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Vier für Europa. Franziska Keller (r.) und José Bové bekamen die größte Unterstützung, Rebecca Harms (l.) und Monica Frassoni landeten hinter den beiden. Foto: Bence Járdány/dpa

© dpa

Politik: Verloren im Netz

Die Grünen haben ihr Spitzenduo für die Europawahl gefunden – doch an der Online-Abstimmung beteiligten sich nur wenige.

Berlin - Von einem Desaster will Reinhard Bütikofer nicht sprechen. „Das Experiment war es wert“, sagt der Vorsitzende der Europäischen Grünen. Der frühere deutsche Parteichef Bütikofer ist Erfinder der Online-Abstimmung, mit der die Grünen erstmals europaweit ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl Ende Mai haben wählen lassen. Doch am Ende waren es nur 22 676 EU-Bürger, die bis Dienstagabend ihre Stimme bei der „Green Primary“ (Grüne Vorwahl) abgegeben haben, wie Bütikofer in Brüssel am Tag danach bekannt gibt. Deutlich weniger als die angepeilten 100 000 Teilnehmer.

Vorbild für das grüne Demokratieexperiment sind die Vorwahlen („Primaries“) zu den US-Präsidentschaftswahlen. Initiator Bütikofer hatte sich von dem Verfahren erhofft, dass sich so auch in Europa wieder mehr Menschen für Politik interessieren und zum Mitmachen animieren ließen. Vier Kandidaten aus drei Ländern kandidierten bei der Urwahl. Stimmberechtigt waren rund 380 Millionen EU-Bürger über 16 Jahre.

Zu Spitzenkandidaten gewählt wurden die grüne Europaabgeordnete Franziska Keller aus Brandenburg und der französische Globalisierungsgegner José Bové. Die 32-jährige Keller war Favoritin der gesamteuropäischen Grünen Jugend. Sie landete mit 11 791 Stimmen an erster Stelle. Ähnlich fiel die Unterstützung für den 60-jährigen Bové aus, der auf 11 726 Stimmen kam. Keller und Bové sollen im Europa-Wahlkampf „Gesicht und Stimme“ der 33 grünen Parteien in der Europäischen Union sein. Die Grünen-Fraktionschefin im EU-Parlament, Rebecca Harms, landete überraschend nur auf dem dritten Platz. Sie erhielt 8170 Stimmen, während für die Vorsitzende der Europa-Grünen, Monica Frassoni aus Italien, 5851 Stimmen abgegeben wurden.

Seit November waren die vier Kandidaten auf Bewerbungstour in Europa unterwegs gewesen: In zehn Städten – von Athen über Berlin bis Göteborg – stellten sie sich Debatten mit interessierten Bürgern. Doch das Interesse war am Ende nicht so groß wie erhofft. „Die Beteiligung an der Green Primary ist leider mehr als ernüchternd“, kommentierte etwa Grünen-Parteiratsmitglied Malte Spitz den Wahlausgang über den Nachrichtendienst Twitter.

Bei der Pressekonferenz in Brüssel bezeichnete Bütikofer es als „Fehler“, dass nicht klar genug kommuniziert worden sei, was die Europäischen Grünen bei der Online-Wahl für den Datenschutz getan hätten. Sie hätten sogar einen Hacker engagiert, der die Sicherheit des Verfahrens getestet habe. Zwei Tage lang habe dieser vergeblich versucht, an die Daten zu kommen, welche die Teilnehmer preisgeben mussten. Wer an der Abstimmung teilnehmen wollte, musste im Internet seinen Vor- und Nachnamen angeben sowie Handynummer, E-Mail-Adresse und das Herkunftsland. Aus Angst vor unzureichender Datensicherheit hatten sich etwa die österreichischen Grünen nicht an dem Verfahren beteiligt.

Noch offen ist, welche Auswirkungen die europäische Online-Abstimmung auf die deutsche Grünen-Liste für das Europaparlament haben wird. Ende nächster Woche wollen die Grünen bei einem Bundesparteitag in Dresden über ihre Aufstellung entscheiden. Für den ersten Listenplatz ist derzeit die Niedersächsin und Anti-Atomkraft-Aktivistin Rebecca Harms nominiert, so wie schon im Jahr 2009. Doch nach ihrem Überraschungserfolg bei den „Primaries“ könnte Keller sie herausfordern. Die Grünen-Politikerin ließ allerdings am Mittwoch offen, ob sie auf dem Parteitag gegen Harms antreten wird.

Doch auch Bütikofer, der die Grünen seit fünf Jahren im Europaparlament vertritt und gemeinsam mit Harms 2009 Spitzenkandidat war, droht auf Platz zwei eine Gegenkandidatur. Sollte Harms erneut als Nummer eins gewählt werden, will der 44-jährige Europaabgeordnete Sven Giegold gegen Bütikofer kandidieren. Er wolle für diesen Fall zur „personellen Erneuerung“ beitragen, kündigte der frühere Attac-Mann am Mittwoch erneut an. „Die Mischung macht es“, sagte er.

Die Entscheidung der grünen Parteien in der EU, ihre beiden Spitzenkandidaten für die Europawahlkampagne durch eine elektronische Urwahl zu bestimmen, hält Giegold nach wie vor für richtig. „Die Idee ist im Grundsatz richtig, man muss aber Details verbessern“, sagte Giegold. Die Beteiligung zeige, wie schwer es generell in Europa sei, Begeisterung für internationale Entscheidungen auszulösen. „Die Menschen beteiligen sich, wenn es um etwas geht“, sagte Giegold. Doch bei der Urwahl habe die Kontroverse gefehlt.

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