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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umrahmt von Markus Söder (CSU und Michael Müller (SPD)

© AFP/Michael Kappeler/Pool

Verlängerung von mehreren Wochen geplant: Merkels Lockdown-Probleme wachsen

Mögliche Ausgangssperre ab 21 h, weniger Passagiere im ÖPNV, Nachbessern der Hilfen: Es wird ein neues Lockdown-Paket geschnürt – doch die Kritik nimmt zu.

Christian Lindner hat kurzfristig in den Reichstag eingeladen, er will was loswerden. „Über weitgehende Freiheitsbeschränkungen muss das Parlament entscheiden“, betont der FDP-Chef. Wenn es ein neues Risiko durch die als weit ansteckender geltende mutierte Virusvariante B.1.1.7. gebe, dann müsse das im Parlament dargelegt werden. Er fordert vor dem Bund-Länder-Treffen am Dienstag eine Sondersitzung des Bundestags. Aber das wird verhallen, das Kanzleramt arbeitet längst am Beschlussvorschlag für weitere Einschränkungen.

Das kommunikative Problem dabei für Kanzlerin Angela Merkel: Die Infektionszahlen sinken deutlich - begründet wird die nochmalige Verschärfung primär mit der Sorge der B.1.1.7.-Ausbreitung, zu der es bisher mangels sogenannter Gen-Sequenzierungen positiver Corona-Tests kaum eine Datengrundlage gibt. Ziel der Regierung ist, jetzt endgültig die Infektionsdynamik zu brechen, aber zugleich wächst die Kritik und der Instrumentenkasten hat so seine Tücken.

Hinzu kommen dramatische Sorgen vor einer Insolvenzwelle im Handel und die Probleme bei der Auszahlung der Hilfen - auch hier soll nochmal nachgebessert werden.

Was nun geplant ist

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) rechnet erstmal mit zwei weiteren Wochen und einer möglichen Verschärfung - bis zum 14. Februar dürfte man viel klarer sehen, was die Verbreitung mutierter Viren und deren Einfluss auf die Infektionszahlen betrifft. Nächtliche Ausgangssperren sind kein Tabu mehr, heißt es in Regierungskreisen. Nach dem Vorbild Bayern wird über Ausgangssperren von 21 Uhr bis 05 Uhr diskutiert. Dann könnten sich allerdings tagsüber mehr Bürger in Supermärkten befinden und das Risiko für Ansteckungen dort steigen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hält so eine Grundrechtseinschränkung nur für Hot Spots mit über 200 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen für geboten. „In ganz Niedersachsen liegen wir jetzt bei einer Inzidenz von knapp unter 100. Deshalb halte ich aktuell landesweite nächtliche Ausgangssperren nicht für gerechtfertigt“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Als großes Ansteckungsrisiko wird auch der Öffentliche Nahverkehr gesehen – Bundeskanzlerin Merkel will eine Reduzierung der besetzten Plätze in Bussen und Bahnen - doch das müsste irgendwie kontrolliert werden.

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Schon jetzt mangelt es nicht an Regeln, sondern an ihrer Einhaltung und Kontrolle. Das zeigen in Berlin zum Beispiel U-Bahn-Fahrten ohne Maske, Menschenansammlungen vor Kiosken und Privatpartys. FDP-Chef Lindner verlangt daher vor weiterreichenden Entscheidungen auch mal eine konkrete Datenbasis, wie welche Maßnahmen bisher wirken.

Doch zum Beispiel zum ÖPNV gibt es wenig belastbare Daten. Was sich abzeichnet: Weihnachten und Silvester könnten nicht den vielfach befürchteten starken Ausschlag verursacht haben. RKI-Chef Lothar Wieler wird Kanzlerin und Ministerpräsidenten an diesem Montag die neuesten Zahlen referieren, zusammen unter anderem mit dem Virologen Christian Drosten, auch zur B.1.1.7.-Verbreitung.

