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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen.

© dpa

Verhandlungspoker: Merkel glaubt nicht mehr an rasche Einigung im Hartz-Streit

Zehn Stunden wurden verhandelt - ohne Ergebnis. Dann kündigt die Kanzlerin an, den Hartz-IV-Streit zur Chefsache zu machen. Aber auch sie muss nun auf die Bremse treten. Scheitern die Verhandlungen ganz?

Union und FDP hatten einen Plan. Am Freitag sollten die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Hartz-IV-Nachbesserungen im Bundesrat beschlossen werden. Damit wäre man dieses für die Politik mitunter etwas lästige Thema in den anstehenden Landtagswahlkämpfen losgewesen. Mehrere Verhandlungsrunden hat es dafür mit der Opposition aus SPD und Grünen gegeben, die beteiligt werden müssen, da Schwarz-Gelb im Bundesrat keine Mehrheit hat. Doch bisher gibt es vor allem ein Ergebnis: Streit. Und der könnte sich jetzt noch länger hinziehen. Denn nicht nur die zehnstündige verhandlungsrunde von Sonntag auf Montag ist gescheitert. Auch die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Auseinandersetzungen um Hartz IV zur Chefsachen machen zu wollen verpuffen bisher. Sie selbst muss erstmal eingestehen, dass nicht so schnell mit einer Einigung zu rechnen sei. Nach dem bisherigen Verhandlungsverlauf seien die Chancen sehr schlecht, „dass wir uns kurzfristig verständigen werden“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. „Ich bin leider sehr skeptisch“, fügte sie hinzu. Schuld ist natürlich die Opposition. Der gehe es nicht um die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichts-Urteils. Am heutigen Dienstagabend soll weiter verhandelt werden. Vorher will sich Merkel aber zunächst mit CSU-Chef Horst Seehofer, dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle sowie weiteren Spitzenvertretern der Koalition beraten. Ein Scheitern der Spitzenrunde rund um CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, Seehofer und SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig schließt die Union nicht mehr aus. „Wenn die SPD darauf besteht, dass der Regelsatz aus rein ideologischen Gründen steigen muss - das machen wir nicht mit“, sagte Unionsfraktions-Geschäftsführer Peter Altmaier (CDU) am Dienstag in Berlin. Die 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland müssen demnach womöglich noch länger auf die Anhebung ihrer Regelsätze und das Bildungspaket für Kinder warten.

Woran liegt es, dass Regierung und Opposition sich nicht einigen können?

Zuletzt hakte es beim Regelsatz. SPD und Grüne hatten ein Kompromissangebot auf den Tisch gelegt, das eine Erhöhung des Regelsatzes um elf statt fünf Euro auf 370 Euro im Monat bedeutet hätte. Bei der Berechnung sollten die Hartz-IV-Empfänger außen vor gelassen werden, die einen Zuverdienst von maximal 100 Euro haben. Nach Ansicht von Rot-Grün wäre dies eine mögliche Korrektur der Berechnungsmethode, die das Risiko verringern würde, dass der Regelsatz bei einer erneuten Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht wieder als grundgesetzwidrig beanstandet wird. Zu einer Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge über die geplanten fünf Euro hinaus konnten sich Union und FDP jedoch auch nach Telefonkonferenzen mit ihren jeweiligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden nicht durchringen. Deshalb wurde nachts gegen halb vier beschlossen, die Verhandlungen zu vertagen.

Welche Themen sind noch umstritten?

