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Sitzen seit Donnerstag Abend an einem gemeinsamen Tisch: Präsident Viktor Janukowitsch und Oppositionsführer Vitali Klitschko verhandeln miteinander.

© dpa

Verhandlungen in der Ukraine: Oppositionsführer verhandeln in Kiew mit Präsident Janukowitsch

Seit Donnerstagabend stehen die Oppositionsführer und Präsident Viktor Janukowitsch miteinander in Verhandlung. Dabei geht es auch um den Widerruf antidemokratischer Gesetze. Kommissionschef Barroso und die Außenbeauftragte Catherine Ashton der EU reisen in den nächsten Tagen nach Kiew - und setzen auf Dialog.

Sie rissen wieder Pflastersteine aus den Straßen und errichteten neue Barrikaden. In eisiger Kälte rüsteten sich die oppositionellen Kräfte in Kiew auch am Donnerstag für weitere Straßenschlachten mit den ukrainischen Sicherheitskräften. Doch die Lage blieb dann am Abend zunächst ruhig – sogar nach Ablauf der befristeten Waffenruhe. Die drei parlamentarischen Oppositionsführer verhandelten über vier Stunden lang bis in die späten Abendstunden mit Staatspräsident Viktor Janukowitsch. Oppositionsvertreter zeigten sich anschließend zuversichtlich. Es gebe nun eine „große Chance“, die Krise ohne weiteres Blutvergießen zu beenden, sagte Arseni Jazenjuk von der Partei Vaterland. Gemeinsam mit Boxweltmeister Vitali Klitschko und Oleg Tiagnibok von den Nationalisten war er beim Präsidenten.

Janukowitsch ermahnte die Ukrainer, zu Hause zu bleiben und Ruhe zu bewahren. Mit dem Parlamentspräsidenten Mykola Rybak von seiner regierenden „Partei der Regionen“ verständigte sich der Staatspräsident auf eine Dringlichkeitssitzung der Werchowna Rada, des ukrainischen Einkammerparlaments, in der kommenden Woche. Gemeinsam mit der Opposition soll dort nach Möglichkeiten gesucht werden, die antidemokratischen Gesetze zu widerrufen und die Regierung von Mykola Asarow auszuwechseln. Beide Forderungen waren beim ersten Treffen von Janukowitsch mit den drei Oppositionsführern abgelehnt worden. Allerdings steht in den Sternen, ob Janukowitschs Parlamentsmehrheit der Opposition entgegenkommen will. Auf die Forderung nach seinem eigenen Rücktritt und sofortigen Neuwahlen ging Janukowitsch nicht ein. Jatsenjuk hatte Janukowitsch dafür am späten Mittwochabend auf der Bühne des Majdan-Platzes 24 Stunden Zeit gegeben.

EU verhandelt mit der Ukraine und droht mit Sanktionen

Nach der tödlichen Eskalation der Lage will die Europäische Union in der Ukraine vermitteln – obwohl sie wegen der inhaltlichen Übereinstimmung mit der Opposition dazu wenig geeignet erscheint. Nach einem Telefonat zwischen EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am Donnerstagvormittag kündigte Barrosos Sprecher Olivier Bailly an, dass der für die Nachbarschaftspolitik zuständige Kommissar Stefan Füle an diesem Freitag nach Kiew reisen werde. Ihm soll kommende Woche voraussichtlich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton folgen. Es müsse „so schnell wie möglich zu einem hochrangigen Dialog zwischen Regierung und Opposition kommen. Wir sind bereit diesen Prozess zu unterstützen“. Eine Delegation des Europaparlaments ist kommende Woche ebenfalls vor Ort.