Ein diskutiertes Ziel für den Öffentlichen Verkehr ist ein Senken der Auslastung auf ein Drittel. In vielen Regionen sollen nun Reisebus-Unternehmer, deren wegen Corona Betriebe ruhen, dazu bewegt werden, im Linienverkehr auszuhelfen, um weniger Personen je Bus befördern zu können. Zudem prüft die Bahn, mehr Züge einzusetzen, und in den großen Städten soll das Angebot trotz weniger Fahrgästen so aus- oder umgebaut werden, dass die Entzerrung klappt. Eine Einstellung des Verkehrs ist nicht geplant.

Zudem wird diskutiert, bundesweit eine FFP2-Maskenpflicht für den Öffentlichen Verkehr und Geschäfte durchzusetzen, aber gerade für Hartz-IV-Empfänger wären dann Sonderregeln zu überlegen, da die Masken nicht günstig sind - im monatlichen Regelsatz sind nur 2,63 für medizinische Produkte eingepreist. Weitgehender Konsens ist, Betriebe und Industrie nicht runterzufahren, darauf dringt besonders die SPD.. Eine von vielen geforderte Homeoffice-Pflicht für Bürojobs wäre kompliziert, weil eine gesetzliche Regelung nicht von heute auf morgen zu schaffen ist, daher wird eine sofort umsetzbare Rechtsverordnung geprüft. Mit mehr Menschen zu Hause, sei es über Ausgangssperren und/oder mehr Home-Office werden automatisch die Fahrgastzahlen im ÖPNV sinken.

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Ein Blick auf die Zahlen: Vor einer Woche lag die Zahl der Neuinfektionen noch bei 162 je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen, am Wochenende laut RKI bei 136. Die immer noch hohen bundesweiten Fallzahlen "werden durch zumeist diffuse Geschehen mit zahlreichen Häufungen insbesondere in Haushalten, im beruflichen Umfeld und Alten- und Pflegeheimen verursacht“, betont das Robert-Koch-Institut im aktuellen Lagebericht.

Die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Covid-19- Patienten ist inzwischen wieder auf weniger als 5000 gesunken,. Die Verschärfung des Lockdowns vor Weihnachten könnte also jetzt zu wirken beginnen. Die Virus-Mutation macht die Lage aber unsicher: In London sind die Zahlen auf über 1000 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gestiegen. Daten zeigen, dass sie sich zunächst unter Kindern ausbreitete und dann in die höheren Altersgruppen überging – was für striktere Kita- und Schulschließungen spricht. Diese könnten also in Deutschland fortbestehen oder vereinheitlicht oder verschärft werden.

Das B.1.1.7-Problem

Wie verbreitet dabei die Mutation in Deutschland schon ist, ist weitgehend unklar, weil nach wie vor zu wenige Proben in der dafür nötigen Weise genetisch detailliert untersucht werden. Der Berliner Mobilitätsforscher - und mittlerweile auch Coronavirus-Ausbreitungsexperte - Kai Nagel leitet aus seiner jüngsten Modellierung ab, dass die Mutante unter den derzeitigen Bedingungen auch in Deutschland in absehbarer Zeit zur dominierenden Form werden wird.

Damit wären dann auch Erfahrungen, welche Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionen und Erkrankungen ausreichen sollten, zumindest teilweise hinfällig. Eine hohe Dunkelziffer bisheriger Infektionen wäre hier aber sogar hilfreich, da entsprechende Personen "vermutlich auch für die Mutation immun" seien, so Nagel gegenüber dem Tagesspiegel.

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Dazu kommt die Möglichkeit, dass – ebenfalls aufgrund der mangelnden genetischen Detail-Überwachung – bereits andere Mutanten sich ausgebreitet haben. Zu ihnen könnten aber auch solche gehören, die im Mittel weniger Symptome auslösen. Das könnte bei infizierten Personen zu noch weniger Tests und dann eben wieder zu einer höheren Dunkelziffer führen.

