, wie hiesige Medien die Meldung in ersten Reaktionen bereits bejubelten, kann daher kaum die Rede sein. Im Gegenteil: Die Reorganisation – geplant ist nach Berichten der V-Männer zudem die Aufteilung Tschetscheniens in Militärbezirke, deren Führer den Widerstand besser als bisher koordinieren sollen – lässt auf eine Straffung der Strukturen schließen. Neu ist, dass nun die islamische Komponente ausdrücklich betont wird. Dadurch könnte die Reorganisation zu einer weiteren Radikalisierung der Sezessionsbestrebungen führen.

Dafür spricht auch, dass Schamil Bassajew, der Drahtzieher des jüngsten Geiseldramas in Moskau und einer ähnlich schweren Geiselnahme im Sommer 1995, zum Oberkommandierenden der Separatisten-Einheiten ernannt worden sein soll.

Offenbar deshalb empfing Putin am Sonntag eine Abordnung von tschetschenischen Stammesältesten, geistlichen Führern und Unternehmern. Diese hatten am Freitag in einen offenen Brief an das tschetschenische Volk Vorschläge für eine politische Lösung des Konflikts unterbreitet und dazu auch um ein Treffen mit Putin gebeten. Beides war mit der von Moskau eingesetzten Verwaltung Tschetscheniens nicht abgestimmt und soll offenbar – auch in Anbetracht des Russland-EU-Gipfels an diesem Montag – den Anschein erwecken, Putin bemühe sich ernsthaft um eine politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts.

Die bisherigen Ergebnisse sind jedoch eher enttäuschend. Zwar unterstützte Putin Forderungen der Abordnung nach einem Referendum, mit dem die Bevölkerung Tschetscheniens eine neue Verfassung annehmen soll. Zur Abstimmung gestellt werden soll jedoch ein aus fünf Varianten zusammengeschriebener Entwurf der moskautreuen Verwaltung und der Rechtsabteilung des Präsidentenamtes, der in seiner jetzigen Form für weite Teile der Bevölkerung nicht akzeptabel ist. Das gilt auch für den von Putin ebenfalls unterstützten Vorschlag für Wahlen von „Machtorganen“ – Parlament und Präsident – die dem Volk rechenschaftspflichtig sind. Kandidieren sollten nach den Vorstellungen der Unterzeichner des Briefes auch Vertreter der Separatisten. Putin dagegen erteilte dem eine klare Absage. Wer Maschadow wähle, wähle Krieg und Terrorismus.

Letztendlich, so meinen Moskauer Beobachter, werde Putin um Verhandlungen mit den Separatisten nicht herumkommen, aus taktischen Erwägungen werde er das Thema jedoch erst im Wahlkampf 2004 angehen.

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