Noch keine Einigung gab es in der Nacht auch bei anderen zentralen Themen. So zweifelt die SPD daran, dass der Bund den Kommunen tatsächlich ausreichend Geld zur Verfügung stellen will, um das Bildungspaket für die 2,5 Millionen Kinder aus Hartz-IV-Familien und von Geringverdienern zu bezahlen. Union und FDP hatten am Montagabend vorgeschlagen, dass der Bund die Kommunen bei der Grundsicherung im Alter auf Dauer um mehrere Milliarden Euro entlastet. Kein ganz neues Angebot, dies war bereits im Rahmen der von Schwarz-Gelb geplanten Gemeindefinanzreform diskutiert worden, die derzeit allerdings auf Eis liegt. Im Gegenzug sollten die Kommunen auf ihre seit langem erhobene Forderung verzichten, vom Bund mehr Geld für die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger erstattet zu bekommen. Während Schwesig von einer „Mogelpackung“ sprach, lobte von der Leyen am Montag das „großzügige“ Angebot. „Das Fenster ist jetzt geöffnet, aber nicht auf Dauer“, mahnte sie.

Strittig blieb bis zuletzt außerdem die Zeitarbeit. Zwar signalisierten Union und FDP, dass sie sich die Einführung eines Mindestlohnes vorstellen könnten, möglicherweise sogar in weiteren Branchen wie dem Wach- und Sicherheitsgewerbe und der Weiterbildung. Doch bei der von Rot-Grün geforderten gleichen Bezahlung von Zeitarbeitern und Stammbelegschaften („equal pay“) blieben die Fronten bis zum Schluss verhärtet. Nach Angaben von Teilnehmern gab es bei diesem Thema im Laufe des Abends gar keine Bewegung.

Wie soll es nun weitergehen?

Die Verhandlungen der Spitzenrunde sollen am Dienstagabend fortgesetzt werden. Das ist dann innerhalb von gut zwei Wochen bereits der dritte Anlauf. Davor will sich Bundeskanzlerin Merkel mit den Partei- und Fraktionschefs der Koalition treffen, hieß es am Montag in Koalitionskreisen. Damit ein Kompromiss – wie ursprünglich vorgesehen – noch an diesem Freitag von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden kann, müssten im Laufe des Mittwochs fertige Gesetzestexte auf dem Tisch liegen. Im Gespräch sind aber auch schon Sondersitzungen in der nächsten Woche. „Wir können und dürfen uns nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag vertagen“, mahnte CDU-Arbeitsministerin von der Leyen.

Wer bremst am meisten?

Dass Union und FDP nicht immer an einem Strang ziehen, hat die Verhandlungen in den vergangenen Wochen erschwert. Die Union wäre bereit gewesen, im Streit über die Zeitarbeit auf SPD und Grüne zuzugehen. Doch die FDP bremste immer wieder. Die Liberalen haben inzwischen als Koalitionsposition durchgesetzt, dass Zeitarbeiter und Stammbelegschaften erst nach neun Monaten den gleichen Lohn bekommen sollen. Davon würde allerdings nur ein Bruchteil der Beschäftigten profitieren. SPD und Grüne halten diesen Vorschlag daher für inakzeptabel. Verärgert sind sie darüber hinaus, weil CSU-Chef Seehofer laut SPD in früheren Runden bereits zu erkennen gegeben hatte, dass er deutlich kürzere Fristen für sinnvoll hält. Weitgehend einig sind sich Union und FDP bislang, dass sie beim Regelsatz hart bleiben wollen. Offenbar haben die Verhandler der Regierungsseite aber in der letzten Nachtsitzung unterschätzt, dass die SPD der Reform am Ende nur zustimmen will, wenn es zumindest eine kleine Korrektur des Regelsatzes gibt.

Wer wird als Verlierer aus dem Verhandlungspoker herausgehen?

Die Arbeitsministerin geht zumindest angeschlagen in die nächste Verhandlungsrunde. Die letzten beiden Nachtsitzungen mussten auf Wunsch von Union und FDP vertagt werden. Das lässt von der Leyens Verhandlungskünste nicht in besonders rosigem Licht erscheinen. Darüber hinaus macht jetzt auch noch die Bundeskanzlerin die Reform zur Chefsache. Sollten Regierung und Opposition sich allerdings nicht absehbar auf einen Kompromiss einigen, dürfte auch das Ansehen der gesamten Politik leiden. Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht bereits vor einem Jahr die Neuberechnung von Hartz IV verlangt.

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