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Politik: Verhandeln mit dem Erzfeind von einst

Die früheren extremen Parteien Nordirlands sind die Wahlsieger – jetzt könnten sie zusammen regieren

Bei der nordirischen Parlamentswahl vom Mittwoch haben die beiden schon bisher dominanten Parteien auf Kosten der gemäßigten Zentrumsparteien weiter zugelegt. Die Democratic Unionist Party (DUP) von Pfarrer Ian Paisley gewann 36 von insgesamt 108 Sitzen, ein Zugewinn von sechs, ihre gemäßigten Rivalen von der einstigen protestantischen Staatspartei UUP erhielten gerade noch die Hälfte davon (ein Verlust von neun Sitzen). Im anderen Lager waren die Verschiebungen zwar weniger krass, aber die Vormachtstellung von Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee, wurde ausgebaut: Die Partei, die erst unlängst das britische Gewaltmonopol in Nordirland anerkannt hat, erhielt 28 Mandate (plus vier), die gemäßigte Nationalistenpartei, die einst von Nobelpreisträger John Hume geführt wurde, rutschte um zwei auf 16 Sitze ab. Einige Beobachter sprachen von einem neuen Zwei-Parteien-System.

Einhellig wurde das Wahlergebnis von irischen, nordirischen und britischen Medien als Wählermandat für eine baldige Regierungsbildung interpretiert. Denn zahlreiche Splitterkandidaten, die lauthals gegen die geplante Zusammenarbeit zwischen der DUP und Sinn Féin zu Felde gezogen waren, wurden von den Wählern weitgehend ignoriert. Die herkömmlichen Muster der Kompromisslosigkeit wurden in keinem Fall mit einem Abgeordnetensitz belohnt. Dafür vermochte die seit langer Zeit schwindsüchtige Allianz-Partei, die sich mutig den konfessionellen Kategorien entzieht, einige wertvolle Sitze zu erringen: In Südbelfast wurde gar eine gebürtige Chinesin für die Partei gewählt. Ferner gewannen die Grünen ihren ersten Sitz in Nordirland.

Der britische Nordirland-Minister, Peter Hain, empfing die Wahlsieger zu Gesprächen. Der Terminplan ist eng, denn London und Dublin haben den Nordiren ein Ultimatum gestellt. Die Parteien müssen bis zum 26. März eine Koalition unter der Führung Paisleys bilden, ansonsten – so die Drohung – wird das neue Parlament gleich wieder aufgelöst. Der bald 81-jährige Presbyterianer-Pfarrer hatte sich am Donnerstagabend eher abweisend über die Chancen einer Regierungsbildung geäußert. Obwohl die IRA abgerüstet hat, und Sinn Féin sich hinter die Polizei stellte, glaubt Paisley noch nicht an die Demokratiefähigkeit seiner Erzfeinde. Doch er ließ sich trotz seiner brüsken Worte genügend Spielraum für eine Kehrtwende. Das Mandat dazu hätte er, und Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams ist an einer baldigen Regierungsbildung sehr interessiert, denn noch vor der Sommerpause wird auch in der Republik gewählt: Nordirische Sinn-Féin-Minister kämen ihm im irischen Wahlkampf äußerst gelegen. Und der britische Premierminister Tony Blair würde das Thema Nordirland gerne noch vor seinem Rücktritt abhaken.

Optimisten begannen mit Überlegungen zur Zusammensetzung der künftigen Regierung. Sie übertrugen die 1998 im Karfreitags-Abkommen vereinbarte Formel auf die neuen Resultate und folgern, dass Paisleys DUP neben dem Ersten Minister noch vier Kabinettssitze bekäme, Sinn Féin zusätzlich zum Vize-Chefminister drei Minister. Die 1998 noch dominanten Zentrums-Parteien müssten sich mit den restlichen drei Minister-Portefeuilles begnügen. Das Kabinett bekäme eine protestantisch-unionistische Mehrheit. Doch zuvor muss Paisley die Gewohnheiten eines langen Lebens abstreifen und die Hand zum Kompromiss bieten. Wegen seiner unvergleichlichen Stellung in Nordirland wird ihm am ehesten zugetraut, die überwältigende Mehrheit der nordirischen Protestanten von den Vorteilen einer konstruktiven Politik zu überzeugen.

Martin Alioth[Dublin]

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