Der Einsatz von Gewalt sei naturgemäß nicht die von der EU-Kommission bevorzugte Antwort auf die politische Krise; man sei daher „tief besorgt“, hieß es in Brüssel weiter. Immerhin habe Janukowitsch Barroso zugesagt, keinen Ausnahmezustand mit weitgehenden Befugnissen für Polizei und Armee über das Land zu verhängen. „Unsere Priorität ist der Dialog“, so der Barroso-Sprecher weiter. Sollte dieser aber nicht zum Erfolg führen, „würde die EU mögliche Konsequenzen prüfen“. Die christdemokratisch-konservative Europäische Volkspartei, die größte Parteienfamilie Europas - der neben Barroso auch die deutsche CDU angehört - fordert derweil nicht nur eine Befassung des UN-Sicherheitsrates, sondern bereits konkrete Sanktionen. Ihr Vorsitzender Joseph Daul aus dem Elsass rief die EU-Organe dazu auf, die verantwortlichen ukrainischen Offiziellen und die Oligarchen im Hintergrund mit Einreise- und Kontensperren zu belegen.

EU hofft auf Zusammenarbeit mit Russland

Wenige Tage vor dem EU-Russland-Gipfel am Dienstag in Brüssel ermahnten zudem zahlreiche Europapolitiker die Regierung in Moskau, mäßigend auf Janukowitsch einzuwirken. „Russland riskiert ein neues Syrien auf europäischem Boden, wenn es weiter seine schützende Hand über den Autokraten in Kiew hält“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz. Er regte eine gemeinsame Vermittlungsmission von Russen und Europäern an, die beim Gipfel am Dienstag vereinbart werden könne. Sein CSU-Kollege Markus Ferber sieht das ähnlich: „ Die EU muss gemeinsam mit Russland die ukrainische Regierung und Opposition an einen Tisch bringen.“

Sondereinheit mit Tagessoll von mindestens 150 Festnahmen

Nach Bekannt werden eines drastischen Videos, über das Vorgehen der gefürchteten Sondereinheit „Berkut“ gegen festgenommene Demonstranten, kündigte das Innenministerium am Abend eine Untersuchung der Fälle an. Danach waren Festgenommene nackt ausgezogen und erniedrigt worden, andere wurden wehrlos auf dem Boden liegend zusammen geschlagen. Das ukrainische Nachrichtenmagazin „Kommentari“ berichtete auf seiner Internetseite, die Sondereinheit „Berkut“ müsse täglich ein Plansoll von mindestens 150 Festnahmen erfüllen. Ein ehemaliger ukrainischer Geheimdienstsprecher meldete, manche „Berkut“-Einheiten bestünden aus russischen Geheimdienstlern. „Wir sollten uns nicht wundern, wenn auch hier Hochhäuser oder Metrostationen in die Luft fliegen und Bomben in der U-Bahn hochgehen“, schrieb er auf Facebook. „Wir haben es mit einer fremden Invasion zu tun.“ In der Nacht zum Donnerstag hatten von der Regierung bezahlte Schlägerkommandos Jagd auf motorisierte Patrouillen der Opposition gemacht. Autos wurden demoliert und deren Fahrer verprügelt, einige sollen entführt worden sein. Am Donnerstag bestätigte sich die Nachricht einer zweiten, in einem Waldstück beim Flughafen Borispol aufgefundenen Leiche. Auch sie wies Folterspuren auf. Die von der Opposition genannte Zahl der Todesopfer ist demnach auf sieben gestiegen. Die Polizei bestätigte bisher zwei Todesopfer. Acht hohe ukrainische Geistliche bezichtigten inzwischen Janukowitsch, Menschen zu töten, zu entführen und „Banditen“ einzusetzen, um sich an der Macht zu halten. Sie forderten ihn auf, von dem „blutigen Plan“ abzulassen.

Letzter Ausweg: Exil?

Schon mit der Verurteilung Julia Timoschenkos vor drei Jahren hatte Janukowitsch die rote Linie überschritten. Seitdem muss er mit Gefängnis für den Fall rechnen, dass er die Macht verliert. Für den Staatspräsidenten gibt es keinen Weg mehr zurück; der einzige Ausweg für ihn scheint der Gang ins Exil.

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