Im Idealfall könnte es aber auch bedeuten, dass eine Variante sich ausbreitet und zu Immunität auch gegen andere Varianten beiträgt, die insgesamt deutlich weniger problematisch ist. Auch die in Südafrika erstmals identifizierte Mutante, die möglicherweise Eigenschaften hat, welche Impfstoffe weniger effektiv machen, könnte mittelfristig zu Änderungen der Strategie und zur Notwendigkeit einer Anpassung des Impfstoffes an sie und zu erwartende ähnliche Varianten führen.

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Corona-Falle Nahverkehr? Hier könnte es neue Einschränkungen bei Passagierzahlen geben
Corona-Falle Nahverkehr? Hier könnte es neue Einschränkungen bei Passagierzahlen geben

© dpa

RKI-Chef Wieler geht nach wie vor von hohen Dunkelziffern aus, zuletzt war oft vom Vier- bis Fünffachen der offiziell registrierten Fallzahlen die Rede. Wirkliche Orientierung liefern derzeit allein die Zahlen der Verstorbenen und der stationär im Krankenhaus behandelten Patienten. Aufgrund mangelnder Kapazitäten bei der Nachverfolgung von Kontakten gibt es selbst für die Infizierten, die per Test identifiziert werden, kaum Daten dazu, wo sie sich angesteckt haben.

Als problematisch gelten, wo Schulen weitgehend geschlossen sind, derzeit noch der öffentliche Nahverkehr und private Kontakte. Auch familiäre Quarantänen, die mit der Genesung des erkrankten Familienmitglieds enden, halten Experten für ein Problem. Denn Familienmitglieder, die sich bei ihm anstecken, müssten eigentlich deutlich länger isoliert bleiben – was meist nicht geschieht.

Als plausibel gilt, Maskenpflichten für Innenräume und öffentliche Verkehrsmitteln auf FFP-2-Masken statt Alltagsmasken zu ändern.

74 Milliarden ausgezahlt

Zwischen Wirtschafts- und Finanzministerium wird parallel um weitere Milliardenhilfen gerungen; bisher wurden seit März 74 Milliarden Euro ausgezahlt – und es werden noch viele mehr. Während Friedrich Merz nach seinem Scheitern bei der CDU-Vorsitzendenwahl vom neuen CDU-Chef Armin Laschet und Merkel verlangte, den Parteifreund Peter Altmaier ablösen zu dürfen, werden in dessen Ministerium rund um die Uhr Extraschichten geschoben.

Es hapert immer noch bei der Auszahlung der Wirtschaftshilfen, dazu kommen bürokratische Hürden: Die EU-Kommission, die Hilfen von mehr als einer Million Euro genehmigen muss, bremst aus Sicht der Bundesregierung zu sehr. Zudem stehen nach dem Böllerverkaufsverbot mehrere Feuerwerk-Unternehmen vor der Insolvenz.

Für den Handel wird an weiteren Hilfen und einer Entbürokratisierung der Anträge für die Überbrückungshilfe III gearbeitet. Da viel Saisonware abgeschrieben werden muss und Bekleidungsunternehmen auf Ware sitzen bleiben, wird über eine sogenannte Teilwertabschreibung diskutiert – Kosten: weitere eins bis drei Milliarden Euro. „Olaf Scholz blockiert das“, wird aus Altmaiers Haus kritisiert. Im Finanzministerium sagen sie, man arbeite an einer rechtssicheren Lösung.

Das größte politische Problem in dieser hochkomplexen Lage: Gegen eine Verbreitung der Viren, noch dazu ihrer mutierten Varianten, helfen wie auch bei der Begrenzung der ökonomischen Schäden möglichst unbürokratische Lösungen am schnellsten und deshalb am besten. Im Wirtschaftsministerium ist man fassungslos, dass zum Beispiel die Bundesdruckerei beauftragt wurde, fälschungssichere Coupons zu drucken, damit diese über die Krankenkassen an über 60-Jährige postalisch verschickt werden, die gegen ihre Vorlage in den Apotheken nach Zahlung einer geringen Schutzgebühr dann schließlich zwölf FFP2-Masken erhalten.

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